Mittwoch, 30. August 2017

Rollenspiel

"Die meisten unserer Unternehmungen sind Gaukelpossen.
 »Die ganze Welt spielt Komödie.« (Petronius) 
Wir sollen unsere Rolle gehörig spielen, aber nie vergessen, daß es nicht unsere Kleider sind."
Montaigne, Essais


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Einstellungssache

"An mich wendet sich ein alter praktischer Arzt; vor einem Jahr ist ihm seine über alles geliebte Frau gestorben, und über diesen Verlust kann er sich nicht hinwegsetzen. Ich frage den schwerst deprimierten Patienten, ob er sich überlegt habe, was geschehen wäre, wenn er selbst früher als seine Frau gestorben wäre. ,,Nicht auszudenken“, antwortete er, ,,meine Frau wäre verzweifelt ge-
wesen.“ Nun brauchte ich ihn nur darauf aufmerksam zu machen: ,,Sehen Sie, dies ist Ihrer Frau erspart geblieben, und Sie haben es ihr erspart, freilich um den Preis, daß nunmehr Sie ihr nachtrauern müssen.“ Im gleichen Augenblick hatte sein Leiden einen Sinn bekommen: den Sinn eines Opfers. Am Schicksal konnte nicht das geringste geändert werden; aber die Einstellung hatte sich gewandelt! Das Schicksal hatte ihm abverlangt, sich von der Möglichkeit, durch Lieben Sinn zu erfüllen, zurückzuziehen; aber die Möglichkeit war ihm geblieben, sich auch diesem Schicksal zu stellen, sich richtig einzustellen."

V. E. Frankl

Samstag, 26. August 2017

Schlechteres Fernsehen

"Ich halte nicht viel von Anregungen zur qualitativen Verbesserung der Fernsehsendungen. Wie ich schon angedeutet habe, ist das Fernsehen für uns dort am nützlichsten, wo es uns mit »dummem Zeug« unterhält - und am schädlichsten ist es dort, wo es sich ernsthafte Diskursmodi - Nachrichten, Politik, Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft, Religion - einverleibt und sie zu Unterhaltungsstrategien bündelt. Wir alle stünden besser da, wenn das Fernsehen schlechter wäre, nicht besser."
Neil Postman

Donnerstag, 24. August 2017

Ordnung ist das halbe Leben

Die andere Hälfte ist Unordnung.

Leben ist Zeit

.-.

Relativ absolut

"So haben wir, wenn sich uns eine neue Lehre verstellt, große Ursache, mißtrauisch zu sein und zu bedenken, daß, bevor sie gemacht wurde, eine andere im Schwange war; und daß, so wie diese von jener umgeworfen ist, in Zukunft eine dritte entstehen könnte, die der zweiten gleicherweise den Stoß versetzt. Bevor die Grundsätze, die Aristoteles eingeführt hat, in Ansehen kamen, war die menschliche Vernunft mit anderen so zufrieden wie wir heute mit denen des Aristoteles."
..............
"Was ist das für eine Sittlichkeit‚ die ich heute in Geltung sehe und morgen nicht mehr, die zum Verbrechen wird, wenn man den Fluß überquert? Was ist das für eine Wahrheit, die an den Bergen aufhört und in der Welt dahinter als Lüge gilt?"
............
 "Schließlich, weder wir noch die Gegenstände haben eine beständige Wirklichkeit. Wir, unser Urteil, alle sterblichen Dinge fließen und rollen ohne Unterlaß fort. Also kann man nicht mit Sicherheit von einem auf das andere schließen und der Urteilende und das Beurteilte schaukeln und verändern sich andauernd. Wir haben keine Beziehung zum Sein, weil die ganze Natur des Menschen beständig in der Mitte zwischen Geburt und Tod steht, nichts als einen dunklen Schein und Schatten wirft und eine ungewisse schwache Meinung. Und wenn man etwa einmal seine Gedanken darauf richtet, ihr Wesen zu fassen, so ist es nicht mehr oder weniger, als wenn jemand das Wasser fassen wollte: je mehr er zusammendrückt und festhält, was seiner Natur nach durch alles hindurchfließt, um so mehr wird er verlieren, was er ergreifen und festhalten wollte. Weil demnach alle Dinge dem Übergang von einer Veränderung zur nächsten unterworfen sind, findet sich auch die Vernunft betrogen, wenn sie darin eine greifbare Substanz sucht; denn sie kann nichts Dauerndes und Bleibendes ergreifen, weil alles entweder entsteht und noch nicht ist oder schon zu sterben beginnt, bevor es noch geboren wurde.
( ... ) Die Blüte des Lebens stirbt und vergeht, wenn das Alter eintritt, und die Jugend endet in der Blüte des Mannesalters, die Kindheit in der Jugend und das Säuglingsalter in der Kindheit, und der gestrige Tag stirbt im heutigen, und der heutige wird im morgigen sterben; und es ist nichts, das bleibt, und nichts, was immer eines wäre. ( ... ) Ebenso geht es der Natur, die gemessen wird, und der Zeit, die sie mißt. Denn auch in ihr ist nichts, das bliebe oder Bestand hätte; sondern alle Dinge in ihr sind entweder geboren oder werden geboren oder sterben. Deshalb wäre es eine Sünde, von Gott, welcher allein ist, zu sagen: er war oder er wird sein. Denn diese Ausdrücke bezeichnen die Wandlungen, die Übergänge und die Vergänglichkeit dessen, was nicht dauern noch seine Wirklichkeit behalten kann. Daher muß man schließen, daß Gott allein ist, nicht nur nach irgendeinem Maß der Zeit, sondern in einer unveränderlichen und unbewegten Ewigkeit, die von keiner Zeit gemessen wird und keiner Wandlung unterworfen ist. Vor dem nichts ist, nach dem nichts sein wird, in welchem kein Ding neuer oder jünger als ein anderes ist; sondern er ist ein wirklich Seiendes, das durch ein einziges Jetzt das Immerdar ausfüllt; und es gibt nichts, was wirklich ist, als ihn allein, ohne daß man sagen könnte: Er war; oder: Er wird sein; ohne Anfang und ohne Ende." 

(die letzten Sätze sind eine Paraphrase von Plutarchs "De E apud delphos")
Montaigne, Essais.

Montag, 21. August 2017

Desinformation

"Wir stehen hier vor der Tatsache, daß das Fernsehen die Bedeutung von »Informiertsein« verändert, indem es eine neue Spielart von Information hervorbringt, die man richtiger als Desinformation bezeichnen sollte. Ich gebrauche dieses Wort fast in demselben Sinne, wie Spione der CIA oder des KGB es benutzen. Desinformation ist nicht dasselbe wie Falschinformation. Desinformation bedeutet irreführende Information ---unangebrachte, irrelevante, bruchstückhafte oder oberflächliche Information  ---, Information, die vortäuscht, man wisse etwas, während sie einen in Wirklichkeit vom Wissen weglockt."
Neil Postman 

Sonntag, 20. August 2017

Moving target

Die Wahrheit ist ein bewegliches Ziel, sie weicht immer mehr zurück, je näher wir ihr zu kommen glauben und sie bleibt auch nicht immer in der Achse.

Samstag, 19. August 2017

Informationswelt

„ …der größte Teil der täglichen Nachrichten bleibt wirkungslos, besteht aus Informationen, über die wir reden können, die uns jedoch nicht zu sinnvollem Handeln veranlassen. Dies ist das wichtigste Vermächtnis des Telegraphen: Dadurch, daß er eine Fülle irrelevanter Informationen hervorbrachte, hat er das proportionale Verhältnis zwischen Information und Aktion drastisch verändert…..In der Situation, die die Telegraphie erzeugt hat und die durch später entstandene Technologien weiter verschärft wurde, hat sich die Beziehung zwischen Information und Handeln verflüchtigt und ist ungreifbar geworden, Denn zum erstenmal in der Geschichte stehen die Menschen vor dem Problem, daß sie mit Informationen übersättigt sind, und damit gleichzeitig vor dem anderen Problem, daß sich ihre soziale und politische Handlungsfähigkeit verringert hat. Was das bedeutet, kann man sich klarmachen, indem man die folgenden Fragen beantwortet: Welche Maßnahmen planen Sie zur Eindämmung der Konflikts im Mittleren Osten? Oder zur Senkung der Inflationsrate, der Kriminalitätsrate, der Arbeitslosenquote? Wie sehen Ihre Pläne für den Schutz der Umwelt oder die Verminderung der Gefahr eines Atomkrieges aus? Was planen Sie, im Hinblick auf die NATO, die OPEC….zu tun? Ich bin so frei und antworte an Ihrer Stelle: Sie planen gar nichts. Vielleicht geben Sie jemandem ihre Stimme, der behauptet. solche Pläne zu haben und sogar die Macht, sie zu verwirklichen. Aber das können Sie nur alle vier Jahre tun, nicht gerade ein befriedigendes Mittel, um die vielfältigen Ansichten zum Ausdruck zu bringen, die Sie vertreten. Man könnte das Wählen sogar die vorletzte Zuflucht der politischen Ohnmacht nennen. Die letzte Zuflucht besteht natürlich darin, die eigene Meinung einem Meinungsforscher zu offenbaren, der sich mit seinen dürren Fragen eine eigene Version von ihr zurechtlegt, sie in einen riesigen Topf, angefüllt mit ähnlichen Meinungen, kippt und schließlich eine neue Meldung daraus macht, was denn sonst? Das ist der große Kreislauf der Ohnmacht: Die Nachrichten entlocken uns eine Vielfalt von Meinungen, mit denen wir nur eines tun können sie wiederum als Stoff für weitere Nachrichten anbieten, mit denen wir ebenfalls nichts anfangen können.

Vor dem Zeitalter der Telegraphie war die Verbindung zwischen Information und Handlungsfähigkeit noch so eng, daß die meisten Menschen glaubten, zumindest einige der Wechselfälle ihres Daseins beherrschen zu können. Worüber die Menschen Bescheid wußten, das hatte einen Handlungswert. In der lnformationswelt, die die Telegraphie hervorgebracht hat, ist das Gefühl, handlungsfähig zu sein, gerade deshalb verloren gegangen. weil die ganze Welt zum Kontext für die Nachrichten geworden ist. Von nun an ging jeden alles an. Zum erstenmal wurden uns Informationen übermittelt, die lauter Antworten auf ungestellte Fragen gaben und die uns jedenfalls kein Recht zur Erwiderung einräumten.

Der Beitrag des Telegraphen zum öffentlichen Diskurs. so könnte man sagen, bestand darin, der Belanglosigkeit zu Ansehen zu verhelfen und die Ohnmacht zu verstärken. Die eigentliche Stärke des Telegraphen bestand darin, Informationen zu übermitteln, nicht darin, sie zu sammeln, zu erläutern oder zu analysieren. In dieser Hinsicht war die Telegraphie das genaue Gegenteil des Buchdrucks. Bücher zum Beispiel sind ausgezeichnete Behältnisse für die Anhäufung, die gelassene Sichtung und systematische Analyse von Informationen und Ideen. Ein Buch schreiben und ein Buch lesen, das braucht Zeit; es braucht Zeit, seinen Inhalt zu erörtern und sich ein Urteil über seinen Wert und über die Form seiner Darstellung zu bilden. Ein Buch ist der Versuch, dem Denken Dauer zu verleihen und einen Beitrag zu dem großen Gespräch zu leisten, das die Autoren der Vergangenheit mit der Gegenwart führen. Überall halten zivilisierte Menschen das Verbrennen von Büchern deshalb für einen der schlimmsten Exzesse von Anti-lntellektualismus. Der Telegraph jedoch verlangt geradezu, daß wir seine Inhalte verbrennen. Der Wert der Telegraphie wird unterhöhlt, wenn man sie im Hinblick auf die Dauerhaftigkeit, Kontinuität und Kohärenz ihrer Inhalte prüft. Der Telegraph eignet sich nur zur blitzartigen Übermittlung von Botschaften, die sogleich wieder von aktuelleren Botschaften verdrängt werden. Fakten drängen sich ins Bewußtsein und werden von anderen wieder verdrängt, und zwar mit einem Tempo, das eine eingehende Prüfung weder zuläßt noch fordert.
……………. Ich möchte an konkreten Beispielen zeigen, daß zwischen der Art, wie das Fernsehen mit Wissen umgeht, und der Art, wie der Buchdruck dies tut, eine unversöhnliche Gegnerschaft besteht; daß die Kommunikationsformen des Fernsehens der Inkohärenz und Trivialität Vorschub leisten; daß der Ausdruck »seriöses Fernsehen« ein Widerspruch in sich ist; und daß das Fernsehen immer im gleichen Tonfall spricht: im Tonfall der Unterhaltung. Außerdem möchte ich zeigen, daß in Amerika eine kulturelle Institution nach der anderen die Sprache der großen Fernsehkommunikation erlernt, um sich an ihr beteiligen zu können. Mit anderen Worten, das Fernsehen ist dabei, unsere Kultur in eine riesige Arena für das Showbusiness zu verwandeln. Es ist natürlich möglich, daß wir das am Ende ganz herrlich finden und es gar nicht mehr anders haben wollen. Genau das hat Aldous Huxley vor fünfzig Jahren befürchtet." 
Auszüge aus: Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode.

Freitag, 18. August 2017

Modus vivendi

Alternative Lebensform: Kontrollierter Scheißdrauf, möglichst geruchsfrei.
Und im Übrigen:

Speed

".... die Telegraphie tat etwas, was Morse nicht vorhergesehen hatte, als er prophezeite, sie werde »das ganze Land in eine einzige Nachbarschaft verwandeln«. Sie zerstörte die bis dahin geläufige Definition von Information und gab so dem öffentlichen Diskurs eine neue Bedeutung. Zu den wenigen, die diese Folgewirkung erkannten, gehörte Henry David Thoreau, und in seinem Buch Walden schrieb er: »Wir beeilen uns sehr, einen magnetischen Telegraphen zwischen Maine und Texas zu konstruieren, aber Maine und Texas haben möglicherweise gar nichts »Wichtiges miteinander zu besprechen. [. . .] Wir beeilen uns, den Atlantischen Ozean zu durchkabeln, um die Alte Welt der Neuen ein paar Wochen näher zu rücken; vielleicht lautet aber die erste Nachricht, die in das große amerikanische Schlappohr hineinrinnt: Prinzessin Adelheid hat den Keuchhusten.«.
Wie sich zeigte, hatte Thoreau ganz recht. Er begriff, daß der Telegraph seine eigene Definition von Diskurs hervorbringen würde, daß er einen Austausch zwischen Maine und Texas nicht nur möglich machen, sondern auf ihm bestehen würde....."
Neil Postman

"Sehe keinen Vorteil dabei, wenn eine Stunde früher in Potsdam".
Friedrich Wilhelm III bei der Eröffnung der Eisenbahn Berlin-Potsdam 1838.


"I hob zwoar ka Ohnung wo i hinfoahr,
Aber dafür bin i gschwinder duat".
Bronner/Qualtinger 

