Donnerstag, 29. Januar 2015

Krise der Glaubwürdigkeit

Wer im Bewusstsein der eigenen ökonomischen Unkenntnis sich über die Wirtschaftskrise besser informieren und zu diesem Zweck diverse Medien unterschiedlicher Ausrichtung zu Rate ziehen will, den beschleicht sehr bald ein böser Verdacht, der sich rasch zur Gewissheit verdichtet: Alle diese "Experten" kennen sich nicht wirklich aus und die Journalisten sowieso nicht.

Selbst der Dümmste muss ja mitbekommen, dass sich Diagnosen und Therapie-Vorschläge zum Teil in grotesker Weise widersprechen. Und je bestimmter  und sicherer ein Autor auftritt, desto mehr kann man davon ausgehen, dass er seinen Mangel an konkretem Wissen durch eine ISMUS-Ideologie kompensiert.

Am meisten an Glaubwürdigkeit eingebüßt haben durch die Krise  die sog. Wirtschafts-Fach-Journalisten, deren "Einbettung" in die diversen Interessenslager jeweils nur zu deutlich erkennbar war. Fast schon komisch wirkt es im Rückblick, mit welcher Sicherheit und Ernsthaftigkeit sie verkündet haben:"Benzin wird niemals mehr billig werden!"

Sehe auch:Die #Krise hat mich v.a. eines gelehrt:Keiner der #Experten kennt sich wirklich aus und dieses Vakuum wird mit #Ideologie gefüllt.



SPÖ-Probleme

Bis jetzt hatte die SPÖ das Problem, dass die jungen Wähler grünlich wegdriften und die alten wegsterben. Jetzt wird es so werden, dass die Alten abwandern wegen der Jungen, die bleiben.

Ich glaube, dass die Sprengkraft des Themenkompleses Migration/Integration von den Verantwortlichen nicht richtig eingeschätzt wird; diese agieren nach dem Motto, "dass nicht sein kann, was nicht sein darf".

Wenn Leute wie Voves oder Niessl - der Schlögl-Tradition folgend - die Zügel etwas straffer führen wollen, ertönt sofort der alarmistische Aufschrei: "Wie weit will die SPÖ noch nach Rechts rücken?"
Dabei handelt es sich ja nur um einen Schritt Richtung Mitte, zu jener Mitte, wo einzig und allein noch "anständige" Mehrheiten möglich sind.

Ich glaube, dass der Versuch, zugleich eine Eliten- und eine Massen-Partei zu sein, die SPÖ möglicherweise zerreißt; ganz sicher aber entfernt sie sich von der Chance auf Mehrheiten.

P.S.: Hier zeigte sich auch wieder die "Unabhängigkeit" des ORF: Mehrere Tage lang war das Thema "Voves-Vorschlag" in den Informations-Sendungen "on top". Reihenweise wurden Migrations-"Experten" aufgefahren, die ihrem Abscheu vor solchen Gedanken Ausdruck geben durften. Darunter auch der Demograf H.F., den ich noch von früher (80-iger Jahre) aus meiner "wissenschaftlichen" Zeit kenne. Damals haben wir ihn nicht für ganz voll genommen. Er hat mittlerweile große Karriere gemacht - warum wohl? 
P.P.S: Nebenbei gesagt, finde ich es auch nicht so eine glorreiche Idee, Migrationsverweigerer zu bestrafen - oder nur in ganz argen Fällen. Mich regt nur das Gutmensch-Geschnatter auf, das bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit losbricht.
P.P.P.S.: Im Übrigen: "Die Situation kann gar nicht falsch genug beurteilt werden" (Roda Roda)





Samstag, 24. Januar 2015

Feindbild

Gerhard Polt:
Mir aus der Seele gesprochen....
Was mir noch gegen den Strich geht: Einseitigkeit und Übertreibung.

Der folgende aus etwas tieferen Regionen ;=)
Sorry, das ist wirklich tief unter meinem Niveau!


Dienstag, 20. Januar 2015

Übertreibungen

Jesus war ein Übertreibungskünstler:

  • "Liebet eure Feinde...."
  • "Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst..."
  • "Wenn dich einer auf die linke Wange schlägt...."
  • .....

Ich glaube, das ist poetisch gemeint. Jesus war ein Orientale. Aber Paulus hatte wohl wenig Sinn für Poesie und war außerdem römischer Bürger.

Bewegungen

Wenn Gemeinschaften etwas Großes vollbringen oder schlimme Verhängnisse abgehütet werden sollen, braucht es eine starke zeit- und raumübergreifende Motivation, um die Menschen zu bewegen, vorzugsweise durch handfestes Ziehen oder Schieben. Die blanke Wahrheit taugt nicht zur Motivation, es bedarf der Übertreibung, so sehen es wenigstens die sog. "Aktivisten" und sie haben ja nicht so unrecht, weil die Menschen in ihrer Mehrheit träge sind. Und immer ist Angst als Treibmittel unverzichtbar.

Da überirdische "Wahrheiten" aus der Mode gekommen sind, ist das derzeit beliebteste Mittel zur "Motivation" die wissenschaftliche Experten-Prognose, insbesondere die simple Extrapolation, welche fast immer methodisch falsch angewendet wird; und wenn sie ursprünglich korrekt war, wird sie durch die Medien so weit verballhornt, dass sie zur glatten Lüge mutiert. Aber das kümmert die Antreiber nicht, sie tun es ja für die gute Sache, ihre eigene nämlich, denn es sind Gläubige.  Der Zweck heiligt immer noch alle Mittel, seit der Gegenreformation bis heute.

Rezente Beispiele: Klima-Horrorszenarien, Rauchverbote - nun schon in der eigenen Wohnung.....
Kürzliche Aussage im Radio: "Rauchen ist die häufigste Todesursache". Bumm. Einfach so hin gesagt. Untermauerung durch Fakten unnötig.

