Samstag, 18. Januar 2014

Medienschelte

Politikerbeschimpfung, Publikumsbeschimpfung - wer aber  wagt  die Journalistenbeschimpfung? Und wenn doch, wer veröffentlicht sie?
"Medienschelte" ist ja nach einhelligem Verdikt der Medien verpönt; außerdem haben sie immer recht, weil immer das letzte Wort.

Dem armen Leser, der über die größtenteils defätistische Berichterstattung in der  Krise  oder über das Dauer-Lamento  anläßlich der letzten Regierungsbildung frustriert und verdrossen ist, bleibt eigentlich nur mehr die völlige Enthaltsamkeit. Aber wer hält das schon aus und durch? Was bleibt, ist ein Waterloo der Glaubwürdigkeit.

Leserbrief zu einem Artikel in der WZ vom 17.1.2014

Freitag, 17. Januar 2014

Pinot noir und die Statistik-Lüge

"Vor drei Jahren erschien in der Fachzeitschrift «Nature» eine Studie, in der der Reifungsprozess von Pinot-noir-Trauben als Indikator für die Wärme des Klimas verwendet wurde. Der offizielle Beginn der Ernte im Herbst wird nämlich durch die Reife der Trauben bestimmt, die ihrerseits von der Temperatur des vorhergehenden Sommers bestimmt wird. Da die Daten des Erntebeginns im Burgund seit 1370 in den Stadtarchiven registriert werden, könnten sie als Hinweise für die Temperaturentwicklung der vergangenen sechs Jahrhunderte dienen. Eine französische Forschergruppe stellte dazu ein Modell auf. Darin wies das Jahr 2003 die höchste Sommertemperatur seit 600 Jahren auf. Die Schlussfolgerung war klar: Auch im Burgund wird es immer heisser.
Keenan war die Arbeit suspekt, und er wollte den mathematischen Unterbau überprüfen. Dazu benötigte er allerdings die Rohdaten, doch die Autoren waren nicht bereit, sie herauszugeben. Erst nach zwei Reklamationen bei «Nature» rückten sie ihre Unterlagen heraus. Keenan wurde sofort fündig. Die Autoren hatten die Daten ihrer Studie geglättet, Standardfehler und Standardabweichung verwechselt, falsche Parameter benützt, Tagestemperaturen mit Durchschnittstemperaturen verwechselt. Zieht man alle Fehlerquellen in Betracht, so wies das Jahr 2003 zwar eine hohe, aber - bei einer solch langen Zeitreihe - nicht unerwartet hohe Temperatur auf. Dass die Gutachter von «Nature» nichts bemerkt hatten, verwundert nicht, da ihnen das Datenmaterial nie zur Verfügung gestellt worden war und sie es auch nie angefordert hatten. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, den Autoren auf die Schliche zu kommen. Allein schon die Tatsache, dass das Traubenernte-Modell für das Jahr 2003 eine Temperatur ergab, die 2,4 Grad über der tatsächlich von Météo France gemessenen Temperatur lag, hätte die Gutachter stutzig machen sollen."

George Szpiro, NZZ/2007

Mittwoch, 15. Januar 2014

Das Böse ist immer und überall


Ja, so mancher ist schon bei der Bekämpfung des Bösen selber böse geworden - ohne es zu merken.

Sonntag, 5. Januar 2014

Gedenkjahr 2014?

Warum haben sich die Holocaust-Versilberer eigentlich nicht den Begriff "Gedenkjahr" schützen lassen?
So wird er doch abgewertet!

Samstag, 4. Januar 2014

Ohne Rauch...

Am Strand von St. Marc, einem kleinen Atlantik-Städtchen an der Loiremündung, wurde vor vielen Jahren der berühmte Film "Die Ferien des M. Hulot" gedreht. Zur Erinnerung daran hat man dort eine lebensgroße Figur von Jaques Tati in typischer Hulot-Pose und -Aufmachung aufgestellt; dazu gehörte früher unabdingbar auch die charakteristische Pfeife. Diese hat man vor einigen Jahren "wegoperiert". Auch in den Werbesprospekten, die zu diesem Thema in der Region zirkulieren, fehlt sie.
Anderes Beispiel: Auf fast allen Fotos sah man früher James Dean mit einer lässig im Mundwinkel hängenden Zigarette. Immer öfter tauchen diesselben Bilder mit wegretuschiertem Glimmstengel auf.
Ich fürchte, die Leute, die sowas tun oder veranlassen, kümmern sich in einem geeigneten Regime um mehr als die Beseitigung von mißliebigen Accessoires.

Die Prognoseillusion

Aus R. Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens.

Die Prognoseillusion.

WIE DIE KRISTALLKUGEL IHREN BLICK VERZERRT. 

Kennen Sie die Geschichte des Generals, der einmal sagte: „Ich bin mir bewusst, dass die Vorhersagen nichts taugen, benötige sie aber für Planungszwecke.“? 

„Regimewechsel in Nordkorea in den nächsten zwei Jahren.“ „Argentinische Weine bald beliebter als französische.“ „Facebook in drei Jahren wichtigstes Unterhaltungsmedium.“ „Der Euro wird auseinanderbrechen.“ „Weltraumspaziergänge für jedermann in zehn Jahren.“ „Kein Rohöl mehr in 15 Jahren.“ 
Täglich bombardieren uns Experten mit ihren Prognosen. Wie verlässlich sind sie? Bis vor wenigen Jahren hat sich niemand die Mühe gemacht, ihre Qualität zu überprüfen. Dann kam Philip Tetlock. 
Der Berkeley-Professor wertete 82.361 Vorhersagen von insgesamt 284 Experten über einen Zeitraum von zehn Jahren aus. Das Resultat: Die Prognosen trafen kaum häufiger zu, als wenn man einen Zufallsgenerator befragt hätte. Als besonders schlechte Prognostiker erwiesen sich ausgerechnet die Experten mit der stärksten Medienaufmerksamkeit, insbesondere die Untergangspropheten, und unter ihnen wiederum die Vertreter von Desintegrationsszenarien – auf das Auseinanderbrechen von Kanada, Nigeria, China, Indien, Indonesien, Südafrika, Belgien und der EU warten wir noch immer (an Libyen hat bezeichnenderweise kein Experte gedacht). 
„Es gibt zwei Arten von Leuten, die die Zukunft vorhersagen: jene, die nichts wissen, und jene, die nicht wissen, dass sie nichts wissen“, 
schrieb der Harvard-Ökonom John Kenneth Galbraith und machte sich damit in seiner eigenen Zunft verhasst. Noch süffisanter drückte sich der Fondsmanager Peter Lynch aus: „Die USA haben 60.000 ausgebildete Ökonomen. Viele von ihnen sind angestellt, um Wirtschaftskrisen und Zinsen vorherzusagen. Wenn ihre Prognosen nur zweimal hintereinander eintreffen würden, wären sie Millionäre. Soweit ich weiß, sind die meisten noch immer brave Angestellte.“ Das war vor zehn Jahren. Heute dürften die USA die dreifache Anzahl Ökonomen beschäftigen – mit einem Effekt von null auf die Prognosequalität. 
Das Problem: Experten bezahlen für falsche Prognosen keinen Preis – weder in Geld noch über den Verlust des guten Rufes. Anders ausgedrückt: Als Gesellschaft geben wir diesen Leuten eine Gratisoption. Es gibt keine „Downside“ beim Verfehlen der Prognose, aber eine „Upside“ an Aufmerksamkeit, Beratungsmandaten und Publikationsmöglichkeiten, falls die Prognose stimmt. Weil der Preis für diese Option null ist, erleben wir eine wahre Inflation an Vorhersagen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass immer mehr Vorhersagen rein zufällig richtigliegen. Idealerweise würde man Prognostiker zwingen, Geld in einen „Prognose-Fonds“ einzubezahlen – sagen wir 1.000 Euro pro Vorhersage. Stimmt die Prognose, erhält der Experte sein Geld verzinst zurück. Stimmt sie nicht, geht der Betrag an eine wohltätige Stiftung. 
Was ist prognostizierbar, was nicht? Ich werde mich bei der Vorhersage meines Körpergewichts in einem Jahr nicht groß verschätzen. Je komplexer ein System und je länger der Zeithorizont, desto verschwommener wird der Blick in die Zukunft. 
Klimaerwärmung, Ölpreis oder Wechselkurse sind fast unmöglich vorherzusagen. Erfindungen sind überhaupt nicht zu prognostizieren. Wüssten wir, welche Technologien  uns dereinst beglücken werden, 
wären sie ja schon in diesem Moment erfunden. 
Fazit: Seien Sie Prognosen gegenüber kritisch. Ich habe mir dazu einen Reflex antrainiert – ich schmunzle zuerst mal über jede Vorhersage, egal wie düster sie sein mag. Damit nehme ich ihr die Wichtigkeit. Anschließend stelle ich mir zwei Fragen. Erstens, welches Anreizsystem hat der Experte? Ist er Angestellter, könnte er seinen Job verlieren, wenn er ständig danebenliegt? Oder handelt es sich um einenselbst ernannten Trendguru, der sein Einkommen über Bücher und Vorträge generiert? Dieser ist auf die Aufmerksamkeit der Medien angewiesen. Seine Prognosen werden entsprechend sensationell ausfallen. 
Zweitens, wie gut ist die Trefferquote des Experten oder Gurus? Wie viele Prognosen hat er in den letzten fünf Jahren abgegeben? Wie viele davon haben sich bewahrheitet, wie viele nicht? Mein Wunsch an die Medien: Bitte veröffentlicht keine Prognosen mehr, ohne den Leistungsausweis des vermeintlichen Auguren 
anzugeben. 
Zum Schluss, weil so treffend, ein Zitat von Tony Blair: „Ich mache keine Vorhersagen. Ich habe nie, und ich werde nie.“