Donnerstag, 17. August 2017

Vodoo

"Ich kann unmöglich alles wissen, was geschieht bzw. was hinter den Dingen steckt. Ich gehe davon aus, dass mir sehr viel verschlossen ist.
Ich glaube z.B. selbst nicht an die Wandlung der katholischen Hostie, bin mir aber sicher, dass bei dieser Sache in der Messe etwas passiert, was jenseits meines eigenen Erfahrungsbereiches liegt, weil ich keinen Zugang dazu habe, persönlich. Darum würde ich auch niemals in profaner oder abfälliger Weise von der Hostie reden (Keks, Löschpapier), sondern den korrekten Ausdruck verwenden, den Katholiken selbst verwenden. Alles andere käme mir einer Entheiligung gleich. Sowas habe ich auch nicht nötig, so herablassend zu sein.
Ich würde mich nie mit einem Vodoo-Schamanen anlegen, und ich weiß, dass Leute gestorben sind, weil sie von einem südamerikanischen Indio-Medizinmann verwünscht wurden.
Wenn ein Christ mir sagt, er glaube, dass Jesus übers Wasser gehen konnte, habe ich kein Problem damit, das als Wunder zu sehen. Warum sollte das nicht so sein? Wer bin ich, dass ich glaube, alles zu wissen und darüber endgültige Urteile abzugeben?
Eine Welt ohne Wunder und spirituelle Geschehnisse ist für mich eine kalte und lieblose Welt, in der ich nicht leben möchte. Sorry.
Und ich tue m. E. gut daran, anderen zuhören, wenn sie von Wundern und von ihren Religionen erzählen und ihren Kulturen erzählen und sie für ernst zu nehmen. Auch wenn ich sie nicht selbst erleben kann oder sie nachvollziehen oder sie in meine eigene Spiritualität übertragen kann.
Ich kann auch nicht die wundersamen Traumstraßen der australischen Aborigines abgehen, weil ich dazu keinen Zugang habe, aber ich gehe davon aus, dass sie trotzdem existieren, und ich bin froh über sie, und bin unendlich froh, dass sie sie nicht nicht unter dem Druck der westlichen Welt aufgegeben haben nachzugehen. Unsere Welt wäre sonst um eine Dimension ärmer geworden.
Ich meine, man muss nicht überall mitmischen, um was zu kapieren oder Dinge für ernst zu nehmen. Mir langt es, wenn andere Menschen Dinge ernst nehmen und dies mir vermitteln können."
8. März 2007 von "Long John Silver" (alias aus einem deutschen Blog)

Vom "Vibrato" abgesehen ungefähr auch meine Position.

Dienstag, 15. August 2017

Verstand

In einem Streitgespräch über religiöse Fragen lehnt einer der Teilnehmer die Existenz alles Übernatürlichen radikal ab.
 
«Sie glauben also an gar nichts?» fragt ihn ein Geistlicher.
«Ich glaube nur an das, was ich mit meinem Verstand begreifen kann.» 
Der Geistliche zuckt mit den Achseln und sagt: «Nun ja, das kommt letzten Endes aufs gleiche
heraus.»

*
«Solange ich Gott nicht sehen kann, leugne ich seine Existenz», sagte ein Atheist zu einem Pfarrer.
«Wenn das Ihr einziges Argument ist », antwortete der, «dann leugne ich aus dem gleichen Grund Ihren Verstand.»
*
Stoßgebet eines Skeptikers: «Gott, wenn es dich gibt, rette meine Seele, wenn ich eine hab’! »
*
Ein notorischer Zweifler betritt mit einem Freund eine wegen ihrer Kunstwerke berühmte Kirche und beugt beim Eintritt das Knie.
«Ich denke, du glaubst nicht an Gott? » sagt der Freund.
«Natürlich nicht », sagt der andere. «Aber weiß ich denn, ob ich recht habe? »

Abstand

"Wenn man älter wird, gewinnt man Abstand zu den Dingen. Und die Wichtigkeiten verschieben sich. Das Wichtige rückt ins Zentrum. Was unwichtig ist oder war, verschwindet in Randbezirke. Vieles, was einen früher quälte, schmerzt nicht mehr."
Inge Borkh 

Freitag, 11. August 2017

Zunftsprache

"Es stimmt eben nicht, daß der Fortschritt der Wissenschaften oder neue Entwicklungen in anderen Bereichen das antike Wort auf den Plan rufen müßten; es liegt nicht im Wesen griechischer oder neuerdings englischer Silben, dehnbarer zu sein als deutsche Silben. Auch auf deutsch läßt sich freilich mit Zunftvo­kabeln trefflich protzen: Man stößt ja auf Leute, die eigens Jura studiert zu haben scheinen, damit sie das schöne deutsche Wort "Vernehmung" zur Einvernahme entstellen können.
Die Experten und ihre Nachbeter grenzen sich auf diese Weise hochmütig von den Laien ab, sie erkennen einander am Zunft­jargon und steigern ihr Lebensgefühl durch die berechtigte Hoff­nung, die Mehrheit ihrer Mitbürger vom Verständnis auszu­schließen. Falls sie eine Professur anstreben, müssen sie sich des Jargons bedienen, damit sie von den anderen Experten ernst ge­nommen werden; zumal in Disziplinen wie der Linguistik oder der Soziologie, von denen ja wenig übrigbliebe, wenn man ihnen das Vokabular entzöge. Wer massenmediale Phänomene untersucht, teilt unüberhörbar mit, daß er Kommunikationswissenschaft studiert hat, und wer einen relaunch abchecken kann, darf sich der Gilde der Marktforscher zurechnen." 
Wolf Schneider
___________
Als normaler Sterblicher hat man in manchen Bereichen keine Chance, wenn man sich nicht des Zunftjargons bedienen kann, z. B. im Gesundheitswesen oder vor Gericht. Bei letzterem ist man praktisch gezwungen, einen Anwalt zu nehmen, auch wenn man unschuldig ist, sonst geht man als zumindest Teilschuldiger hinaus.

Sonntag, 6. August 2017

Donnerstag, 3. August 2017

Durchschuss

In der WZ vom 31.7.  ein Artikel über die Anwendung von KI in Literatur und Zeitungswesen:
http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/medien/908074_Literatur-aus-dem-Automaten.html
"Computerprogramme verfassen nicht nur standardisierte Texte, sondern analysieren auch narrative Muster literarischer Werke."
Das wird insbesondere die Zeitungsherausgeber freuen:  Da kommt die Information schon fertig aufbereitet von der Agentur und braucht in der Redaktion nur mehr mit Meinung durchschossen und mit Ideologie nach Art des Hauses abgeschmeckt werden.
Aber auch das wird über kurz oder lang der Computer übernehmen, menschliche Redakteure sind einfach nicht so berechenbar.

https://de.wikipedia.org/wiki/Zeilendurchschuss

Mittwoch, 2. August 2017

Es

"Wie wir  schon sahen, ist nichts ernüchternder als eine erfüllte Hoffnung, und nichts trügerischer als eine versagte.
Er hatte also den Punkt erreicht, daß er sich seines Suchens voll bewußt war, und damit auch seiner ewigen Frage an alle Inhalte und Aspekte der Welt: Ist es das? Und nun ergab sich eines Tages ein ganz kleiner Wandel; eben einer von jenen, die so klein sind, daß sie Großes herbeiführen. So unwahrscheinlich es klingen mag, es war die winzige Verschiebung der Betonung von das auf es, wodurch die Frage plötzlich »Ist es das?« lautete. Und sofort kam ihm die Antwort: Kein »Das«, kein Ding da draußen in der Welt, kann je mehr als ein Name des Es sein - und Namen sind Schall und Rauch. In diesem Augenblick fiel die Trennung zwischen ihm und es weg; zwischen Subjekt und Objekt, wie die Philosophen sagen würden. Kein Das konnte je dieses Es sein. Was die Welt nicht enthält, kann sie auch nicht vorenthalten, sagte er zu seinem eigenen Erstaunen immer wieder vor sich hin; und dazu noch die für ihn merkwürdig bedeutungsvollen Worte: Ich bin icher als ich. Auf einmal war es ihm klar, daß die Suche der einzige Grund des bisherigen Nichtfindens gewesen war; daß man da draußen in der Welt nicht finden und daher nie haben kann, was man immer schon ist. 
Und damit erfüllte sich für ihn jenes Wort der Apokalypse, wonach die Zeit nicht mehr sein wird - und er stürzte in die zeitlose Fülle des gegenwärtigen Augenblicks. 
Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde stand er in dieser Zeitlosigkeit, denn um sie zu bewahren, verfiel er sofort auf die Patendlösung, dem Erlebnis einen Namen zu geben und nach seiner Wiederholung zu suchen ..."

P. Watzlawick, Vom Schlechten des Guten.