Siehe auch: http://kumpfuz.blogspot.co.at/2013/10/ein-artikel-in-der-wz-zum-thema.html

Journalistenehre

Aus Alois Brandstetters "Vom Leumund des Löwen":
"Der Chefredakteur einer angesehenen Zeitung sollte schon von Haus aus so gut situiert sein, daß er auf dubiose und obskure Gelder aus dunklen Kanälen dankend verzichten kann. Und nicht nur der Chefredakteur selbst, auch seine Redakteure und Mitarbeiter sollten so gut entlohnt werden, daß sie sich ein wenig Ehre leisten können. Der Journalist sollte anständig verdienen."

Ist schon recht. Allerdings glaube ich, dass die meisten Journalisten mit mehr Geld nur umso lauter das Lied ihres Brotherrn  singen würden.

Mittwoch, 14. Januar 2015

Ausgrenzungen

Irgendwie bin ich ich durch den Ausspruch Fr. Merkels verwirrt: "Bevölkerungsgruppen wegen ihres Glaubens....auszugrenzen,  ist ....nicht würdig":
Verhöhnen darf man Sie?

Feindbilder

Aus dem aktuellen "Charlie Hebdo":




Gurkennasige Feindbilder....
....das hatten wir doch schon einmal!

Wenn zwei das gleiche machen, ist es offenbar nicht dasselbe! ?

Ich glaube ja nicht, dass Jesus gesagt hat: "Liebet Eure Feinde" - ist wahrscheinlich ein Übersetzungsfehler, eher schon, dass wir sie nicht hassen sollen, was ja ein ziemlicher Unterschied ist. Respekt wäre auch schon genug.
Wo bleibt der Respekt der  "Je suis Charlie"-Schrei(b)er vor den Andersdenkenden? Oder sind die alle potentielle Verbrecher?

Dienstag, 13. Januar 2015

Sozialdemokratie

Sozialdemokratie: Die Mappe des Alfred Dallinger 
(Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 10.1.2015) 

Im Februar 1989 ging Europas Sozialdemokratie im Bodensee unter: ein Rückblick auf den Beginn der politischen Lebenskrise

Die letzte sozialdemokratische Idee versank am 23. Februar 1989 im eiskalten Bodensee. Alles, was danach kam, war nicht einmal mehr eine Nacherzählung. Es war ein Abgesang; die schräge Ballade von der burlesken Variante vom Ritt über ebendiesen Bodensee; das Lied vom Reiter, der sich zwar nie wirklich aufs Eis verirrt, gleichwohl aber vor lauter Schreck, so was könnte womöglich doch passieren, tot vom Pferd fällt.

Die Idee, die da mit dem österreichischen Sozialminister Alfred Dallinger am 23. Februar 1989 vor dem schweizerischen Ort Rorschach untergegangen ist, war eine letzte, beinahe schon verzweifelte Aufwallung sozialdemokratischen Wollens, den Kapitalismus innerhalb seiner selbst an die Kandare des Gemeinsinns zu nehmen. Es waren rührend punktuelle Maßnahmen, die Dallinger da in seiner Agendamappe mit sich führte, keineswegs jene revolutionäre Totalität, als die sie seit Jahren schon verteufelt wurden.

"Maschinensteuer"

Eine maßvolle Arbeitszeitverkürzung sollte mithelfen, das wiedererwachte Gespenst der Massenarbeitslosigkeit zu bannen. Und die Umstellung der Finanzierung des Sozialsystems von einer Arbeitsplatz- auf eine Wertschöpfungsabgabe - "Maschinensteuer" wurde das genannt im politischen Wettbewerb - sollte die schon mit Händen zu greifende Schieflage der Gesellschaft wieder geraderücken. Deutsche und französische Gewerkschaften bastelten schon an entsprechenden Kampagnen. Es war also nicht ganz absurd, anzunehmen, dass das alles auf einen klassischen Sozialkompromiss hinauslaufen würde. 1989 galt es im westlichen Europa ja noch als ausgemacht, dass die Politik die Wirtschaft reiten solle. Denn noch war die Erinnerung an jene Zeit präsent, in der das umgekehrt gewesen ist.

Verzweifelte Versuche

Auch auf konservativer Seite waren Kräfte am Werk, den allmählich bockenden Kapitalismus wieder einer kosmetischen Runderneuerung zu unterziehen, auf dass seine Verträglichkeit erhalten bliebe. In den von jeher schräg denkenden steirischen Bergen wurde ein Konzept formuliert, das der nachmalige ÖVP-Chef, der glücklose Josef Riegler, 1987 als "ökosoziale Marktwirtschaft" auf den Ideenmarkt warf. Dieses Konzept machte eine ehrenvolle Runde durch Europas Christdemokraten, Schwergewichte wie Heiner Geißler lobten es, 1991 fand es gar Eingang ins Programm der Europäischen Demokratischen Union. Aber eigentlich war, wie sich bald schon herausstellen sollte, die "ökosoziale Marktwirtschaft" auch nicht viel mehr als die "Maschinensteuer" der Linken: ein letzter, verzweifelter Versuch, im Sattel zu bleiben. Ein letzter, verzweifelter Versuch, der europäischen Politik das Politische zu erhalten.

Die Zeiten aber waren nicht mehr danach. Mehr als ein Jahrzehnt lang hatten die zwei großen politischen Kräfte es sträflich vernachlässigt, sich jenem neuliberalen Elan entgegenzustellen, der nun allerorten daranging, die europäische Vorstellung vom ordentlichen Wirtschaften zu zertrümmern. Propagandistisch maskierte sich diese neue Kraft als jene komische Yuppietruppe, die äußerlich dem Villacher Fasching entsprungen schien, unter der Bedeckung der Kasperlmütze aber auf nichts Geringeres zielte als aufs Ganze - mit einer Entschlossenheit, Kaltschnäuzigkeit und Rücksichtslosigkeit, die ihresgleichen höchstens im Bolschewistenputsch des Jahres 1917 fand.

Chile als Experimentierfeld

Dass dieser Vergleich überzogen nur klingt, aber keineswegs ist, zeigt das unselige Jahr 1973, als das chilenische Militär den Sozialdemokraten Salvador Allende wegputschte. In den folgenden Jahren nun wurde Chile zum Experimentierfeld jener Ökonomen, die da, inspiriert von den neoliberalen Wienern um August Friedrich Hayek, eine neue Form des Wirtschaftens propagierten, die sich, dem naturwissenschaftlichen Tönen zum Trotz, eng ans Uralte anlehnte.

Milton Friedman, ein Schüler Hayeks und Guru der nach dem Standort ihrer Alma Mater sogenannten Chicago Boys, empfahl dem Diktator Pinochet eine ökonomische "Schocktherapie": Der chilenische Markt wurde weit geöffnet und radikal dereguliert, die Privatisierung ging bis hinein in die traditionelle staatliche Kernkompetenz, Sozialausgaben wurden massiv gekürzt, das Umlagesystem der Pensionen wurde in ein kapitalgedecktes umgewandelt, die Krankenversicherung privatisiert. Allein im ersten Jahr der "Schocktherapie", 1975, sanken die Staatsausgaben je nach Ministerium um 15 bis 25 Prozent. Und - am anderen Waagebalken der Gesellschaft - wurden die direkten Steuern gesenkt, die Progression wurde gekappt.

Neoneoliberales Handeln

Chile in den 1970er-Jahren war ein drastisches Beispiel dafür, dass die Marktwirtschaft und die Demokratie nichts miteinander zu tun haben müssen. Und es mag sein, dass Europas Sozial- und Christdemokraten deshalb den Eindruck hatten, ein solch radikaler Umbau der Ökonomie sei nur in nichtdemokratischen Systemen denkbar. Spätestens 1979 aber war solch ein Irrtum nicht mehr möglich. Der Amtsantritt von Premierministerin Margaret Thatcher - deren hervorragendste Leistung als Bildungsministerin es war, 1970 die kostenlose Schulmilch abgeschafft zu haben - bereitete den Weg, die chilenische Reformökonomie - das 1:1-Modell neoneoliberalen Handelns - auf die um sozialen Ausgleich bemühten europäischen Gesellschaften loszulassen.

Aus Gründen, die heute nur noch schwer nachzuvollziehen sind, wurde der Thatcherismus auf dem Kontinent bloß als eine Abart eines britischen Spleens empfunden, über den man sich nicht weiter den Kopf zerbrechen musste, weil Briten bekanntlich zu so was neigen. Daran änderte sich auch nichts, als dieser Spleen seinen Komplementär jenseits des Atlantiks im Schauspieler Ronald Reagan fand. Weder Thatchers noch Reagans Politik wurde anfänglich als besonders relevant fürs Europäische empfunden. Doch das Gespann, das einen enthemmten Kapitalismus nicht nur predigte, sondern tatsächlich umsetzte, gab ab nun Richtung, Geschwindigkeit und Ziel der Debatte vor: Dem Staat sollte die öffentliche Hand abgeschlagen werden.

Working Poor

Unumwunden sprach man von Zweidrittelgesellschaft. Der Kollateralschaden, dass ein Drittel der Menschen von der versprochenen Zunahme des Wohlstands ausgeschlossen bleiben sollte, galt vielen auf einmal als durchaus akzeptabel. Schon im Jahr vier des Thatcherismus waren 12,5 Prozent der erwerbsfähigen Briten ohne Beschäftigung. Die Chicago Boys hatten auch darauf eine Laboratoriumsantwort: runter mit dem Arbeitslosenentgelt, runter mit dem Mindestlohn, denn eine wahre Marktwirtschaft kennt keine Arbeitslosigkeit - nur zu hohe Lohnkosten. So begann die Geschichte der Working Poor, jener neuen Unterschicht, für die das System die McJobs vorsah, ein dem Geist der Chicago Boys entsprungenes Gespenst, das in seinen vielen Varianten von Prekariat bis Praktikum die Gesellschaft mehr und nachhaltiger verheert hat als alles andere.

Es mag sein, dass Alfred Dallinger all diese Dinge durch den Kopf gegangen sind, als er am frühen Vormittag des 23. Februar 1989 in Schwechat die kleine Propellermaschine des Typs Commander AC-90 bestieg, die ihn und acht weitere Passagiere nach Vorarlberg bringen sollte. Seit fast neun Jahren war er nun schon Sozialminister. Bruno Kreisky, der nach seinem endgültigen Bruch mit der SPÖ 1987 nur noch grantelte, hatte ihn in sein viertes Kabinett geholt. Und seither schickten die Statistiker dem Alfred Dallinger eine Schreckenszahl nach der anderen.

1981 stieg die Arbeitslosigkeit gegenüber dem Jahr zuvor um 30,3 Prozent. Fast spiegelgleich reduzierte sich die Zahl der offenen Stellen um 30,6 Prozent. 1982 betrug die Steigerungsrate der Arbeitslosigkeit unglaubliche, weit jenseits der Schmerzgrenze angesiedelte 52 Prozent. 105.300 beschäftigungslose Menschen drängten sich um 17.300 offene Stellen. Und so ging es weiter. 1987 waren 167.500 Österreicher ohne Beschäftigung. 26.800 Arbeitsplätze warteten auf Besetzung.

Wachstum mit Grenzen

Im selben Zeitraum schien sich zu erweisen, dass der Konjunktureinbruch nach den beiden Ölkrisen 1973 und 1979/80 sich zu einer veritablen Strukturkrise klumpte, die durchaus dem zu entsprechen schien, was die Wissenschaftler des Club of Rome 1972 unheilvoll prophezeiten: dass nämlich das Wachstum an seine natürlichen Grenzen stoße. Wenn das aber tatsächlich der Fall sein sollte, war es aus mit der herkömmlichen sozialdemokratischen Herrlichkeit.

Denn die Zauberformel der europäischen Sozialdemokratie - der die Christdemokraten im Wesentlichen zustimmten - war ja, die Arbeiterschaft gerecht am Wachstum zu beteiligen, im Gegenzug aber die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse unangetastet zu lassen. Ein höchst fragiles Gleichgewicht, das durch die Etablierung einer echten Zweidrittelgesellschaft nachhaltig zerstört werden musste.

Alfred Dallinger und seine Mitstreiter wussten wohl um die Gefahr. Was sie aber nicht wussten - nicht wissen konnten und wollten -, war die Kaltschnäuzigkeit jener Kräfte, die genau das, die Zerstörung, beabsichtigten. Zwei fundamentale Fehler unterliefen dem Alfred Dallinger und seinen Genossen, spiegelgleich aber auch den Christdemokraten. Der erste war schlichte Naivität, die Grundannahme, dass alle am politischen Spiel Beteiligten im Grunde guten Willens wären. Und zweitens dachte man sich die Frontlinien der politischen Auseinandersetzung immer noch entlang der traditionellen Lagergrenzen.

Von Partei zu Partie

Im Beharren auf diesen bereits augenscheinlich gewordenen Unsinn vollzog sich hier wie da der Wandel von Partei zu Partie. Nicht mehr um die realen sozialen Bedingungen und Bewegungen ging es den obsolet gewordenen Lagern, sondern darum, die nächste Wahl, wenn schon nicht zu gewinnen, so doch nicht zu verlieren. Die von realen gesellschaftlichen Kräften getragenen Großparteien verwandelten sich im Verlauf der Achtzigerjahre zu bloßen Wahlvereinen, deren politische Haltungen wenig mehr waren als Wahlkampfattitüde. In genau diese Diskrepanz stieß Jörg Haider mit unheimlichem Instinkt.

Zumal der Wind, den die Chicago Boys in der Despotie Chiles entfacht und den Thatcher mit Reagan zum Sturm verdichtet hatte, auch die Sozialdemokraten nicht unberührt gelassen hat. So mancher Genosse wurde selber smart und erkannte detailreich auch das Wahre und Schöne und Gute im Thatcherismus und den Reagonomics - wenn auch um den Preis, das große Ganze aus dem Blick zu verlieren, dass man nämlich drauf und dran war, die Gesellschaft zu spalten, so tief es nur irgend ging unter den Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie.

Parteihistoriker mögen irgendwann Erklärungen dafür finden, warum die Sozialdemokratie in den Achtziger- und dann so richtig in den Neunzigerjahren in eine solch neurotische Krise hineintaumelte, dass am Ende selbst der gestandenste Genosse nicht mehr wusste, ob er nun ein Mandl oder ein Weibl sei. In Österreich waren gerade die gestandenen Genossen oft auch sogenannte "enttäuschte Capwähler", ein Topos, der seit dem über Vorzugsstimmen gelungenen Einzug des Josef Cap ins Parlament 1983 zum stehenden geworden war. Der jugendlich linke Cap hatte mit einer Geschwindigkeit den Hals vom Kritiker zum Karrieristen gedreht, die geradezu paradigmatisch war für den Wandel der gesamten Partei zur bloßen Partie. Bis heute macht Cap jedem Herrn den Narren, freilich um den Preis, dass hinter der rhetorischen Brillanz jegliche politische Ernsthaftigkeit sich auflöst.

Sozialdemokratie wird zu ihrem Gegenteil

Als Alfred Dallinger etwas verspätet von Wien-Schwechat zu seinem Flug ans andere Ende Österreichs aufbrach, war freilich noch nicht vorhersehbar, dass die europäische Sozialdemokratie sich bald schon so capisiert, dass sie innerhalb nur weniger Jahre zu ihrem Gegenteil mutierte. 1994 übernahm mit Tony Blair, ein junger, smarter, einem Comic über die Wallstreet-Yuppies entsprungen scheinender Bursche den Vorsitz über die altehrwürdige, tatsächlich in die Jahre gekommene Labour Party, aus der er umgehend die smarte New Labour machte, die jenem Pfad zu folgen bereit war, den Mrs. Thatcher und die Ihren quer durch die britische Gesellschaft getrampelt hatten. 1998 folgte dem coolen Briten, der 1997 Premier geworden war, Gerhard Schröder mit seiner SPD, der sich einiges darauf zugutehielt, als "Genosse der Bosse" benannt zu werden. Am Ende des Jahrzehnts beherrschte die Sozialdemokratie die EU. Elf der fünfzehn Regierungschefs gehörten der Sozialistischen Internationale an.

Jetzt wäre der Zeitpunkt gewesen, Europa ein sozialdemokratisches Gesicht zu geben: Umstellung der Finanzierungsbasis der Sozialsysteme, Angleichung der Wirtschaftspolitiken, Demokratisierung der Union, Integration der Finanzwirtschaft ins allgemeine Steueraufkommen, Schließung der Schere zwischen Arbeits- und Kapitaleinkommen - es wäre ja nicht so gewesen, dass niemand sich bis dahin den Kopf zerbrochen hat. Nur hat dann irgendwer - vielleicht war es sogar Tony Blair im Flüsterton zu Gerhard Schröder - gemeint, es könnte sich dabei um dünnes Eis handeln. Und siehe, die stolzen Reitersleut', denen der Kamm geschwollen war vor lauter Wahlsiegen, fielen tot vom Pferd, um fürderhin als Wiedergänger über die politische Bühne zu taumeln.

Russisches Roulette aus Übermut

Im Jahr 1983 hatte der deutsch-britische Soziologe und liberale Politiker Ralph Dahrendorf das Ende der Sozialdemokratie verkündet. Seine These war es, dass sozialdemokratische Weltanschauungen - "Wachstum, Gleichheit, Arbeit, Vernunft, Staat, Internationalismus" - so allgemein sich durchgesetzt hätten, dass der Kampf darum quasi vorgestrig, weil einer um des Kaisers Bart sei. Eine interessante These, ohne Zweifel, aber zutreffend nur deshalb, weil die Sozialdemokraten als Einzige wirklich daran glaubten und sich daran hielten. Am Ende der Neunzigerjahre waren die Schröders, die Blairs, die Jospins, die d' Alemas, die - nun, wie hieß er denn, der Österreicher, der dann Volkswagen den Südamerikachef gemacht hat? Klima? - so sehr von Dahrendorf überzeugt, dass sie ihre Zeit mit Selbstbeweihräucherung ihrer gesellschaftlichen Relevanz verbrachten und nicht wahrhaben wollten, dass in ebendieser Zeit aus der Dahrendorf'schen Sterbeformel endgültig die Konstanten Gleichheit, Arbeit, Vernunft und Staat herausbrachen, oder richtiger: herausgebrochen wurden. Aus zeitlicher Distanz darf man wohl sagen, die Sozialdemokratie ist nicht bloß gestorben, wie Dahrendorf das vermutet hat. Sie hat am Ende der Neunzigerjahre russisches Roulette gespielt aus lauter Übermut.

Eine der schmerzlichsten Konsequenzen dieses Übermuts wird bis heute kaum besprochen, und doch wird sich an ihr das Schicksal Europas entscheiden. Denn in jener Zeit, da die Sozialdemokraten das Feld der Politik zugunsten der sogenannten Marktkräfte räumten, geschah im Osten des Kontinents die Transformation zur Demokratie. Deren ursprüngliches ökonomisches Ziel war der Kapitalismus light in Form einer sozialen Marktwirtschaft, Wohlstand für alle, und das unter parlamentarisch-demokratischen, insgesamt humanistisch fundierten Bedingungen. Auf Dahrendorfisch also: Wachstum, Gleichheit, Arbeit, Vernunft, Staat, Internationalismus. Stattdessen kam es nun - ohne jedweden Einspruch - im Osten Europas zum größten Eigentümerwechsel der Geschichte, der in weiten Bereichen einem schlichten Raubzug glich. Man war auf Beute aus.

Zweidrittelgesellschaft im Osten

Dass der ökonomische Umbau schmerzlos sein würde, hat wohl nicht einmal der größte Optimist vermutet. Dass er allerdings so brutal über die Menschen kommt, verdankt sich dem großflächigen Versagen der Sozialdemokratie, die der jetzt erst richtig einsetzenden Globalisierung nicht bloß keine Zügel anlegte, sondern das zu tun nicht einmal mehr in Erwägung zog. Der gesamte europäische Osten wurde quasi von heute auf morgen in eine echte Zweidrittelgesellschaft verwandelt.

Was das bedeutet, sieht man drastisch in den Unterführungen der Großstädte und an den Dorfrändern der Elendsgegenden. Eine gesamte Volksgruppe, die zehn Millionen osteuropäischen Roma, fielen zur Gänze aus dem Rahmen der Wohlfahrt, auch die Pensionisten wurden über den Rand gekippt, die Entlohnung im Staatsbereich zog eine massive Korruption nach sich, die allerdings die europäischen Wirtschaftslenker so lange nicht stört, als die Geschäfte reibungslos laufen. So damals im Osten, so nunmehr im Süden.

Europas Sozialdemokraten haben dazu all die Zeit über geschwiegen - weder aus böser Absicht, wie man wohl mutmaßen darf, noch aus Jux und Tollerei. Es ist ihnen im Taumel der Selbstpreisgabe einfach nicht aufgefallen, was da vor sich geht. Sehr, sehr glaubhaft können sie es machen, dass sie 2008 vollkommen überrascht waren von der Krise. Trotz der immobiliengestützten Japankrise 1991, trotz der spekulationsbedingten Asienkrise 1997/ 98, trotz des absehbaren Platzens der hirnrissigen Dotcom-Blase 2000. Ja, selbst die Verstaatlichung der US-amerikanischen Hypothekarbanken Freddie Mac und Fannie Mae im Frühsommer des Jahres 2008 erschien als bloß amerikanisches Problem, dem man weniger Sorge als Schadenfreude zu widmen geneigt war.

Demokratie bleibt nicht unverschont

Die Krise wird vorübergehen, ungewiss wie. Aber sie wird - neben dem einen Drittel der Gesellschaft, das schon in den Achtzigerjahren ohne sozialdemokratischen Einspruch für verzichtbar erklärt wurde - auch die Sozialdemokratie nicht unverschont lassen. Und damit, so wie es ausschaut, auch die Demokratie selbst.

Dass die Ökonomie von privaten Händen geschupft werde, ist der Grundkompromiss, den die Sozialdemokraten am Ende des Ersten Weltkriegs eingegangen waren, wodurch sie gegenüber dem Kommunismus eine unüberschreitbare Linie zogen. Im Gegenzug erhielten die Sozialdemokraten - freilich erst nach der Katastrophe der Dreißiger- und Vierzigerjahre - die Zusicherung, dass die Politik dieses Schupfen in demokratisch legitimierte und gesellschaftlich verträgliche Bahnen lenken durfte. Die neuliberale Raserei hat diesen Grundkonsens aufgekündigt. Unerklärlicherweise haben die Sozialdemokraten dazu bloß genickt. Auch ihnen dünkte das alles als Naturgewalt. Die aktu-elle Krise sei, hört man auch von den Genossen, bloß die Folge übermäßiger Gier - und nicht auch die Folge politischer Faulheit.

Commander AC-90

Dichter Nebel lag über dem Rheintal am 23. Februar 1989. Die Commander AC-90 konnte auf ihrem Zielflughafen, Hohenems, nicht landen. Auch der deutsche Ausweichflugplatz Friedrichshafen war zu. Also wandte sich die Pilotin, Brigitte Seewald, die Gattin des Airliners, an den Tower des schweizerischen Altenrhein. Von dort wurde nur zeitweiser Bodennebel gemeldet. Die Pilotin begann den Landeanflug. Kurz vor elf Uhr vormittags durchstieß sie die Nebeldecke. Die aber war dicker als angenommen. Als die Seeoberfläche in Sicht kam, war es zu spät.

Die kleine Maschine schlug mit der Nase auf, was ein großes Leck verursachte. Die Commander AC-90 versank innerhalb ganz kurzer Zeit. Besatzung und Passagiere, so hieß es nach der Bergung, seien zu diesem Zeitpunkt bereits tot gewesen. Alle Sitze wurden aus der Verankerung gerissen und ins Cockpit geschleudert.

Die Mappe des Alfred Dallinger versank im See und wurde nicht mehr gefunden.

Montag, 12. Januar 2015

Der Gesinnungsterror der grünen Meinungsjakobiner

Eine satte linksgrüne Mehrheit der medialen Dressurelite versucht seit Jahren, der Bevölkerung ihre Alltagserfahrungen und -sorgen auszutreiben.

