Freitag, 8. April 2022

Die Wahrheit hat ihre Hindernisse....

 Denn das ist nichts Neues bei den Weisen, uns die Dinge so zu predigen, wie sie nützlich, nicht, wie sie wirklich sind. Die Wahrheit hat ihre Hindernisse, Unbequemlichkeiten und Unvereinbarkeiten für uns. Man muß uns oft täuschen, damit wir uns nicht selber täuschen, und unsere Augen verbinden, unsern Verstand betäuben, um sie zu bilden und zu bessern. »Die Unerfahrenen unterfangen sich zu urteilen; man muß sie daher oft betrügen, damit sie nicht irregehen.« (Quintilian, Inst., II, 17) Wenn sie uns befehlen, drei, vier, fünfzig Kategorien von Dingen mehr als uns selbst zu lieben, so machen sie es wie die Bogenschützen, die, um ins Ziel zu treffen, sehr hoch darüber zielen.


Montaigne

 

I am fond of pigs

 I am fond of pigs. Dogs look up to us. Cats look down on us. Pigs treat us as equal.

W. Churchill

Mittwoch, 6. April 2022

Gegenwart

 Für Leute, die nur Vergangenheit und Zukunft kennen und nicht in jedem Momente der Gegenwart eine Ewigkeit leben können, ja für solche muß der Tod schrecklich sein! Wenn ihnen die beiden Krücken Raum und Zeit entfallen, dann sinken sie ins ewige Nichts.


H. Heine

Dienstag, 5. April 2022

Katzen: Wunderwesen auf leisen Pfoten

 Von Georg Biron, geboren 1958, lebt als Schriftsteller, Reporter, Regisseur und Schauspieler in Wien.

Zur Natur-, Kultur- und Mediengeschichte des sagenumwobenen, einzelgängerischen Pelztiers.
WZ vom 04.09.2021, 08:00 Uhr I Update: 04.09.2021, 08:11 Uhr

Die geheimnisvolle Katze ist aber nicht nur auf der Musicalbühne zu finden, sondern in fast jeder Kultur, und schon früh wurde sie als Vermittlerin zwischen den Welten bewundert.

Die Katze begleitet die Götter auf leisen Pfoten, sie wandelt als Botschafterin zwischen Heiligen und Menschen umher, sie streift durch die gespenstischen Landschaften unserer Träume und schützt uns vor den Mächten des Bösen. Sie hütet die alten Geheimnisse der Natur, und manchmal kann sie sogar Tote wieder zum Leben erwecken. Ganz nebenbei tragen Katzen die Weisheiten aller großen Philosophien in sich.

Der amerikanische Poet Dilys Bennett Laing berichtet von einem Gespräch mit seiner Vertrauten: "Ich ließ das Buch ,Die Bedeutung des Zen' sinken und sah die Katze in ihr Fell lächeln, während sie es sorgsam mit ihrer rosa Zunge kämmte. ,Katze, ich würde dir dieses Buch zum Lernen leihen, aber es scheint, als hättest du es schon gelesen.' Sie hob ihren Kopf und sah mich direkt an: ,Sei nicht albern', schnurrte sie, 'ich habe es geschrieben'.

Es ist wie mit den Beatles und den Rolling Stones. Wie mit Georg Danzer und Wolfgang Ambros. Wie mit Austria und Rapid. Oder wie mit Hund und Katz'. Es sind unterschiedliche Weltanschauungen, die die Menschen in zwei Gruppen teilen - und am Ende doch ein Ganzes ergeben. "Ein Hund ist Prosa", sagt ein Sprichwort, "eine Katze Poesie." Jedenfalls teilen diese rätselhaften pelzigen Wesen seit vielen Jahrtausenden mit uns Haus und Hof - und doch wissen wir relativ wenig über diese einzelgängerischen Tiere.

Meine Kätzchen lieben mich. Sie stammen von einem steirischen Bauernhof, heißen Che und Chica und haben eine neue Qualität in mein Leben gebracht. Katzen sind perfekte Partner für einen lebenslustigen, verspielten Schriftsteller und dienen als sinnlich- luxuriöse Musen und emotionale Energiespender gegen Mangelerscheinungen des modernen Lebens. Kollegin Eva Demski hat einmal notiert: "Katzen sind das fellgewordene Lob der Geduld, der Ruhe und der Einkehr. Sie sind die besten Genossen, wenn man allein ist und nicht allein sein will."

