Mittwoch, 24. Juni 2020

Zerrspiegel

Wer das Schauspiel nicht besucht, gleicht dem, der seine Toilette ohne Spiegel macht.
Schopenhauer

Nur ist leider das moderne Theater ein Zerrspiegel.  

Freitag, 19. Juni 2020

Rückschritte

Bei meiner retrograden Reise durch Literatur und Philosophie* bin ich nun endlich beim alten Seneca gelandet. Ich finde dort Stellen wie diese:
(24,12) Securus itaque inimici minas audi; et quamvis conscientia tibi tua fiduciam faciat, tamen, quia multa extra causam valent, et quod aequissimum est spera et ad id te, quod est iniquissimum, compara. Illud autem ante omnia memento, demere rebus tumultum ac videre, quid in quaque re sit: scies nihil esse in istis terribile nisi ipsum timorem.
(12) Sorglos höre also deines Feindes Drohungen: und so viel Zuversicht dir auch dein gutes Gewissen gibt, so hoffe zwar auf die gerechteste Entscheidung, aber bereite dich, weil vieles von außerhalb der Rechtssache einwirkt, auf die ungerechteste vor. Vor allem aber vergiss nie, den Dingen ihre schreckenden Begleiterscheinungen zu nehmen und zu sehen, was an jeder Sache ist. Du wirst dich überzeugen: die Furcht allein ist es, was sie schrecklich macht.

.... und viele andere, die mir "aus der Seele sprechen". Fast auf jeder Seite finde ich großartige Sätze, die ich gar nicht alle notieren kann.
Es kommt dazu, dass mir jetzt im Alter meine 8 Jahre Latein-Studium in der Jugend wieder von Nutzen sind und zu meinem Vergnügen beiträgt. Es ist noch genug da - und einiges taucht auch wieder auf. Wer hätte das gedacht? 

Und gleich noch ein passendes Zitat von ihm:

„Soll ich etwa nicht den Spuren der Vorgänger folgen? Wahrlich, ich werde den alten Weg einschlagen; finde ich aber einen geeigneteren und ebeneren, so werde ich mich an diesen halten. Die Menschen, die vor uns diese Lehren aufbrachten, sind nicht unsere Gebieter, sondern unsere Wegweiser. Die Wahrheit steht allen offen, sie ist nicht vergeben. Künftigen Generationen wird noch ein großer Teil ihrer Erforschung überlassen sein."

 

* Meine Reise führt mich von Thomas Mann zu Theodor Fontane und von dort zu Montaigne (beide Gascogner!), welcher mich mit seinen Zitaten zu Seneca geleitete. Und bei Schopenhauer und Lichtenberg schaue ich auch immer wieder gerne vorbei: Sie bieten so herrliche Erfrischungen!
Aber ich eigne mich nicht zum Jünger: Ich entnehme ganz verschiedene Gedanken und verarbeite sie auf meine Weise, ganz so wie es Seneca formuliert:
"....meine Bücher sollst Du als Zeugnisse eines hartnäckigen Wahrheitssuchers lesen, nicht als die eines Wissenden. Denn ich habe mich keinem Leitbild verschworen, bin keinesfalls nur Schüler. Zwar gebe ich viel auf das Urteil bedeutender Männer, aber eine gewisse Entscheidungsfreiheit behalte ich mir vor."

Oder noch besser:

"...wie ich vorgehe: ein Stückchen von einem und dann von einem anderen Autor lesen; ihre Gedanken sozusagen einmal am Kopfe und einmal an den Füßen zu packen, und keineswegs um eigentlich daraus zu lernen; nein, um die Gedanken, die ich schon habe, zu stützen, um bei ihrer Formulierung' als Schmuck und Hilfe zu dienen." 


Donnerstag, 4. Juni 2020

Die Dinge sind nicht eben so

.....sonst haben es alle Bereiche der Seele irgendwie mit jedem Objekt zu tun; alle wirken gemeinsam darauf ein; allerdings wird immer nur ein Objekt auf einmal von dieser Einwirkung betroffen, und jedesmal geschieht das nicht nach den Gesetzen, die in den Dingen liegen, sondern nach denen, die in der Seele liegen. Nimmt man die äußeren Dinge für sich, so kann man vielleicht von ihrem Gewicht, ihren Dimensionen, ihrer sonstigen Beschaffenheit sprechen; aber im Innern, in uns, bestimmt die Seele, wie das alles auszusehen hat. Der Tod ist für Cicero fürchterlich, für Cato wünschenswert, für Sokrates ohne Belang. Gesundheit, Gewissen, Einfluß, Wissen, Reichtum, Schönheit und die Gegenbegriffe dazu, alle müssen sich entkleiden, wenn sie in uns eingehen, und bekommen von unserer Seele ein neues Kleid oder eine andere Färbung, die ihr gefällt: braun, hell, grün, düster, bitter, süß, tief, oberflächlich; jedes Ding wieder anders, wie es zu ihm paßt: denn sie richten sich nun nicht etwa alle nach einem Stil, einer Regel und einer Form; jeder dieser Begriffe ist König in seinem Reich. Deshalb sollten wir es uns nicht dadurch bequem machen, daß wir sagen: die Dinge sind eben so; wir müssen von uns aus zu ihnen Stellung nehmen. Nur von uns hängt unser Wohl und Wehe ab. Nicht das Schicksal sollten wir durch Opfergaben und Wünsche zu beeinflussen suchen, sondern uns selber: das Schicksal hat keinen Einfluß auf unseren Charakter; im Gegenteil: der Charakter bestimmt das Schicksal und modelt es um nach seinem Bild.  
Montaigne 

Th. Fontane: "Es kommt auf die Beleuchtung an"