Seit Anfang Dezember [2012] haben wir es schwarz auf weiß. Es geht um den „Journalisten-Report II“. Daniela Kraus, Astrid Zimmermann, Andy Kaltenbrunner und Matthias Karmasin erstellten die „erste repräsentative Studie Österreichs“ über jene Präferenzen, welche der Stammtisch der Leserschaft schon lange zwischen den Zeilen herausliest: Journalisten stehen politisch deutlich weiter links als die Gesamtbevölkerung.

Ähnlich wie in Deutschland fühlen sich die meisten von ihnen den Grünen nahe. 34 Prozent verorten ihre Präferenzen in diesem politischen Bereich. (Und das sind nur die „Bekennungstäter“. Die Dunkelziffer der anonymen Schreibtischtäter wird noch höher sein.) Jeder Dritte stimmt laut Umfrage der Aussage zu: Es gehe darum, „Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu kontrollieren“.
Politik und Medien sind kommunizierende Gefäße, die sich wechselseitig bestärken. Dabei klammern sie sich wie Ertrinkende aneinander. Und werden – wenn kein gravierendes Umdenken stattfindet – gemeinsam untergehen. Aufgrund der konzertierten Aktionen gegen das Wahl- und Zahlvolk, das beide Seiten so bitter nötig haben. Doch das wendet sich mit Grauen ab. Der Vertrauensverlust sitzt bereits tief – zu tief.

Das Dogma regiert!

Eine selbst legitimierte Dressurelite gibt den Ton in der veröffentlichten Meinung vor. Und das wird immer weniger goutiert. Nur die vom eigenen Bazillus der Selbstherrlichkeit infizierten Medien glauben noch an die Inhalte. Obwohl in Zeitungsköpfen das „unabhängig“ steht, wissen viele, dass jedes Medium sowohl von der Leserschaft wie auch von Inseraten abhängig ist. Nichts geschieht aus Selbstlosigkeit, alles ist Kalkül.
Alle Parteien vertreten – angefeuert durch die harmonisierende Macht der Medien – zu den brennenden Fragen der Gegenwart wie Euro-Rettung, Genderpolitik und Frauenquote, Klima- und Energiepolitik, Zuwanderung oder Multikulturalismus eine nahezu identische gleich(geschaltet)e Meinung.

Die vorgeschalteten Non-Government-Organisationen (NGOs) bereiten das Feld auf. Ziviler Ungehorsam wird gerne als Zeichen von gesundem Demokratieverständnis gewertet – außer es handelt sich um Protest gegen Moscheebauten. Dann ist es vorbei mit dem Recht auf Bürgerbeteiligung oder Anrainer-Notwehr. Sogleich wird die Motivation ins rechte (extreme, radikale) Eck gestellt.
Meinungsfreiheit endet dort, wo von der vorgegebenen Multikulturalismus-Doktrin abgewichen wird. Dann ist es schnell vorbei mit dem pluralistischen Demokratieverständnis. Abweichende Gesinnung wird zum Verbrechen.

Rassismus ist keine Meinungsfreiheit. Die Erfüllung des Tatbestandes können nur die selbst ernannten Sitten- und Tugendwächter erkennen und folgerichtig bewerten. Jede abweichende Meinung kann als  demagogisch  und „populistisch“ diffamiert werden. Schon erhebt sich der belehrende Zeigefinger. Die Moralkeule ist bereit zum Niedersausen.

„Das Dogma ist nichts anderes als ein ausdrückliches Verbot zu denken“, lautet ein Zitat des deutschen Philosophen Ludwig Feuerbach. Die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof dachte weiter: „Tendenziell ist alles, was ein Prolet macht, richtig, und alles, was ein kleinbürgerlicher Intellektueller macht, falsch.“

Das hatte schon George Orwell in seiner Kommunismus-Satire „Animal Farm“ („Farm der Tiere“, 1948) festgestellt: „Vier Beine gut! Zwei Beine böse!“ – Also abgeleitet: Links ist richtig, rechts kann nur falsch sein? Ohne Ausnahme, ohne weitere Logik, ohne Anflug einer Diskussion?

Opfer erster Ordnung

Inzwischen haben sich Hierarchien in der Medien-Coverage ausgebildet. Frauen sind schützenswerte Geschöpfe. Als könnten die Powerfrauen nicht selbst auf sich aufpassen! Selbst wenn das eine oder andere „Alphamännchen“ (siehe Strauss-Kahn, Kachelmann oder Assange) mehr oder weniger ungerechtfertigt hinter Schloss und Riegel landet, trägt die männerdominierte Gesellschaft eine Mitschuld.

Eine Ebene dahinter drängen sich die Diskriminierungsopfer, bevorzugt migrantisch. Von Behinderten-, Männer- und Altersdiskriminierung war schon lange nichts mehr zu hören oder zu lesen.
Und drittens: Täterfokussiertheit. Opfer dürfen mit Bild und Namen vorkommen. Bei Tätern steht eine wahre Verhinderungsmaschinerie mit ihren Sanktionen bereit. Der Resozialisierungsgedanke scheint das allerhöchste Credo zu sein – statt Schutz der Gesellschaft im Sinne der Generalprävention.

„Alle Menschen können Täter werden“, lautet ein Stehsatz. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Jeder Mensch kann ein Opfer werden. Viel eher als ein Täter; nämlich durch die grassierende Täterversteher-Industrie in den Medien, die eine beeinflussende Wirkung erzeugt.

.......

Und wie sehen sich die Meinungsjakobiner selber? Aufschlussreich an dieser Studie ist auch: „Gewissenskonflikte haben 72 Prozent nie.“ Wie heißt es in der Werbung: Wir sind die Guten!


Von: Karl Weidinger (* 1962) ,Schriftsteller und Übersetzer mit Vorliebe für Gesellschaftskritik. Bisher sieben Bücher, u. a.: „Der Missbrauch des aufrechten Ganges“ (1993), „Die Verhaftung der Dunkelheit wegen Einbruchs“ (2003), „Die schönsten Liebes-Lieder von Slipknot“ (2007), Androkles Verlag. 