....ihre Liebe beschämt mich an manchen Tagen. Ich habe diese Zuneigung nicht verdient, denke ich - und stehe augenblicklich in ihrer Schuld. Beschämt eile ich zum Kühlschrank, gefolgt von Che und Chica, um ihnen Essen und Trinken zu servieren, und als Zeichen ihrer Zuneigung und Liebe kommen sie nachts zu mir ins Bett und legen mir ihre Pfötchen auf die Schultern.

"Auf Katzenpfaden"

Viele Frauen werden auch heute noch mit dem Vergleich mit einer Katze konfrontiert - nicht nur in Österreich, wo der Ausdruck ''klasse Katz" erotisches Verlangen in die Augen mancher Männer zaubert.

Auch die schöne Carmen aus Spanien soll viel von einer stolzen Katze an sich gehabt haben, die niemals kommt, wenn man(n) nach ihr ruft, sondern sich nur dann nähert, wenn sie selbst es will. Und natürlich ist Carmen in der Vorstellung von Frauenhassern falsch und treulos, wie eine Katze eben, die sich an ein und demselben Tag mehreren Katern lustvoll hingibt.

In der männlichen Phantasie ist die Katze eben mehr als nur ein schmeichlerisches Wesen mit exzentrischem Sexualtrieb. Die Katze erscheint dann als die Frau schlechthin. Und in der Geschichte ist sie oft auch die Begleiterin von sehr eigenständigen Frauen, die ihren Willen nicht von Männern, sei's Geliebter oder Vater, brechen lassen wollen. Schöne Feen, tapfere Göttinnen und verfluchte Hexen treiben sich mit Katzen herum - Frauen eben, die sich nicht so leicht besitzen lassen.

Die Kulturgeschichte der Miezen ist auch Religionsgeschichte. Buddhisten beispielsweise sind davon überzeugt: "Indem man das Wesen einer Katze meditiert, vermag man die Erleuchtung zu erlangen." Zu sehr sollte man sich in Katzen aber nicht verlieben, weil eine solche Liebe vom Nirwana ablenkt. Deshalb hat der Dalai Lama vor kurzem eine kleine Katze weggegeben, die ihm zu sehr ans Herz gewachsen ist.

Die alten Ägypter sahen in den Veränderungen an der Pupille im Katzenauge das Zunehmen und Abnehmen des Mondes. Auch die Inder, die schon vor mehr als 5.000 Jahren die pelzwangigen Raubtiere zu schätzen wussten, brachten sie mit dem Mond in Verbindung, den sie sich als weiße schlafende Katze vorstellten. Weil sich Katzen beim Schlafen zusammenrollen, gelten die kleinen heiligen Tiere als Symbol des Lebensflusses schlechthin, als Verbindung zwischen Ende und Anfang. Und natürlich auch als nützliche Hausgeister, die plündernde Nagetiere von gefüllten Vorratskammern fernhalten.

Der Maler Hieronymus Bosch, Schöpfer üppiger, wilder Welten auf Leinwand, zeigt uns im Garten Eden die Katze als gnadenlose Jägerin von Ungeziefer. Und auch Albrecht Dürer lässt zwischen Adam und Eva in paradiesischer Ruhe eine Katze schlummern.

In den dunklen Zeiten der Hexenverbrennungen warf man Millionen von Katzen auf die Scheiterhaufen, um die Verbündeten der ''Teufelsweiber" auch gleich mit auszurotten. Der "Ketzer" und die "Katze", das klang für die katholischen Inquisitoren verdächtig ähnlich. Verschont wurden nur Tiere, deren Fellzeichnung auf der Stirn ein "M" zeigte - "M" wie Maria, die heilige Jungfrau. Die anderen Katzen waren durch die Gottesmutter nicht geschützt: Sie starben in den Flammen, gemeinsam mit den Hexen.

"Darum spielen die Katzen in den Hexensagen eine so wichtige Rolle. Entweder sie bilden das Gespann der Hexen, oder die Hexen nehmen die Gestalt dieser Tiere an", meinte der tschechische Forscher Friedrich Nork. Die Verfolgung der Hexen und ihrer heiligen Katzen war nur der schreckliche und sichtbare Ausdruck für das Zurückdrängen einer Seite des menschlichen Wesens. Diese wurde von Priesterinnen, Sippenmüttern, Heilkundigen und Hebammen bis ins Mittelalter vertreten. Die "heilige Hatz auf die Katz" ist heute zwar vorbei, der Volksmund weiß aber immer noch Bescheid über den sagenhaft unheilvollen Zusammenhang zwischen Katze und Frau: "Auch die kleinste Katze kratzt!" und: "Erst leckt die Katze, dann krallt sie!"

"Unter sämtlichen Geschöpfen gibt es nur eines, das nicht zum Sklaven der Peitsche gemacht werden kann", notierte der Literat Mark Twain. "Dieses Geschöpf ist die Katze. Wenn der Mensch mit der Katze gekreuzt werden könnte, dann würde der Mensch wohl verbessert, die Katze aber verschlechtert werden."

Noch nie gab es in Österreich so viele Haustiere wie heute: mehr als vier Millionen. Ein gutes Drittel davon sind Katzen. Allein in Wien lebt in fast jedem dritten Haushalt eine Katze, und fast jedes zweite goldene Wienerherz ist davon überzeugt, dass ein Tier mehr Wert hat als ein Mensch.

Wer im Alltag mit vielen Menschen zu tun hat, wendet sich in seiner Freizeit oftmals Tieren zu - und fühlt sich dort weitaus besser verstanden als in menschlicher Gesellschaft. Katzenliebhaber sind vielleicht sogar zärtlichere Menschen. Sie sind kühne Abenteurer im Geiste und sind fasziniert vom weltumspannenden Freiheitsgedanken.

"Selbst die kleinste Katze ist ein Wunderwerk", bemerkte Leonardo da Vinci voller Ehrfurcht. Sie sind empfindliche Tiere, sehen sechsmal besser als der Mensch und hören auch mit den Augen, weil sie beim Schauen bestimmte Frequenzen spüren, die außerhalb unserer Wahrnehmung liegen. Bei Dunkelheit sehen sie ihre Umgebung wie mit einer Infrarotbrille. Außerdem können sie ihre Ohren wie Antennen einstellen und damit mehr Laute wahrnehmen als der Mensch. Und in der Nasenspitze sind 19 Millionen Nervenenden - beim Mensch nur fünf Millionen.

Immer wieder werden Katzen auch als therapeutische Heilmittel eingesetzt - mit erstaunlichen Erfolgen. Kranke Menschen, die eine Katze an ihrer Seite haben, so berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", werden nachweislicher schneller gesund, und deshalb empfehlen 75 Prozent der Ärzte ihren Patienten in erster Linie Katzen als Haustiere. Das Katzenfell ist eine Art Mikrowellenstrahler, der in einem für Pflanzen, Tiere und Menschen besonders günstigen Frequenzbereich von 1,5 bis 6 Gigahertz wirkt. Fühlen wir uns gerade deshalb in Gesellschaft von Katzen so wohl?

"Die Katze wird als ein Kunstwerk der ganzen Schöpfung erlebt, deren Schönheit sogar Götter und Feen begeistert", weiß Sergius Golowin, der über die "Göttin Katze" ein beeindruckendes Buch geschrieben hat. Tausende Sagen und Märchen hat Golowin gelesen, um die Seele der Katze zu erforschen. Bis zu seinem Tod vor 15 Jahren hat er sich mit den kleinen "Glückssternen auf der Erde" befasst - und konnte ihr Geheimnis doch nicht lüften: "Bei all den schönen Überlieferungen und Regeln darf man niemals vergessen: Meistens sind es gar nicht wir, die die Katze unseres Lebens finden. Sie findet uns! Auf einmal haben wir sie, obwohl sie oft gar nicht so aussieht, wie wir es uns vorher gewünscht haben."

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Und hier Beiträge von mir:

UNTERSCHIED.

Dem Herrchen parieren:

Oberste Hundepflicht!

