Samstag, 1. November 2014

Schmiede

"...Heute habe ich auch unserer Nachbarin, der Schmie-    
din, längst verziehen, daß sie als Absender jener Briefe,
die sie mir als Gymnasiasten immer mitgab, damit ich   
sie in Wels einwerfe, Schmid statt Schmied schrieb. Da-  
mals freilich war mir dies immer ein Greuel. Wie        
konnte jemand seinen eigenen Beruf oder den Beruf      
seines Mannes so grob verschreiben, dachte der jugend-  
liche Besserwisser! Heute, da ich es noch besser weiß,  
weiß ich auch, daß die Schmidin, die kurrent, ja im we-  
sentlichen die gotische Kursive, eine Art Notula, von 
Sütterlin »normalisiert«, also eine »sütterlinisierte« 
Gotik schrieb, auch orthographisch richtig lag! Im Mit- 
 telhochdeutschen heißt es nämlich smit. Erst durch die 
 sogenannte Einsilberdehnung ist das i lang geworden. 
 Dieser Länge aber hat man später dadurch Rechnung 
 getragen, daß man das e nach dem i einfügte, das man 
 nach der sogenannten Monophthongierung plötzlich als 
 Dehnungszeichen verstand. In Dieb und lieb hat das 
 diphthongisch geschriebene lange i aber eine andere, 
 nämlich wirkliche Berechtigung, was ja auch die bai- 
 risch-österreichische Aussprache (Diab und liab) belegt. 

In Schmied ist das e nach dem i ein späterer Zusatz, nur
 um die Länge zu markieren! Dort, wo übrigens ein 
 altes ie nicht nur monophthongiert, sondern auch noch 
 gekürzt wurde - wie in Licht (mhd. liecht), hat man das 
 e nach dem i denn auch konsequenterweise beseitigt. 
 Die Schmidin hat sich bei ihrer Schreiberei natürlich 
 nicht das, sondern etwas anderes oder auch nichts ge- 
 dacht. Mit der Schreibung Schmid hatte sie aber durch- 
 aus recht, weil sie der Herkunft des Wortes entsprach. 
 Wie oft wird sie auch den Ortsnamen Schmiding auf der 
 Ortstafel vor Krenglbach gelesen haben. Ortsnamen 
 aber bewahren oft die ältere und richtigere Schreibung. 
 Und vielleicht hat sie später auch einmal mit dem Pen- 
 sionistenverband einen Ausflug auf die Schmittenhöhe 
 gemacht: Schmitt für Schmied, das, könnte manch einer 
 einwenden, sei ja nun wirklich die Höhe.  Die Tätigkeit des 
 Schmiedens heißt in der Mundart denn auch schmitten.
Und so hatte es auch seine ehrwürdige Richtigkeit, daß  
auf dem Schild über der Schmiede stand: Johann Wim-  
mer, Geprüfter Huf- und Wagenschmid.   
               
Und Wimmers Schmiede war nun tatsächlich eine     
Schmide, also ohne ie, ein Raum von mythischem Ruß,   
mit einem unebenen Lehmboden und bloß kleinen In-    
seln von Estrich, einer Esse, mit einem Blasebalg ange-
feuert, den man treten mußte und der ein gewisses    
Quantum an Luft auf Vorrat hielt, das man mit einem   
Kettenzug abrufen konnte, genaugenommen zwei      
Herdstellen, mit einer Wanne in der Mitte, in die die
glühenden Eisen zum Kühlen und Härten getaucht     
wurden. Es gab zwei Abteilungen, eine Wagen-  
schmied- und eine Hufschmiedabteilung. Die Huf-  
schmiedsektion war mit Notständen ausgestattet, in die 
die Pferde geführt wurden. Mancher der Schmiedege-  
sellen aber, mit nacktem Oberkörper arbeitend, glich   
Siegfried. Als wäre die Arbeit nicht schon schwer und 
hart genug gewesen, vollbrachte mancher in seinem ju- 
gendlichen Übermut auch nach dem Feierabend Kraft-    
und Mutproben. Und als Kind war mir immer, als hätte   
ich Teile des Nibelungenliedes beim Nachbarn erlebt.   
Noch heute bin ich mir sicher, daß dort einmal ein jun- 
ger Schmied einen Amboß entzweigehauen hat."

Aus A. Brandstetter, Schönschreiben.                                                      

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