Donnerstag, 27. August 2020

Extreme Mitte

 Das Wesen der Kunst ist nicht das Extreme, sondern die Mitte. Über die Grenzen hinauszubrechen ist einfach. Die Mitte zu treffen ist schwer.

H. Rosendorfer

Ist natürlich ein totaler Antagonismus zum gegenwärtigen Verständnis von Kunst.

 

 

Mittwoch, 26. August 2020

Bei Betrachtung der auf dem Fensterbrett schlafenden Katze

 "Was tut eine Katze? Sie frißt, sie jagt, sie tobt herum, sie lauert. Sie denkt nicht. Natürlich geht in ihrem Gehirn etwas vor, aber wir täuschen uns, wenn wir meinen, sie denke. Sie denkt nicht, denn sie hat keine Begriffe. Denken heißt: Instinkte in Begriffe verwandeln. (Der Denkansatz bei der Entschlüsselung der artificial intelligence, der die Entschlüsselung der natürlichen Intelligenz vorausgehen muß, also die Antwort auf die Frage: haben Computer eine Intelligenz?, ist falsch, weil er an der Begriffseite beginnt; er müßte an der Instinktseite anfangen.) Ein Bein und der Schwanz hängen übers Fensterbrett herunter. Über die Silhouette erhebt sich nur ein Ohr. Wenn sie weder frißt, jagt, tobt und so fort, schläft sie.

Wecken hieße: sie ein klein wenig töten. Nicht nur die Katze, jedes Lebewesen. Ein gewaltsames oder auch nur durch unberechenbare äußere Einflüsse herbeigeführtes Ende einmal beiseite gelassen, hat jedes Lebewesen, vermute ich, ein zugewiesenes Maß an Lebenskraft, das sich im Lauf seines Lebens verbraucht; und dann erlischt es, das Leben. Wenn das Lebewesen schläft, verbraucht es keine Lebenskraft oder vielleicht nur ganz, ganz wenig. Was es schläft, lebt es länger. Mozart hat so wenig geschlafen, heißt es. Wenn er mehr geschlafen hätte, hätte er vielleicht länger gelebt, aber mehr geschrieben hätte er auch nicht, denn im Schlaf hat er nicht geschrieben, das nicht; unter allen möglichen Umständen hat er geschrieben, aber im Schlaf nicht.

Langgestreckt, schwarz, seidig glänzendes Fell, tief atmend, draußen der leichte Nebel auf der herbstlichen Wiese. Nicht wecken: sie verlängert grad ihr Leben."

H. Rosendorfer

Dazu passt:

Muezza (arabisch معزة) war nach der Überlieferung die Katze des islamischen Religionsstifters Mohammed. Über sie existieren einige Legenden: Um das in seinem Arm schlafende Tier nicht zu wecken, soll Mohammed ohne Zögern den Ärmel seines Gewandes abgeschnitten haben, als er zum Gebet gerufen wurde.



Dienstag, 18. August 2020

Die unverstehbare Macht.

 "Über die Religion haben die Menschen seit alter Zeit im­mer menschlich gedacht; und diejenige von diesen Vorstel­lungen scheint mir noch die wahrscheinlichste und ent­schuldbarste, die in Gott eine unverstehbare Macht sieht, den Schöpfer und Bewahrer aller Dinge…

Wieviel folgsamer und lenksamer sind, sowohl auf reli­giösem wie auf politischem Gebiet, einfache Menschen ohne besonderen Wissensdrang als die Geister, die bei allen gött­lichen und menschlichen Dingen die Gründe erkennen und überwachend und erziehend in sie eingreifen wollen. Nichts, was Menschen erfunden haben, ist so wahrheitsnah und nützlich wie eine solche Hingabe: sie stellt den Men­schen nackt und leer hin, wie er ist; sie erkennt seine natür­liche Schwäche und ist deshalb bereit, von oben her eine fremde Macht auf sich einwirken zu lassen; sie ist nicht mit menschlichem Wissensdrang belastet und darum um so of­fener für göttliche Erkenntnis; sie achtet die eigene Urteils­kraft gering und gibt dadurch dem Glauben mehr Raum; sie verleitet nicht zum Unglauben und zur Bildung von Dog­men, die der üblichen Religionsübung zuwiderlaufen; sie macht demütig, gehorsam, eifrig, sie ist die geschworene Feindin jeder Häresie und infolgedessen gefeit gegen die re­spektlosen Irrlehren, die von falschen Sekten verbreitet wer­den. Sie ist wie ein weißes Blatt, auf das Gottes Finger schreiben kann, was er will. Wir werden um so vollkomme­ner, je mehr wir uns dem Willen Gottes unterstellen und uns ihm hingeben und damit auf unser Selbst Verzicht lei­sten. «Nimm«, sagt der Ecclesiasticus, «die Dinge in gutem Sinne, so wie sie sich gerade bieten, wie sie gerade heute aussehen und munden; das übrige ist für dich nicht erkenn­bar».

Der Menschengeist hat keinen Halt, wenn er sich in der Unbegrenztheit gestaltloser Gedanken bewegt: er muß sie zu bestimmten Bildern verdichten, die seiner Welt entnommen sind. So hat sich die göttliche Maje­stät in das beschränkte Bild einer körperlichen Erscheinung bannen lassen: seine unirdische Helligkeit wird durch Zei­chen angedeutet, die unserer Irdischkeit entsprechen: seine Anbetung kommt zum Ausdruck in einem Gottesdienst, den man sehen, und in Worten, die man hören kann: denn es sind Menschen, die glauben und beten; jedenfalls wird schwerlich je­mand mich überzeugen, daß nicht eine warme religiöse Stimmung, die sehr nützlich wirkt, von ihr ausgelöst wird: vom Anschauen der christlichen Kruzifixe und der Bilder der Leidensgeschichte, vom Schmuck und den rituellen Be­wegungen In unseren Kirchen, von dem andächtigen Ge­sang und überhaupt von dem sinnlichen Reiz des Gottesdienstes.

 Wie die Mohammedaner sind auch manche Christen dem Irrtum verfallen, daß sie nach der Auferstehung ein irdisches, weltliches Leben erhofften, mit allen Freuden und Annehmlichkeiten der Erde. Glauben wir, daß Plato, der doch vom Himmel etwas ahnte und der mit dem Göttlichen so vertraut war, daß dies in seinem Beinamen zum Aus­druck kam, gemeint habe, der Mensch, dieses arme Ge­schöpf, könne diese unverstehbare Macht irgendwie deu­ten und daß er geglaubt habe. unser schwaches Fassungsvermögen sei geeignet und die Kraft unserer ausreichend, um uns eine Vorstellung von der oder der ewigen Verdammnis zu ermöglichen. Im Namen der Menschenvernunft müßte man dann so zu ihm spre­chen: Wenn die Freuden, die du uns im anderen Leben versprichst, derart sind, wie ich sie hier auf Erden gefühlt habe, so haben sie nichts mit der Ewigkeit zu tun. Wenn auch meine natürlichen fünf Sinne überglücklich gemacht wür­den und meine irdische Seele alles Glück erführe, das sie hoffen und wünschen kann, so kennen wir doch ihre Be­grenzung; das wäre dann alles noch nichts; wenn noch etwas Persönliches darin ist, ist nichts Göttliches dabei; wenn alles das nichts anderes ist, als was wir auch im jetzigen Leben er­fahren können, so kann es nicht in Betracht kommen: „Alles Glück der Sterblichen ist sterblich", das Wiedersehen mit unseren Eltern, unseren Kindern und Freunden, angenom­men, es könnte in der anderen Welt uns noch berühren und beglücken, und angenommen, es läge uns dann noch etwas an dieser Freude, so bleiben wir immer im Rahmen irdi­scher und begrenzter Annehmlichkeiten. Ihrer Würde ent­sprechend können wir die Größe der göttlichen Verheißun­gen nicht erfassen, solange wir sie noch irgendwie erfassen können; wenn wir uns eine angemessene Vorstellung davon bilden wollen, muß sie unvorstellbar, unsagbar und unver­stehbar sein, jedenfalls ganz abweichend von allem, was un­sere elende Erfahrung uns lehrt."

Montaigne

Siehe auch:  https://kumpfuz.blogspot.com/2018/12/alles-symbole.html