Derlei Manieren

Braucht mein Kater nicht.

(aus https://kumpfus.blogspot.com/ )


oder aus meinem Twitter:

https://twitter.com/kumpfuz/status/1507754155301027847?s=20&t=MX34hL-rpt-T3qsW10bbGw



Regietheater ... zum x-en Mal.

Heinz Friedrich

(anläßlich eines lang zurückliegenden Theaterskandals in Stuttgart durch Neuenfels 🕀 )

……….. Die Feuilletonisten brannten Brillantfeuerwerke fortschrittlich-kulturrevolutionärer Schlagworte ab, um für die bedrohte künstlerische Freiheit zu demonstrieren und das repressive Verhalten eines verstockten Kulturestablishments zu brandmarken.………….. Auseinandersetzungen dieser Art gab es beim Theater schon immer - und sie werden auch in Zukunft nicht ausbleiben. Sich deshalb ideologisch zu verausgaben erscheint müßig. Aber Sachlichkeit und vernünftige Gelassenheit ist offenbar nicht das Gebot der feuilletonistischen Stunde. Jede Andeutung eines Skandals wird gern und willig aufgegriffen, um die tierisch-ernste Streiterpose des Gerechtigkeitsfanatikers einzunehmen und meinungsöffentliche Gardinenpredigten vom Stapel zu lassen. 

Neuenfels aber, auf theatralische Aggression versessen…… terrorisiert auch die Phantasie des Zuschauers, indem er ihr die vordergründigste und gemeinste Interpretation des Stoffes agitatorisch aufzwingt. ……………. oder zumindest zu einem Stichwortgeber für unkontrollierbaren Theaterzirkus herabwürdigt. Denn schließlich soll und muß sich der Theaterregisseur (wie jeder Interpret) am Beginn seiner schöpferischen Auseinandersetzung mit einem vorgegebenen Stoff die Frage stellen, welchen Absichten den Autor gefolgt sei. Die Antwort auf diese Frage läßt ohnehin schon Spielraum genug für künstlerische Mißverständnisse, Fehlleistungen und Eigenmächtigkeiten, die nicht mit dem Urheberrecht in der Hand geahndet werden können. Wird dieser Spielraum durch die ideologische Willkür des Regisseurs jedoch noch zusätzlich ausgenutzt, so steigert sich die Interpretation zur brutalen Vergewaltigung.

Allerdings ist das Stuttgarter Theatermißgeschick kein Einzelfall, sondern es veranschaulicht im Gegenteil nur ein Symptom gegenwärtiger Theaterpraxis: Vergewaltigungen dieser und ähnlicher Art ereignen sich nämlich allenthalben auf unseren Bühnen; nur kann sich die Mehrzahl der Autoren…., nicht mehr wehren, weil sie längst unter der Erde modert und auch kein finanziell interessierter Sachwalter und kein Urheberrecht für ihre postumen Interessen eintritt - wir meinen die Klassiker, die mehr und mehr dem ideologischen Regietheater zum Opfer fallen. In der ebenso flachen wie irrigen Meinung, die Klassiker seien gesellschaftlich überholt oder repräsentierten gar den Höhepunkt bürgerlicher Repression, kühlen zahlreiche Jung-Regisseure ihr szenisches Mütchen an den Uropas der Schaubühne. ….. Schließlich stellt man gotische Madonnen ja auch nicht in öffentlichen Bedürfnisanstalten aus, um auf ihre Kritisierbarkeit aufmerksam zu machen ...

Gewiß: Kunstwerke sind keine starren Denkmalgrößen, die unreflektierte Bewunderung erheischen. Sie müssen sich, wollen sie lebendiger Wirkung nicht entraten, späteren Generationen stets erneut zur Auseinandersetzung stellen. Aber es ist immerhin ein Unterschied, ob diese Auseinandersetzung auf gleichrangigem Niveau oder in Form gemeiner Notzucht erfolgt. Politisch-tendenziöse Verfälschung eines Kunstwerkes aber ist Notzucht, weil sie die freie Meinungsäußerung des Autors manipuliert oder gar verhindert (ob der Autor längst tot ist oder noch unter den Lebenden weilt, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle). Steht es den kultur- und sozialrevolutionären Provokateuren doch frei, sich ihre Stücke selbst zusammenzuzimmern oder sie zusammen mit einem gleichgesinnten Autorenteam zu erarbeiten. Niemand wird sie daran hindern, dann von ihrer so mimosenhaft verteidigten Gedankenfreiheit praktischen Gebrauch zu machen und ihre szenischen Visionen in dem geistigen Parterre vorzuführen, das ihnen gemäß erscheint.

Um so nachdrücklicher aber scheint angesichts solcher Toleranz Achtung vor den Werken anderer Autoren geboten; denn wie soll Diskussion entstehen, wenn alle Texte über den gleichen ideologischen Theaterleisten manipuliert werden? Nur die Werktreue garantiert die geistige Auseinandersetzung, weil sie dem Autor ohne selbstherrliches Dreinreden das entscheidende Wort läßt. In diesem Sinn ist Werktreue kein leerer oder gar repressiver Wahn, sondern ein Gebot, durch dessen Nichtachtung künstlerische Interpretation sich selbst stranguliert………... Oder sollte gar zutreffen, daß künstlerische Freiheit nur dem zusteht, der sich modisch-progressiv gebärdet? Dann allerdings wären wir bald an dem Punkt angelangt, an dem die Freiheit, die solche Fortschrittler meinen, ihre repressiven, terroristischen Züge zynisch enthüllt nach dem Motto: Willst du nicht meiner Meinung sein, so schlag ich dir den Schädel ein.

 

Heinz Friedrich: Weitere Zitate zum "modernen" Theater:

... selbstgefällig projizieren sie ihre eigenen Hirngespinste an das Zeltdach und behaupteten keck, dies sei die Wirklichkeit. Nun aber, da diese Wirklichkeit nicht standhält und die Trapeze über leeren Sitzreihen schaukeln, predigen sie Besinnung und begeben sich ins Parterre, um den verachteten Brüdern die Hand zu reichen und der engagierten Subkultur das Wort zu reden. So geraten sie von einem Extrem ins andere. Denn sowenig die Kunst im luftleeren Raum über den Köpfen der Gesellschaft sich etablieren kann, so wenig sollte sie sich unmittelbar mit der Gesellschaft gemein machen und mit ihr auf die Barrikaden der alltäglichen Bedürfnisse (oder auch nur Scheinbedürfnisse) steigen. Kunst manifestiert sich nämlich weitaus häufiger in einem Spannungsverhältnis zur Gesellschaft als in Übereinstimmung mit ihr. Das liegt nicht zuletzt in der anthropologischen Tatsache begründet, daß der täterische Mensch geschichtlich bestimmender auf die Gesellschaft und ihre Bedürfnisse einwirkt als der schöpferisch reflektive, dessen geistiger Einfluß sich in der Regel nur allmählich (und oft erst über Generationen hinweg) durchsetzt.

Viele Parnass-Wanderer litten an ihren Zeitgenossen, die für sie nur die Qual der Ignoranz bereithielten. Genies sind gesellschaftlich unbequem. Seit den Tagen der Renaissance, als sich die Künstler ihrer schöpferischen Individualität bewußt wurden, kämpfen die Dichter, Komponisten und Maler nicht nur um ihr Publikum, sondern meist auch gegen ihr Publikum. Wer nicht bereit ist, sich der Tagesrhetorik zu unterwerfen und dem Für und Wider der Meinungen zu huldigen, kurzum: wer sich gesellschaftsideologisch nicht integrieren läßt, dem wird erbarmungslos die Außenseiterrolle zugewiesen; um den Preis der Einsamkeit und Verkennung muß er sein Werk schaffen.

