Montag, 12. Januar 2015

CRAMBE REPETITA

CRAMBE REPETITA
(Aufgewärmter Kohl)

"Der crambe (Meerkohl) redete man eine fast sagenhafte Feindschaft zu allem, was Wein heißt, nach. Der Weinstock vertrage nicht einmal ihren Geruch, sagte man. Die Skythen, Römer und Griechen nahmen den Meerkohl, um sich vor Trunkenheit zu sichern. Aristoteles hat sich umständlich darüber ausgelassen, wie die crambe alle Säfte des Magens aufruft, um dem Weine wirksam zu begegnen. Junge crambe soll ein wohlschmeckendes Gemüse liefern. An wiederholt gekochter crambe aber ließen die Zungen kein gutes Haar: Zweimal crambe und du bist tot CRAMBE BIS MORS EST. Juvenal war es, der die Redensart aus dem Sprachgebrauch des Speisezettels in den Bereich der geistigen Garköche rückte. Ihm war etwas, was immer wieder vorgetragen, dem geistigen Geschmack widerstand. Wahrheiten also, die nicht mehr salzten und schal geworden waren, abgegriffene, lahme Gedanken, die nicht mehr zündeten. Elend stirbt an dem Kohle, dem ewig erwärmten, der Lehrer OCCIDIT  MISEROS CRAMBE REPETITA MAGISTROS (sat. 7,154).
Bei uns bekam der noch den Beigeschmack der Unwahrheit. Zählebige Vorurteile, immer neu vorgesetzte, längst abgetane Geschichtsfabeln, halbwahre Schlagworte, die das Denken überrumpeln und nach dem Gesetz der geistigen Trägheit durch die Massen und die Zeiten laufen, tragen, nur dem Wissenden sichtbar, das Markenzeichen Juvenals an sich. Wird nicht selbst in wissenschaftlichen Büchern unbesehen und unüberprüft manches weiter gegeben, bis endlich ein Juvenal auch hier die CRAMBE REPETITA beseitigt? Ist nicht auch der Klatsch, den juckende Zungen und wirre Köpfe immer wieder aufwärmen, CRAMBE REPETITA? Er verzerrt, vergröbert, vervielfältigt. Was einst Midas berührte, wurde zu Gold, was der uomo finto, der Schwätzer, zwischen die Zähne bekommt, zu lauterem Kohl."

Heinrich G. Reichert

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