Sonntag, 31. Juli 2016

Zuviel des Guten

P. Watzlawick hat Heraklits Gedanken von der „Einheit in der Vielfalt“ der Dinge   Enantíodromie 
aufgegriffen und darauf hingewiesen, dass ein Zuviel des Guten stets ins Böse umschlage. Zuviel Patriotismus erzeuge Chauvinismus, zu viel Sicherheit erzeuge Zwang. 
O-Ton Watzlawick:
"In der traditionellen Denkweise besteht kein ersichtlicher Grund, weshalb einmal ausgearbeitete und zufriedenstellend funktionierende Strukturen nicht beliebig vermehrt oder vergrößert werden können. Dem Systemtheoretiker ist es jedoch längst bekannt, daß dem quantitativen Vergrößern oder Wachsen nicht nur materielle Grenzen gesetzt sind (also z. B. Mangel an Geld, Rohstoffen, Raum usw.), sondern daß dabei aller Erfahrung hohnsprechende, beim heutigen Stande unseres Wissens unvoraussehbare Diskontinuitäten qualitativer Art eintreten können. So lehrt uns die Entwicklungsgeschichte des Gehirns, daß menschliche (digitale) Sprache erst bei einem Gehirngewicht von ungefähr 1400 Gramm möglich wird und sich nicht vielleicht schon inweniger komplexen Zentralnervensystemen langsam anbahnt.
Beim Bau von Supertankern soll es eine bei etwa 400 000 Tonnen liegende, kritische Grenze geben, bei deren Erreichen ein schneidende Änderungen in der Steuerbarkeit dieser Schiffe auftreten, auf die sonst völlig unerklärliche Kollisionen bei klarer Sicht und ruhiger See zurückzuführen sind....
...Beispiel des Patienten, dessen Körpertemperatur von 37°C auf 40°C ansteigt; ein Zeichen, daß er krank ist. »Erhöht sich die Temperatur um weitere drei Grade, dann ist der Mensch jedoch nicht - wie mancher Wirtschaftswissenschaftler haarscharf extrapolieren würde - doppelt so krank, sondern er ist längst tot.«

Das vielleicht amüsanteste Beispiel liefert John GALL (1978, S. 42) von der amerikanischen Raumfahrtstation Cape Kennedy. Um die kirchtumhohen Raketen vor Witterungseinflüßen, vor allem Regen und Blitzschlag, zu schützen, wurde ein Hangar gebaut, der eines der riesigsten Gebäude der Welt ist. Was lag näher, als längst bekannte Prinzipien und Erfahrungen des Hangarbaus, zweckentsprechend multipliziert, zur Anwendung zu bringen? Was sich erst nach der Fertigstellung der immensen Struktur erwies, war, daß ein Raum derartiger Größe sein eigenes, inneres Klima hat - nämlich Regengüsse und Entladungen statischer Elektrizität, und damit genau das aus sich selbst hervorbringt, wogegen er schützen sollte."
"Vor allem müssen wir feststellen, daß wir eine unseren Vätern fast unbekannte Grenze erreicht haben, nämlich jenen Punkt, an dem die naive Vergrößerung oder Multiplizierung des Wünschenswerten und Guten nur zu oft in ihr Gegenteil umschlägt. Und so stehen wir diesem scheinbar unvorhersehbaren Umkippen von Quantität in Qualität fassungslos gegenüber."
Es ist eine der Folgen des primitiven Ursachendenkens, daß die Enantiodromie - allen historischen Gegenbeweisen zum Trotz - Schwärmern wie Ideologen unvorstellbar bleibt und für sie daher völlig unerwartet hereinbricht. Erschwerend kommt dazu, daß diese Flachdenker die Menschlichkeit, Moral und Gerechtigkeit für sich gepachtet haben. Welcher Mensch guten Willens wäre nicht bereit, sich vorbehaltlos solch zündenden Parolen wie klassenlose Gesellschaft, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und dergleichen zu verschreiben? Die Ernüchterung kommt für die meisten zu spät -außer für den seltenen Großinquisitor, der es schon immer weiß.  
 Schade, dass Fr. Merkel offenbar weder Heraklit noch Watzlawick gelesen hat. 
Dass sie mich:  http://kumpfuz.blogspot.co.at/2016/01/die-physikerin.html#links  liest, kann ich ja nicht erwarten.

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"Es sind immer die Menschen mit den besten Absichten, aus denen am Ende Monster werden." 
Frédéric Beigbeder

"Alle Dinge haben ihre Zeit, auch die gutcn. Auch im Guten wird der Weise das Maß wahren."
Montaigne

"Ne quid nimis"
Terenz

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