Denn große Kunst strebt, und zwar auch dort, wo sie sich zu engagieren scheint, stets nach Ausdruck überzeitlicher Sachverhalte; die Bindung an das Zeitliche widerstrebt ihrem innersten Antrieb und Auftrag. Aus dem Sieg über die Zeit bezieht sie ihre Faszination und ihre Dauer über den Tag hinaus. Wäre die Schilderung gesellschaftlicher Verhältnisse das Hauptmerkmal Shakespearescher Trauerspiele, so würden uns heute kaum noch die Schicksale Hamlets, Othellos oder Romeos erschüttern - ganz zu schweigen von den Inhalten der antiken Tragödie, die mit unserer modernen Gesellschaftsstruktur ebensowenig oder ebensoviel gemein haben wie ein Überschallflugzeug mit dem Schneider von Ulm. Auch der Apoll von Belvedere, auf seine gesellschaftliche Aussagekraft beschränkt, erschiene uns lediglich als kunstfertig gerundeter Marmor und nicht als Inkarnation vergöttlichter und zum geistig-sinnlichen Leitbild erhobener Menschengestalt.

Es sind also kaum die gesellschaftlichen Konstellationen vergangener Epochen, die uns in den überlieferten Kunstwerken ergreifen. Ebensowenig aber ist bildungsbürgerliche Kulturheuchelei für die Präsenz künstlerischer Überlieferung verantwortlich: musealer Kunstgenuß, zum Statussymbol erhoben, würde unweigerlich in interesseloser Langeweile versanden, falls ihm nicht eine aktivierende Kraft antwortete.

Was vielmehr aus den Kunstwerken der Vergangenheit in die Gegenwart hineinspricht, das ist ihr überzeitlicher Gehalt an menschlicher Wahrheit - einer Wahrheit, die, in welcher gesellschaftlichen Konstellation auch immer, seit den Tagen, in denen der Mensch seinen geschichtlichen Weg antrat, die gleiche geblieben ist: das tragische Bewußtsein der zeitlichen Existenz und damit die individuelle Absonderung von dem universalen Gang des Weltganzen.

Dieser Einsicht freilich widersetzten sich die Verfechter der totalen Gesellschaft mit dialektischer Leidenschaft. Verstrickt in die Utopie zukünftiger Sozialparadiese und überzeugt von dem spätkapitalistisch-repressiven Charakter der Kultur, erblicken sie im überzeitlichen Wahrheitsanspruch der Kunst einen Feind des Fortschritts. Größe ist ihnen als Ausdruck autoritären Machtanspruchs verdächtig, und das Ergreifende oder Erschütternde bietet sich ihnen nur dar als Manipulation der Gefühle zum Zweck gesellschaftlicher Unterdrückung.

 …..weiblicher Winkelried in Unterwäsche....Nacktheit auf der Bühne:

..... die Frage einer Schauspielerin.....vielleicht fragte sie sich, warum auf der Bühne, wo nichts echt ist, kein Thron, kein Tod und keine Träne, ausgerechnet die Nacktheit echt sein muß.  Vielleicht wollte sie in zarten Dessous erst erspielen, was ohne Dessous keine Aufgabe wäre: den Akt als Kunst-Akt.

 Seitdem sich die Nacktheit als Bühnenkostüm durchgesetzt hat, erregt sie den Zuschauer nicht heftiger als ein Kostümzipfel oder eine Gewandfalte. Das ist ein beklagenswerter Verlust: Sittsamkeit ist durch Obszönität erst möglich. Ein bißchen Verlegenheit beim Zuschauen wäre schon besser als gar nichts.

 In Dänemark, heißt es, sei nach der Freigabe der Pornographie sogar den Lustmördern die Lust vergangen.

Bauchrednertum

Ich wollte Mißtrauen erwecken gegen jene transzendente Ventriloquenz, wodurch mancher glauben gemacht wird, etwas das auf Erden gesprochen ist, käme vom Himmel; Ich wollte hindern, daß, da grober Aberglaube aus der feineren Welt verbannt ist, sich nicht ein klügelnder an dessen Statt einschliche, der eben durch dıe Maske der Vernunft, die er trägt, gefahrlicher wırd, als der grobe.

 Nichts setzt dem Fortgang der Wissenschaft mehr Hindernis entgegen als wenn man zu wissen glaubt, was man noch nicht weiß. In diesen Fehler fallen gewöhnlich die schwärmerischen Erfinder von Hypothesen. 

