Montag, 6. September 2010

Schönwettersender ORF

 Der Schönwettersender


Von Bernhard Baumgartner (Wiener Zeitung)

Es gibt wohl kaum ein Thema, bei dem mehr gemeckert wird als beim Wetter. Zu heiß, zu kalt, zu trocken zu nass – je nach persönlicher Befindlichkeit passt das Wetter immer irgendwem nicht in den Kram. Das ist weder neu noch originell. Allerdings versucht der Radiosender Ö3 die Meinungsvielfalt in Sachen Wetter regelmäßig unter einer wahren Orgie an Schönwetterjubel zu begraben. Kaum klettern die Temperaturen an die 25-Grad-Grenze heran, bricht im Sender ein Jubelorkan aus, der seinesgleichen sucht. Und ist es dann wieder zu kalt, wird gejammert. Zuletzt bei der großen Hitzewelle im Juli: Als schon das ganze Land unter der Hitze stöhnte, fanden das die Ö3-Menschen in ihrem klimatisierten Bürohaus noch immer ganz toll. Dass es irgendwo da draußen auch Leute geben soll, die es nicht ganz so heiß mögen (zum Beispiel weil sie davon Schmerzen bekommen oder krank sind), hat sich noch nicht herumgesprochen. Es ist auch nicht fein, Zuhörern, die in heißen Büros ausharren müssen, vom Badewetter da draußen vorzuschwärmen.

Allgemeiner gesprochen: Wieso werden Wetternachrichten überhaupt mit Meinung konnotiert? Sind Wetternachrichten vom Objektivitätsgebot ausdrücklich ausgenommen? Warum kann man diese Nachrichten nicht neutral gestalten? Schließlich gibt es beim Wetter so viele unterschiedliche Meinungen, dass man es nie allen recht machen wird können. Interessanter Weise sind etwa die Verkehrsnachrichten immer knochentrocken und neutral gebracht, obwohl es sicher nur sehr wenige Menschen gibt, die einen gepflegten Stau ganz toll finden.
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Mein Leserbrief dazu:

Gerade der ORF, der doch sonst ein so großes Herz für alle Menschen in Not hat, verhöhnt regelmäßig jene Teile der Bevölkerung, für die Hitze eine Qual ist und die daher Angst davor haben. Angst zu verbreiten, ist ein typisches Merkmal des tiefen Boulevards (nicht nur Sex, sondern auch "fear sells").
Nun könnte man einwenden, dass man ja nicht Ö3 zu hören braucht, aber die Regionalradios und ebenso das Fernsehen unterscheiden sich in dem Punkt kaum noch. Unvergesslich, wie Christa Kummer bei jeder Erwähnung des Wortes "Sonne" einen kleinen Hüpfer machte.
Dass in dem sich betont seriös gebenden Ö1 die Wetterprognose ebenfalls mit emotionaler Bewertung verknüpft wird, zeigt nur, dass bereits der ganze ORF durch und durch boulevardisiert ist. Es werden ja alle Meldungen, auch die politischen, mit "Meinung konnotiert". Für mich ist das ein Kennzeichen jenes schlechten Journalismus, der überall Platz greift. Zu einer sauberen Trennung von Information und Meinung sind offensichtlich die meisten Journalisten gar nicht mehr fähig. Oder will es wirklich das Publikum so? Ich fürchte, nach einiger Zeit kann es gar nicht mehr anders wollen.

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