Sonntag, 2. November 2014

Das Medium als Botschaft

"Erinnern wir uns des ehedem häufig zitierten Satzes von Marshall McLuhan, daß das Medium die Message sei, ergo die Vermittlung die eigentliche Botschaft, so sehen wir diese Feststellung nun als Realität um uns. Der permanente Schwund des Inhaltlichen zugunsten der Vorherrschaft des Vermittelnden wird unübersehbar. 
Ein Bühnenklassiker, auf den subventionierten Brettern im wahrsten Wortsinne exekutiert, wird herabgestuft zum puren Materiallieferanten für das inszenatorische Vabanque sich göttlich dünkender Interpreten. Die Sache selber ist von minderem Interesse, die verblüffende Aufführung alles. 
Mit diesem Substanzverlust geht eine Tempozunahme aller Abläufe einher, deren Folgen verheerend sind. Kultur, insbesondere Literatur, benötigt Zeit nicht bloß zum Entstehen, sondern auch zur Aufnahme. Aber weder Autor noch Leser bringen ausreichend Geduld auf, sich gründlich mit einem Werk zu befassen. Einzig die Älteren, die alten Leute besitzen noch die Muße - ein übrigens fremd gewordener Begriff -, sich mit einem Buch ausgiebig zu beschäftigen."

Günter Kunert (1994)

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