Dienstag, 25. Oktober 2011

Hast Du nicht gelebt?


Was sind wir doch für Narren! »Er hat sein Leben im Müßiggang verbracht«, sagen wir, oder: »Ich habe heute nichts getan.« Wie - hast du nicht gelebt? Das aber ist nicht nur die wesentlichste, sondern auch die lobenswerteste deiner Tätigkeiten. 
Oder: »Wäre ich mit großen Aufgaben betraut worden, hätte ich zeigen können, was ich zu vollbringen weiß.«  Wußtest du dein Leben recht zu bedenken und in die Hand zu nehmen? Dann hast du die größte aller Aufgaben vollbracht!

Um ihre Kräfte zu zeigen und zu entfalten, bedarf die Natur keines bedeutenden Menschenschicksals; sie kann es in allen gesellschaftlichen Schichten tun, mit oder ohne Vorhang. Einen sittlichen Wandel, nicht Bücher zuwege zu bringen ist uns aufgegeben; und nicht Schlachten und Provinzen zu gewinnen, sondern Ruhe und Ordnung in unserm täglichen Verhalten: Recht zu leben - das sollte unser großes und leuchtendes Meisterwerk sein! Alle anderen Dinge wie Herrschen, Horten und Häuserbauen sind höchstenfalls Anhängsel und Beiwerk.

Montaigne, Essais III/13

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