Sonntag, 4. Januar 2015

Mitmenschlichkeit

 Unsere Mitmenschlichkeit reicht über einen relativ kleinen Kreis nicht hinaus. Das mag ungemütlich und hart klingen, doch in dieser eingeschränkten Trauerfähigkeit liegt auch - und das müssen wir eingestehen - ein Selbstschutz. Würden wir das ständige gewaltsame Hingemachtwerden, dieses unentwegt sinnlose Krepieren von Zigtausenden mit dem Sterben der uns Nahestehenden gleichsam mitempfinden und mit gleicher Intensität verspüren, wir wären wohl zu einem einigermaßen normalen Dasein keineswegs mehr imstande. Daß man mich nicht mißverstehe: ich predige weder Gleichgültigkeit noch Kaltherzigkeit angesichts all dessen, was uns täglich die Presse und die Medien bescheren: wir müssen wahrnehmen, was fremden Menschen angetan wird, denn wir dürfen nicht vergessen, daß einst wir selber fern hausende Fremde gewesen sind, die bestenfalls mit einem Achselzucken bedacht wurden. Und wir dürfen auch niemals vergessen, daß wir in einer unerahnbaren dunklen Zukunft erneut in diese Rolle geraten könnten.

Günter Kunert

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