Samstag, 4. Februar 2012

Die Bühne + Die Josefstadt

BRIEF an "BÜHNE" und JOSEFSTADT-Direktion:

Ich bekomme die Zeitschrift "Die Bühne" unverlangt als Abonnent der Josefstadt. Bis jetzt habe ich mich immer nur über den boulevardesken Stil dieserZeitschrift geärgert – zu viele Adjektive und Superlative für meinen Geschmack. Während der vorangegangenen Chefredaktion näherte sich „Die Bühne“ manchmal bedenklich dem Niveau von „BRAVO“ (Ausgabe Hochkultur). Als ich aber aus der Jubiläumsnummer erfuhr, daß die Wurzeln der Zeitschrift in den Bekessy-Sümpfen liegen, war mir dann wieder alles klar („Karl Kraus – schau oba“)!

Nun stellen Sie sich in Ihrem Editorial entschlossen hinter die Direktion der Josefstadt, die sich „entschlossen hat, dem Thema Vergangenheitsbewältigung im Frühjahr einen eigenen Schwerpunkt zu widmen“.

Darf ich mir die Frage erlauben, WESSEN Vergangenheit hier eigentlich bewältigt werden soll? Ihre eigene kann ja wohl nicht gemeint sein, weil Sie doch kaum vor den 50-iger-Jahren geboren und somit über jeden Verdacht erhaben sind. Diejenigen aber aus Ihrem Leserkreis, welche die Nazizeit bewußt erlebt und mitgemacht haben, sind weit in den Achtzigern; dieser überlebende Rest ist als Zielgruppe doch schon sehr klein und hat wohl schwerere Sorgen als diesen Ihren Schwerpunkt. Oder wollen Sie die Vergangenheit der Toten bewältigen?

Bleibt als Rest also nur meine Altersgruppe, heute so rund um den Siebziger: Haben die in den Jahren 38-45 Geborenen Ihrer Ansicht nach bereits als Kleinkinder soviel verwerfliches Gedankengut unbewußt aus der Muttermilch oder aus der Luft in sich hineingesogen, daß sie jetzt Ihrer Bewältigungs-Therapie bedürftig sind?

Als Jahrgang 1943 muss ich allerdings gestehen, daß ich (wie viele andere meiner Generation) in meiner Jugend und danach mich v. a. der Bewältigung der Zukunft gewidmet habe; daß daraus eine Gegenwart geworden ist, die den jetzigen Generationen nicht mehr gefällt, ist sehr zu bedauern, hat allerdings m. E. andere Gründe als eine unbewältigte Vergangenheit, für die man ja doch wohl erst nach der Kindheit verantwortlich gemacht werden kann. Aber schon immer waren die Väter schuld.

Ich bin es wirklich leid, andauernd via Zeitungspapier, Bühnenbretter, Radio und TV moralische Standpauken aufgedrängt zu bekommen – hauptsächlich deswegen, weil ich die Bevölkerungsgruppe der Künstler und Journalisten (ganz so wie die Politiker) ganz einfach nicht als moralische Instanzen akzeptiere; dazu habe ich zuviel Kontakte in diese Welt gehabt. Für mich beginnt die Anständigkeit in meinem familiären und beruflichen Umfeld, und nur wer das halbwegs „hinkriegt“, hat für mich die Berechtigung, sich zum Sittenrichter über andere aufzuschwingen.

Keine Kommentare: