Mittwoch, 25. Dezember 2019

Der Zweifler

Der Zweifler
Immer wenn uns
Die Antwort auf eine Frage gefunden schien
Löste einer von uns an der Wand die Schnur der alten
Aufgerollten chinesischen Leinwand, so daß sie herabfiele und
Sichtbar wurde der Mann auf der Bank, der
So sehr zweifelte.
Ich, sagte er uns
Bin der Zweifler, ich zweifle, ob
Die Arbeit gelungen ist, die eure Tage verschlungen hat.
Ob, was ihr gesagt, auch schlechter gesagt, noch für einige Wert hätte.
Ob ihr es aber gut gesagt und euch nicht etwa
Auf die Wahrheit verlassen habt dessen, was ihr gesagt habt.
Ob es nicht vieldeutig ist, für jeden möglichen Irrtum
Tragt ihr die Schuld. Es kann auch eindeutig sein
Und den Widerspruch aus den Dingen entfernen; ist es zu eindeutig?
Dann ist es unbrauchbar, was ihr sagt. Euer Ding ist dann leblos
Seid ihr wirklich im Fluß des Geschehens? Einverstanden mit
Allem, was wird? Werdet ihr noch? Wer seid ihr? Zu wem
Sprecht ihr? Wem nützt es, was ihr da sagt? Und nebenbei:
Läßt es auch nüchtern? Ist es am Morgen zu lesen?
Ist es auch angeknüpft an vorhandenes? Sind die Sätze, die
Vor euch gesagt sind, benutzt, wenigstens widerlegt? Ist alles belegbar?
Durch Erfahrung? Durch welche? Aber vor allem
Immer wieder vor allem anderen: Wie handelt man
Wenn man euch glaubt, was ihr sagt? Vor allem: Wie handelt man?
Nachdenklich betrachteten wir mit Neugier den zweifelnden
Blauen Mann auf der Leinwand, sahen uns an und
Begannen von vorne.
Bert Brecht

Dabei kann B. B. ja Karl Popper noch gar nicht gelesen haben.....?

Montag, 23. Dezember 2019

Das ist Fontane!

 Daß diese verstehende Güte bei Fontane nicht weichliche Veranlagung, sondern auch von ihm mühsam errungene Weisheit ist, das zeigen seine Briefe, die oft genug voll Bitterkeit sind. Aber die Bitterkeit führt eben zu nichts, die Mahnung heißt »verstehe, steh’ darüber«. 
 Er teilt keine Prädikate aus. Er läßt sie einfach handeln, so wenn Bodo die lange Fahrt zum Bahnhof macht, um der alten Gärtnersfrau den im Scherz versprochenen Kranz aufs Grab zu legen, oder der alte Graf den Wagen anhält, um Stine den Platz neben sich anzubieten, oder die Familie des bei St. Privat gefallenen Hauptmanns sich tapfer durchs Leben schlägt, oder der alte Stechlin seine letzten Gespräche mit dem Gendarmen führt. 
Wenn er die Überspannung des Standesgefühls zu tadeln hat, so läßt er Effi von ihrem Mann nur die paar Worte sagen: »er war so edel, wie ein Mann sein kann, der ohne rechte Liebe ist« 
R. Berbig, Fontäne Blätter

Freitag, 6. Dezember 2019

Träumen und Wachen

".... wir leben und empfinden so gut im Traum als im Wachen und sind jenes so gut als dieses, es gehört mit unter die Vorzüge des Menschen, daß er träumt und es weiß.  Der Traum ist ein Leben, das, mit unserm übrigen zusammengesetzt, das wird, was wir menschliches Leben nennen. Die Träume verlieren sich in unser Wachen allmählig herein, man kann nicht sagen, wo das Wachen eines Menschen anfängt."
"Die Träume können dazu nützen, daß sie das unbefangene Resultat, ohne den Zwang der oft erkünstelten Überlegung, von unserm ganzen Wesen darstellen."

G. Ch. Lichtenberg