Dienstag, 29. Januar 2019

DIE WUNDERBARE KUNST EINER KATZE

DIE WUNDERBARE KUNST EINER KATZE 
Von Zen-Meister lto Tenzaa Chuya 
(Übungsanweisung einer altjapanischen Fechtschule, übersetzt aus dem Japanischen von Takeharu Teramoto und Fumio Hashimoto, bearbeitet von Graf Dürckheim) 

Es war einmal ein Fechtmeister namens Shoken. In seinem Hause trieb eine große Ratte ihr Unwesen. Selbst am hellen Tage lief sie herum. Da machte der Hausherr einmal das Zimmer zu und gab der Hauskatze Gelegenheit, die Ratte zu fangen. Die aber sprang der Katze ins Gesicht und biß sie so, daß sie laut schreiend davonlief. So also ging es nicht. Und so brachte der Hausherr einige Katzen herbei, die in der Nachbar­schaft einen tüchtigen Ruf genossen und ließ sie in das Zimmer hinein. Die Ratte kauerte in einer Ecke, und sowie eine Katze ihr nahte, sprang sie sie an, biß sie und schlug sie in die Flucht. So ungestüm sah die Ratte aus, daß die Katzen alle zögerten, sich noch einmal heranzuwagen. Da wurde der Hausherr zornig und lief selber der Ratte nach, um sie zu töten. Sie aber entschlüpfte jedem Hieb des erfahrenen Fechtmeisters, und er konnte sie nicht erwischen. Er schlug dabei Türen, Shojis, Kara­kamis u. a. entzwei. Aber die Ratte huschte durch die Luft - schnell wie ein fahrender Blitz, entging jeder seiner Bewegungen und sprang ihm ins Gesicht und biß ihn. In Schweiß gebadet rief er schließlich sei­nem Diener zu: »Man sagt, sechs bis sieben Cho von hier sei eine Katze, die die tüchtigste in der Welt sei. Geh und hole sie her.« Der Diener brachte die Katze. Sie schien sich nicht viel von den anderen Katzen zu unterscheiden, sah weder besonders klug, noch besonders scharf aus. So traute der Fechtmeister ihr auch nichts Besonderes zu, aber er machte die etwas auf und ließ sie hinein. Ganz ruhig und langsam ging die Katze hinein, so als erwarte sie gar nichts Besonderes. Aber die Ratte fuhr zusammen und rührte sich nicht. Und die Katze ging ganz einfach und langsam auf sie zu und brachte sie im Maul heraus.

Mittwoch, 23. Januar 2019

Hochtief

Schopenhauer:
"Die helle gute Stunde soll der trüben, dumpfen‚ stumpfen das rechte Handeln lehren, durch Aufbewahrung ihrer Resultate im Gedächtnis: und die trübe, dumpfe, stumpfe jener Bescheidenheit, indem wir uns gewöhnlich nur schätzen nach unsern besten hellsten Stunden und die vielen schwachen, dumpfen, erbärmlichen als uns fremd ansehn: Aufbewahrung der Resultate dieser lehrt Bescheidenheit, Demut, Toleranz." 
....mit sich selber.

Samstag, 12. Januar 2019

Das Ganze in der Weise des Teils

 Um zu erkennen, daß man ein Teil des Ganzen ist, ja daß man
selber das Ganze ist in der Weise des Teils, bedarf es eines besonderen  Bewußtseins. Man bedarf eines Bewußtseins, das anders ist als dasjenige, darin das Ganze, in dem man ist und das in einem ist, als ein Gegenüberstehendes da ist, von dem man sich selbst als ein von ihm Getrenntes unterscheidet.... 
So ist es mit dem Blatt und dem Baum. Hat das Blatt von seinem Blattsein nur die Vorstellung, darin es sich abgesetzt sieht vom Baum, dann freilich muß es sich fürchten, wenn der Herbst kommt, es trocknen läßt und endlich wegweht vom Baum, zur Erde fallen läßt und schließlich vergehen zu Staub. Begriffe das Blatt aber, daß es selber der Baum ist in der Weise des Blattes und daß das alljährliche Leben und Sterben des Blattes zum Baum gehört, dann hätte das Blatt wohl ein anderes Lebensbewußtsein. Aber um das wahrhaft von innen zu erkennen, bedarf es wieder jenes inständlichen Bewußtseins, darin es sich selbst in seinem Wesen als eine Weise des Ganzen wahrnehmen und aufgehen kann, das in ihm lebt. Nur wo es sich selbst auch als Baum fühlt in der Weise des Blattes, wird es ohne Widerspruch und Erschrecken mit allen anderen Blättern das Werden und Entwerden vollziehen, darin der Baum sich in einem ewigen „Stirb und Werde“ selbst darlebt. So ist es auch mit der Rebe am Weinstock. „Ja“, sagt die Rebe, „ich hänge am Weinstock. Ich bin die Rebe, und da, wo mein Stiel aufhört, da beginnt dann der Weinstock.“ So sagt sie, wenn sie wie der noch unerwachte Mensch nur im Schema des „Ich-bin-Ich“ und „das-ist-das“ Wirklichkeit wahrnimmt. Es könnte der Rebe aber auch einmal ganz von innen her aufgehen, daß der Weinstock ja auch in ihr ist und sie in ihm, ja daß sie teilhat an ihm - ja daß sie selber der Weinstock ist in der besonderen Weise dieser Rebe und daß ihr eigentliches Wesen, ihr Lebensquell, die Wurzel ihrer Gestalt und ihr Zuhause der Weinstock ist, das Ganze also, von dem sie ein Teil ist. Und daß sie erst,wenn sie das wirklich im Innesein hätte, zu dem ihrem wesengemäßen Selbstbewußtsein gelangt wäre.

K. Graf Dürckheim

Glaube, Werte, Mächte

Glaube ist auch Glaube an die Wissenschaften, an die Medizin, an die Karriere, die beruflichen Ordnungen, die Richter, die Polizei, die Versicherungen. Das Leben des heutigen Menschen ist eine permanente Bekundung laizistischen Glaubens an manchmal viel absurdere und lächerlichere Dinge als jene, die sich von vornherein als im Mysterium begründet erklären.
Trotzdem fällt es mir im Prinzip schwer zu akzeptieren, daß eine Lehre und ein Gebotskatalog, die auf einem transzendentalen Mysterium beruhen, eine bessere Anleitung zu moralischem Handeln sein sollen. Als guter christlicher Aufklärer entdecke ich hinter den Werten die Mächte. Ich habe nichts gegen Mysterien. Aber ich fürchte die Offenbarungen. Ich fürchte das plötzliche Auftauchen und Sichanbieten eines Bedürfnisses, einer Entdeckung, einer neuen Seite der Gesellschaft, der Wissenschaft, der Kunst oder der Kultur und das ebenso schroffe Auftreten der Repression, der aggressiven Zensur abweichender Verhaltensweisen oder solcher, die einer eigenständigen Norm gehorchen, einer, die sich in ihrer Evidenz und Autonomie als wahr und rein erweist.

Claudio Martelli, italienischer Politiker (PS)