Wir alle sind Narren

"Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudrängen. – Jeder muß in seiner Art genießen können, jedoch so, daß keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in seinem eigentümlichen Genuß stören darf."

Aus "Dantons Tod" von G. Büchner

P.S.: Übrigens gestern in einer scheußlichen, überdrehten, hyperaktiven Inszenierung am Burgtheater gesehen. Leider gab es keine Pause, sonst wäre ich hinausgegangen, wie schon bei der Verhunzung von Romeo&Julia

Nous sommes Charlie à la Place de la Repulblique

Noch nie habe ich so viele gute Menschen auf einem Platz gesehen. Netanyahu war auch dabei. Es fehlte eigentlich nur der lupenreine Demokrat Putin.

CRAMBE REPETITA

CRAMBE REPETITA
(Aufgewärmter Kohl)

"Der crambe (Meerkohl) redete man eine fast sagenhafte Feindschaft zu allem, was Wein heißt, nach. Der Weinstock vertrage nicht einmal ihren Geruch, sagte man. Die Skythen, Römer und Griechen nahmen den Meerkohl, um sich vor Trunkenheit zu sichern. Aristoteles hat sich umständlich darüber ausgelassen, wie die crambe alle Säfte des Magens aufruft, um dem Weine wirksam zu begegnen. Junge crambe soll ein wohlschmeckendes Gemüse liefern. An wiederholt gekochter crambe aber ließen die Zungen kein gutes Haar: Zweimal crambe und du bist tot CRAMBE BIS MORS EST. Juvenal war es, der die Redensart aus dem Sprachgebrauch des Speisezettels in den Bereich der geistigen Garköche rückte. Ihm war etwas, was immer wieder vorgetragen, dem geistigen Geschmack widerstand. Wahrheiten also, die nicht mehr salzten und schal geworden waren, abgegriffene, lahme Gedanken, die nicht mehr zündeten. Elend stirbt an dem Kohle, dem ewig erwärmten, der Lehrer OCCIDIT  MISEROS CRAMBE REPETITA MAGISTROS (sat. 7,154).
Bei uns bekam der noch den Beigeschmack der Unwahrheit. Zählebige Vorurteile, immer neu vorgesetzte, längst abgetane Geschichtsfabeln, halbwahre Schlagworte, die das Denken überrumpeln und nach dem Gesetz der geistigen Trägheit durch die Massen und die Zeiten laufen, tragen, nur dem Wissenden sichtbar, das Markenzeichen Juvenals an sich. Wird nicht selbst in wissenschaftlichen Büchern unbesehen und unüberprüft manches weiter gegeben, bis endlich ein Juvenal auch hier die CRAMBE REPETITA beseitigt? Ist nicht auch der Klatsch, den juckende Zungen und wirre Köpfe immer wieder aufwärmen, CRAMBE REPETITA? Er verzerrt, vergröbert, vervielfältigt. Was einst Midas berührte, wurde zu Gold, was der uomo finto, der Schwätzer, zwischen die Zähne bekommt, zu lauterem Kohl."

Heinrich G. Reichert

Sonntag, 11. Januar 2015

Wohlfahrtsausschuß

Die säkulare, plurale, liberale, demokratische 68er-Welt hat sich auf ihrem Marsch durch die Institutionen und durch die Erringung der Lufthoheit im Meinungs-Wettstreit zu einem "Comité de salut public" entwickelt, immerhin einem unblutigen.

Samstag, 10. Januar 2015

Epochal

Bisher dachte ich, die bedeutendste Leistung der europäischen Politiker in den letzten Jahrzehnten um die Jahrtausendwende seien ihre Fortschritte in den Einigungs-Bestrebungen. Jetzt schaut es so aus, als würden sie mit ihren Erfolgen bei der Durchsetzung des Rauchverbots in die Geschichte eingehen wollen.

Donnerstag, 8. Januar 2015

Twitter-Poetik

Was mir an Twitter nicht gefällt, dass wegen der vorgegebenen Kürze eine klassische Epigramm-Form, der Vierzeiler, normalerweise nicht hineinpasst: 

Nach G. E. Lessing ist das Epigramm ein Gedicht, in welchem unsere Aufmerksamkeit und Neugierde auf irgendeinen einzelnen Gegenstand erregt und mehr oder weniger hingehalten wird, „um sie mit Eins zu befriedigen“. Erwartung und Aufschluss sind daher die beiden wesentlichen Teile des Epigramms, von denen erstere (wie ein Rätsel) durch einen scheinbaren Widerspruch gespannt, letzterer durch eine überraschende Deutung des Sinnes herbeigeführt wird. 
Immerhin ist meistens das Distichon möglich, klassische Beispiele dafür (Merkverse, beide von Schiller) sind:
"Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,
Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab."

"Teuer ist mir der Freund, doch auch der Feind kann mir nützen.
Zeigt mir der Freund, was ich kann, lehrt mich der Feind, was ich soll." 


 ....und von OVID:

"Nehmt euch vor allem in acht, die Gebrechen der Mädchen zu rügen,
ja, es hat manchem genützt, dass er mit Fleiß sie nicht sah."


...oder gar von mir:

"Tage und Wochen und Jahre vergehen rascher im Alter,
Nur die Monate sind - leider - um vieles zu lang"
(lhttp://kumpfus.blogspot.co.at/2008/01/neige.html)

So sind wenigstens nicht nur platte, eindimensionale Sätze möglich (die man natürlich auch "spicken" kann), obwohl sich ein Distichon in TWITTER sicher nicht wohl fühlt.


Hortikultur

Mit dem Schmelzwasser meiner persönlichen Zukunft bewässere ich meinen kleinen historisch-philosophischen Garten.

Ringel, Ringel...

