Donnerstag, 8. Januar 2015

Ringel, Ringel...

Tiere sind oft unsere besten Freunde, und ich möchte dazu nur aus einem Brief von Gustave Flaubert zitieren: „Gestern war ich versucht, drei Kälber zu umarmen, die ich auf einer Alm traf, aus Menschenfreundlichkeit und Mitteilungsbedürfnis", und Hans Henny Jahnn sagt: „Ich habe an der Gnade nicht vorbeisehen können, die ein Häschen in meiner Hand verschenkt -wie wenn etwas Jenseitiges mit großer Milde mein Herz berührte." Es steht für mich jedenfalls fest: Wer zu Tieren unmenschlich ist, kann kein guter Mensch sein. Freilich muß ich auf der anderen Seite zugeben, daß das menschliche Leben ohne „Verwertung" von Tieren unmöglich wäre. Ich will in diesem Zusammenhang ein Gedicht von Peter Feldmann zitieren, das ich jüngst in einer Zeitung gefunden habe:

Wir schaffen die Pelztierzüchter ab 
Sie töten Tiere
Wir schaffen die Kürschner ab 
Sie verarbeiten Tiere
Wir schaffen die Fleischhauer ab 
Sie töten Tiere
Wir schaffen die Köche ab
Sie verarbeiten Tiere
Wir schaffen Katzen ab 
Sie fressen Mäuse
Wir schaffen die Leoparden ab 
Sie töten Affen 
Wir schaffen die Fische ab 
Sie fressen Fische 
Wir schaffen die Vegetarier ab 
Sie vernichten Pflanzen 
Wir schaffen die Natur ab 
Sie ist grausam 
Wer schafft das Abschaffen ab.

Und ich möchte zwei Bemerkungen hinzufügen: Ich kenne eine prominente Dame, die First-class-Restaurants mit der Frage zu betreten pflegt: „Haben Sie Stopfgansleber?" Und wenn der Ober geflissentlich antwortet: „Selbstverständlich, gnädige Frau", dreht sie sich um und verläßt empört das Lokal, um anderswohin zu gehen und Hummer, Langustinos und Austern zu genießen, weil sie nämlich begeisterte Fischesserin ist (!). Auf der anderen Seite meine ich, daß die Aktionen, die in letzter Zeit gegen Kürschnergeschäfte durchgeführt wurden, einen aggressiven Haß verraten, den ich nicht billigen kann. Ich habe manche Menschen gesehen, die Tiere deswegen „lieben", weil sie Menschen hassen, und das scheint mir nicht die richtige Tierliebe zu sein. So wird bis auf weiteres der Satz von Alfred Polgar: Der Mensch ist gut, aber das Kalb ist schmackhaft" seine Gültigkeit behalten.

-------------------------------------------------------------------------------------------------

Ich halte das Leben für einen Reifungsprozeß und wünsche mir selber, zu sterben, wenn der Tod eine reife Frucht pflückt. Ich erlaube mir, in diesem Zusammenhang Rilke zu zitieren: „Denn wir sind nur die Schale und das Blatt. Der große Tod, den jeder in sich hat, das ist die Frucht, um die sich alles dreht." Aufgrund vieler Erfahrungen meines Lebens möchte ich Sie alle darauf hinweisen, daß die Seele einen viel größeren Einfluß auf den Zeitpunkt unseres Sterbens hat, als im allgemeinen angenommen wird. Im Alten Testament findet sich ein herrliches und einprägsames Wort: „Er war lebenssatt" *. Möge der Tod jeden dann ereilen, wenn er vom Leben gesättigt ist. Wie sagt doch Peter Altenberg: „Eine Kerze stirbt nicht, sie verlöscht."

Aus: Erwin Ringel, "Unbewußt, höchste Lust" (Oper als Spiegel des Lebens")

* Ich glaube, der Begriff stammt eher von Lukrez: "Warum willst Du nicht lebenssatt [plenus vitae] aufstehen vom Gastmahl des Lebens?"

Keine Kommentare: