Mittwoch, 10. März 2010

Klimawandel (Montaigne)

Es ist sehr leicht, auf Postulaten Gedankengebäude jedweder Art zu errichten, denn kraft einer solchen die Regeln festlegenden Vorgabe lassen sich die übrigen Teile widerspruchsfrei zusammenfügen. Auf diese Weise finden wir unser Denken wohlbegründet und argumentieren stets treffend, nehmen unsere Lehrmeister in unserm Glauben doch von vornherein all den Raum in Anspruch und Besitz, den sie brauchen, um uns hernach welche Schlüsse auch immer plausibel zu machen - nicht anders, als es die Mathematiker mit ihren Axiomen tun. Unser Zustimmen und Gutheißen gibt ihnen freie Hand, uns bald links, bald rechtshin zu ziehen, bis wir nach ihrer Pfeife Pirouetten drehn. Wer immer unsren Glauben an seine Postulate zu gewinnen weiß, ist unser Herr und Gott.

Jenen, die mit Postulaten in den Kampf ziehen, muß man deren jeweilige Umkehrung ins Gesicht postulieren - hat doch jedes von Menschen verlautbarte Postulat soviel Gültigkeit wie irgendein andres, solang der Verstand keinen Unterschied zwischen ihnen feststellt. Deshalb muß man sie samt und sonders auf die Waage legen, vornehmlich die allgemeinen und solche, die uns tyrannisiern.

Sich sicher zu wähnen ist ein sichres Zeichen äußerster Unsicherheit
- und Torheit dazu;

Montaigne II/12 (Übersetzung H. Stilett)

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