Tiere sind oft unsere besten Freunde, und ich möchte dazu nur aus einem Brief von Gustave Flaubert zitieren: „Gestern war ich versucht, drei Kälber zu umarmen, die ich auf einer Alm traf, aus Menschenfreundlichkeit und Mitteilungsbedürfnis", und Hans Henny Jahnn sagt: „Ich habe an der Gnade nicht vorbeisehen können, die ein Häschen in meiner Hand verschenkt -wie wenn etwas Jenseitiges mit großer Milde mein Herz berührte." Es steht für mich jedenfalls fest: Wer zu Tieren unmenschlich ist, kann kein guter Mensch sein. Freilich muß ich auf der anderen Seite zugeben, daß das menschliche Leben ohne „Verwertung" von Tieren unmöglich wäre. Ich will in diesem Zusammenhang ein Gedicht von Peter Feldmann zitieren, das ich jüngst in einer Zeitung gefunden habe:

Wir schaffen die Pelztierzüchter ab 
Sie töten Tiere
Wir schaffen die Kürschner ab 
Sie verarbeiten Tiere
Wir schaffen die Fleischhauer ab 
Sie töten Tiere
Wir schaffen die Köche ab
Sie verarbeiten Tiere
Wir schaffen Katzen ab 
Sie fressen Mäuse
Wir schaffen die Leoparden ab 
Sie töten Affen 
Wir schaffen die Fische ab 
Sie fressen Fische 
Wir schaffen die Vegetarier ab 
Sie vernichten Pflanzen 
Wir schaffen die Natur ab 
Sie ist grausam 
Wer schafft das Abschaffen ab.

Und ich möchte zwei Bemerkungen hinzufügen: Ich kenne eine prominente Dame, die First-class-Restaurants mit der Frage zu betreten pflegt: „Haben Sie Stopfgansleber?" Und wenn der Ober geflissentlich antwortet: „Selbstverständlich, gnädige Frau", dreht sie sich um und verläßt empört das Lokal, um anderswohin zu gehen und Hummer, Langustinos und Austern zu genießen, weil sie nämlich begeisterte Fischesserin ist (!). Auf der anderen Seite meine ich, daß die Aktionen, die in letzter Zeit gegen Kürschnergeschäfte durchgeführt wurden, einen aggressiven Haß verraten, den ich nicht billigen kann. Ich habe manche Menschen gesehen, die Tiere deswegen „lieben", weil sie Menschen hassen, und das scheint mir nicht die richtige Tierliebe zu sein. So wird bis auf weiteres der Satz von Alfred Polgar: Der Mensch ist gut, aber das Kalb ist schmackhaft" seine Gültigkeit behalten.

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Ich halte das Leben für einen Reifungsprozeß und wünsche mir selber, zu sterben, wenn der Tod eine reife Frucht pflückt. Ich erlaube mir, in diesem Zusammenhang Rilke zu zitieren: „Denn wir sind nur die Schale und das Blatt. Der große Tod, den jeder in sich hat, das ist die Frucht, um die sich alles dreht." Aufgrund vieler Erfahrungen meines Lebens möchte ich Sie alle darauf hinweisen, daß die Seele einen viel größeren Einfluß auf den Zeitpunkt unseres Sterbens hat, als im allgemeinen angenommen wird. Im Alten Testament findet sich ein herrliches und einprägsames Wort: „Er war lebenssatt" *. Möge der Tod jeden dann ereilen, wenn er vom Leben gesättigt ist. Wie sagt doch Peter Altenberg: „Eine Kerze stirbt nicht, sie verlöscht."

Aus: Erwin Ringel, "Unbewußt, höchste Lust" (Oper als Spiegel des Lebens")

* Ich glaube, der Begriff stammt eher von Lukrez: "Warum willst Du nicht lebenssatt [plenus vitae] aufstehen vom Gastmahl des Lebens?"

Montag, 5. Januar 2015

Atonale Musik

 Wilhelm Furtwängler über die Abneigung des "großen" Publikums gegen atonale Musik:

"Diese Abneigung teilt sich jedem mit, der nicht instinktiv bereit ist, sein biologisches Gleichgewicht zu Gunsten intellektueller Einzelsensationen und Einsichten zu opfern. Und das ist doch wohl immer noch der größte Teil derjenigen Menschen, die das sogenannte "große"  Publikum ausmachen."

Sonntag, 4. Januar 2015

Mitmenschlichkeit

 Unsere Mitmenschlichkeit reicht über einen relativ kleinen Kreis nicht hinaus. Das mag ungemütlich und hart klingen, doch in dieser eingeschränkten Trauerfähigkeit liegt auch - und das müssen wir eingestehen - ein Selbstschutz. Würden wir das ständige gewaltsame Hingemachtwerden, dieses unentwegt sinnlose Krepieren von Zigtausenden mit dem Sterben der uns Nahestehenden gleichsam mitempfinden und mit gleicher Intensität verspüren, wir wären wohl zu einem einigermaßen normalen Dasein keineswegs mehr imstande. Daß man mich nicht mißverstehe: ich predige weder Gleichgültigkeit noch Kaltherzigkeit angesichts all dessen, was uns täglich die Presse und die Medien bescheren: wir müssen wahrnehmen, was fremden Menschen angetan wird, denn wir dürfen nicht vergessen, daß einst wir selber fern hausende Fremde gewesen sind, die bestenfalls mit einem Achselzucken bedacht wurden. Und wir dürfen auch niemals vergessen, daß wir in einer unerahnbaren dunklen Zukunft erneut in diese Rolle geraten könnten.

Günter Kunert

Pfründner

 Offen und klar gesagt: Was das Reich der Naturwissenschaft angeht, so besteht es zu neunzig Prozent aus Pfründen, aus hoch dotierten Stellen, aus völlig überflüssigen Forschungsunternehmen, die sich »Gelehrte« zuschanzen, um durch Veröffentlichungen ihr Ego zu stärken.

Günter Kunert

68'er

Kirchliche Jugendgruppen, Gemeinschaft suchende Einzelgänger, sich ihrer Privilegien kurzfristig schämende Söhne und Töchter abgesicherter Bürger, Pazifisten, Hippies, Rocker....und die Vielzahl desorientierter Mitläufer nahmen sich aus Marcuses Lehre, was ihrem Einzel- oder Gruppenbedürfnis entsprach: viel »Große Weigerung« und ein Stückchen »Befriedetes Dasein« oder umgekehrt.

Günter Grass