Donnerstag, 9. Februar 2012

Alter

Zwei wunderbare Passagen von Schopenhauer zu Thema Alter:
 "Man pflegt die Jugend die glückliche Zeit des Lebens zu nennen, und das Alter die traurige. Das wäre wahr, wenn die Leidenschaften glücklich machten. Von diesen wird die Jugend hin und her gerissen, mit wenig Freude und vieler Pein. Dem kühlen Alter lassen sie Ruhe, und alsbald erhält es einen kontemplativen Anstrich: denn die Erkenntnis wird frei und erhält die Oberhand. Weil nun diese, an sich selbst, schmerzlos ist, so Wird das Bewusstsein, je mehr sie darin vorherrscht, desto glücklicher. ….
Die Jugend ist die Zeit der Unruhe; das Alter die der Ruhe: schon hieraus ließe sich auf ihr beiderseitiges Wohlbehagen schließen. Das Kind streckt seine Hände begehrlich aus, ins Weite, nach allem, was es da so bunt und vielgestaltet vor sich sieht: denn es wird dadurch gereizt; weil sein Sensorium noch so frisch und jung ist. Dasselbe tritt, mit größerer Energie, beim ]üngling ein. Auch er wird gereizt von der bunten Welt und ihren vielfältigen Gestalten: sofort macht seine Phantasie mehr daraus, als die Welt je verleihen kann. Daher ist er voll Begehrlichkeit und Sehnsucht in’s Unbestimmte: diese nehmen ihm die Ruhe, ohne welche kein Glück ist. Im Alter hingegen hat sich das alles gelegt; teils weil das Blut kühler und die Reizbarkeit des Sensoriums minder geworden ist; teils weil Erfahrung über den Wert der Dinge und den Gehalt der Genüsse aufgeklärt hat, endlich auch weil man nunmehr tausend Chimären allmälig losgeworden ist, welche früher die freie und reine Ansicht der Dinge verdeckten und entstellten; so dass man jetzt alles richtiger und klarer erkennt und es nimmt für das, was es ist. Durch dies alles ist demnach Ruhe herbeigeführt worden: diese aber ist ein großer Bestandteil des Glücks; wenn nicht gar die Hauptsache.

Ferner meint man, das Los des Alters sei Krankheit und Langeweile. Erstere ist dem Alter gar nicht wesentlich, zumal nicht, wenn dasselbe hoch gebracht werden soll: denn crescente vita, crescit sanitas et morbus. Und was die Langeweile betrifft, so habe ich oben gezeigt, warum das Alter ihr sogar weniger, als die Jugend, ausgesetzt ist: auch ist dieselbe durchaus keine notwendige Begleiterin der Einsamkeit, welcher, aus leicht abzusehenden Ursachen, das Alter uns allerdings entgegenführt; sondern sie ist es nur für diejenigen, welche keine anderen, als sinnliche und gesellschaftliche Genüsse gekannt, ihren Geist unbereichert und ihre Kräfte unentwickelt gelassen haben. Zwar nehmen, im höheren Alter, auch die Geisteskräfte ab: aber wo viel war, wird zur Bekämpfung der Langenweile immer noch genug übrig bleiben. Sodann nimmt, wie oben gezeigt worden, durch Erfahrung, Kenntnis, Übung und Nachdenken, die richtige Einsicht immer noch zu, das Urteil schärft sich und der Zusammenhang wird klar: so hat dann, durch immer neue Kombinationen der aufgehäuften Erkenntnisse und gelegentliche Bereicherung derselben die eigene innerste Selbstbildung, in allen Stücken, noch immer ihren Fortgang, beschäftigt, befriedigt und belohnt den Geist. Durch dieses alles wird die erwähnte Abnahme in gewissem Grade kompensiert. Zudem läuft, wie gesagt, im Alter die Zeit viel schneller; was der Langenweile entgegenwirkt. Die Abnahme der Körperkräfte schadet wenig, wenn man ihrer nicht zum Erwerbe bedarf. Armut im Alter ist ein großes Unglück. Ist diese gebannt und die Gesundheit geblieben; so kann das Alter ein sehr erträglicher Teil des Lebens sein. Bequemlichkeit und Sicherheit sind seine Hauptbedürfnisse: daher liebt man im Alter, noch mehr als früher, das Geld; weil es den Ersatz für die fehlenden Kräfte gibt. Von der Venus entlassen, wird man gern eine Aufheiterung beim Bacchus suchen." 
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 "Mit zunehmendem Alter wird jedoch das sapere aude in diesem Stücke immer leichter und natürlicher, und in den sechsziger Jahren ist der Trieb zur Einsamkeit ein wirklich naturgemäßer,
ja instinktartiger. Denn jetzt vereinigt sich Alles, ihn zu befördern.
 Von tausend Täuschungen und Thorheiten ist man zurückgekommen; das aktive Leben ist meistens abgethan, man hat nichts mehr zu erwarten, hat keine Pläne und Absichten mehr; die Generation, der man eigentlich angehört, lebt nicht mehr; von einem fremden Geschlecht umgeben, steht man schon objektiv und wesentlich allein. Dabei hat der Flug der Zeit sich beschleunigt, und geistig möchte man sie noch benutzen. Denn, wenn nur der Kopf seine Kraft behalten hat; so machen jetzt die vielen erlangten Kenntnisse und Erfahrungen, die allmälig vollendete Durcharbeitung aller Gedanken und die große Übungsfertigkeit aller Kräfte das Studium jeder Art interessanter und leichter, als jemals. Man sieht klar in tausend Dingen, die früher noch wie im Nebel lagen: man gelangt zu Resultaten ....
 In Folge langer Erfahrung hat man aufgehört, von den Menschen viel zu erwarten; da sie,
im Ganzen genommen, nicht zu den Leuten gehören, welche bei näherer Bekanntschaft gewinnen: vielmehr weiß man, daß, von seltenen Glücksfällen abgesehn, man nichts antreffen wird, als sehr defekte Exemplare der menschlichen Natur, welche es besser ist, unberührt zu lassen.
Man ist daher den gewöhnlichen Täuschungen nicht mehr ausgesetzt, merkt Jedem bald an was er ist und wird selten den Wunsch fühlen, nähere Verbindung mit ihm einzugehn. Endlich ist auch, zumal wenn man an der Einsamkeit eine Jugendfreundin erkennt, die Gewohnheit der Isolation und des Umgangs mit sich selbst hinzugekommen und zur zweiten Natur geworden."

A.Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit

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