Samstag, 4. Februar 2012

Lebensweg

"Wenn man auf seinen Lebensweg zurücksieht, den "labyrinthisch irren Lauf" desselben überschaut und nun so manches verfehlte Glück, so manches herbeigezogene Unglück sehen muß; so kann man in Vorwürfen gegen sich selbst leicht zu weit gehn. Denn unser Lebenslauf ist keineswegs schlechthin unser eigenes Werk; sondern das Produkt zweier Faktoren, nämlich der Reihe der Begebenheiten und der Reihe unserer Entschlüsse, welche stets ineinandergreifen und sich gegenseitig modifizieren. Hiezu kommt noch, daß in beiden unser Horizont immer sehr beschränkt ist, indem wir unsere Entschlüsse nicht schon von weitem vorhersagen und noch weniger die Begebenheiten voraussehen können, sondern von beiden uns eigentlich nur die gegenwärtigen recht bekannt sind. Deshalb können wir, solange unser Ziel noch fern liegt, nicht einmal gerade darauf hinsteuern; sondern nur approximativ und nach Mutmaßungen unsere Richtung dahin lenken, müssen also oft lavieren. Alles nämlich, was wir vermögen, ist, unsere Entschlüsse allezeit nach Maßgabe der gegenwärtigen Umstände zu fassen, in der Hoffnung, es so zu treffen, daß es uns dem Hauptziel näherbringe. So sind denn meistens die Begebenheiten und unsere Grundabsichten zweien, nach verschiedenen Seiten ziehenden Kräften zu vergleichen, und die daraus entstehende Diagonal ist unser Lebenslauf. - Terenz hat gesagt: in vita est hominum quasi cum ludas tesseris: si illud, quod maxime opus est jactu, nun cadit, illud quod cecidit forte, id arte ut corrigas; wobei er eine Art Tricktrack vor Augen gehabt haben muß. Kürzer können wir sagen: das Schicksal mischt die Karten, und wir spielen."
(A. Schopenhauer)

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