Lichtenberg

Sinn ist Ordnung

 Lichtenberg:

Eine große Rede läßt sich leicht auswendig lernen und noch leichter ein großes Gedicht. Wie schwer würde es nicht halten, eben so viel ohne allen Sinn verbundene Wörter, oder eine Rede in einer fremden Sprache zu memorieren. Also Sinn und Verstand kömmt dem Gedächtnis zu Hülfe. Sinn ist Ordnung und Ordnung ist doch am Ende Übereinstimmung mit unserer Natur. Wenn wir vernünftig sprechen, sprechen wir nur immer unser Wesen und unsere Natur. Um unserm Gedächtnisse etwas einzuverleiben suchen wir daher immer einen Sinn hineinzubringen oder eine andere Art von Ordnung. Daher Genera und Species bei Pflanzen und Tieren, Ähnlichkeiten bis auf den Reim hinaus. Eben dahin gehören auch unsere Hypothesen, wir müssen welche haben, weil wir sonst die Dinge nicht behalten können. Dies ist schon längst gesagt, man kömmt aber von allen Seiten wieder darauf. So suchen wir Sinn in die Körperwelt zu bringen. Die Frage aber ist, ob alles für uns lesbar ist. Gewiß aber läßt sich durch vielen Probieren, und Nachsinnen auch eine Bedeutung in etwas bringen was nicht für uns oder gar nicht lesbar ist. So sieht man im Sand Gesichter, Landschaften usw. die sicherlich nicht die Absichten dieser Lagen sind. Symmetrie gehört auch hieher. Silhouette im Dintenfleck pp. Auch die Stufenleiter in der Reihe der Geschöpfe, alles das ist nicht in den Dingen, sondern in unsÜberhaupt kann man nicht genug bedenken, daß wir nur immer uns beobachten, wenn wir die Natur und zumal unsere Ordnungen beobachten.



Einige Brocken Wahrheit

 Erich Fromm:

Unsere bewußten Motivationen, Ideen und Überzeugungen sind eine Mischung aus falschen Informationen, Vorurteilen, irrationalen Leidenschaften, Rationalisierungen und Voreingenommenheit, in der einige Brocken Wahrheit schwimmen, die uns die (freilich falsche) Gewißheit geben, daß die ganze Mischung real und wahr sei. Unser Denkprozeß ist bestrebt, diesen ganzen Pfuhl voller Illusionen nach den Gesetzen der Logik und Plausibilität zu organisieren….


Bedacht im Erkundigen B. Gracian – (Schopenh Übs.)

Man lebt hauptsächlich auf Erkundigung. Das Wenigste ist, was wir sehn; wir leben auf Treu und Glauben. Nun ist aber das Ohr die Nebentüre der Wahrheit, die Haupttüre der Lüge. Die Wahrheit wird meistens gesehn, nur ausnahmsweise gehört. Selten gelangt sie rein und unverfälscht zu uns, am wenigsten, wenn sie von weitem kommt: da hat sie immer eine Beimischung von den Affekten, durch die sie ging. Die Leidenschaft färbt alles, was sie berührt, mit ihren Farben, bald günstig, bald ungünstig. Sie bezweckt immer irgendeinen Eindruck.


Wahre Liebe

 Erich Fromm:

Die Bereitschaft zu schenken manifestiert sich in jedem, der wirklich liebt. »Falsche Liebe«, das heißt Egoismus zu zweit, macht die Menschen noch selbstsüchtiger (und das ist oft genug der Fall). Wahre Liebe vermehrt die Fähigkeit, zu lieben und anderen etwas zu geben. In der Liebe zu einem bestimmten Menschen liebt der wahre Liebende die ganze Welt.

Journalisten....

 Karl Kraus:

  •  „Keinen Gedanken haben und ıhn ausdrücken können — das macht den Journalisten.“
  • „Journalisten schreiben, weil sie nichts zu sagen haben, und haben etwas zu sagen, weil sie schreiben."
  •  „Ein Feuilleton schreiben, heißt, auf einer Glatze Locken drehen.“
  • „Presse gegen Unrecht schützen, heißt, einen Blatternkranken von Hühneraugen befreien, nein, einen, der Cholerabazillen entwendet hat, gegen die Einschränkung der persönlichen Freiheit schützen, nein, einen Falschmünzer gegen Diebstahl, nein, einen Raubmörder gegen Ehrenbeleidigung.”