Freitag, 29. Januar 2010

Die Bühne + Die Josefstadt

Ich bekomme die Zeitschrift "Die Bühne" unverlangt als Abonnent der Josefstadt. Bis jetzt habe ich mich immer nur über den boulevardesken Stil dieser Zeitschrift geärgert – zu viele Adjektive und Superlative für meinen Geschmack. Während der Chefredaktion Hirschmann näherte sich „Die Bühne“ manchmal bedenklich dem Niveau von „BRAVO“ (Ausgabe Hochkultur). Als ich aber aus der Jubiläumsnummer erfuhr, daß die Wurzeln der Zeitschrift in den Bekessy-Sümpfen liegen, war mir dann wieder alles klar („Karl Kraus – schau oba“)!

Nun stellt sich Hr. Peter Blaha in seinem Editorial entschlossen hinter die Direktion der Josefstadt, die sich ihrerseits „entschlossen hat, dem Thema Vergangenheitsbewältigung im Frühjahr einen eigenen Schwerpunkt zu widmen“.

Es drängt sich die Frage auf, WESSEN Vergangenheit hier eigentlich bewältigt werden soll? Die Vergangenheit der Theatermacher und der Redakteure kann ja wohl nicht gemeint sein, weil diese doch kaum vor den 50-iger-Jahren geboren und somit über jeden Verdacht erhaben sind. Diejenigen aber aus dem Leserkreis bzw. Publikum, welche die Nazizeit bewußt erlebt und mitgemacht haben, sind weit in den Achtzigern; dieser überlebende Rest ist als Zielgruppe doch schon sehr klein und hat wohl schwerere Sorgen als diesen "Schwerpunkt". Oder wollen die Herrschaften die Vergangenheit der Toten bewältigen?

Bleibt als Rest also nur meine Altersgruppe, heute so rund um den Siebziger: Haben die in den Jahren 38-45 Geborenen bereits als Kleinkinder soviel verwerfliches Gedankengut unbewußt aus der Muttermilch oder aus der Luft in sich hineingesogen, daß sie jetzt einer Bewältigungs-Therapie bedürftig sind?

Als Jahrgang 1943 muss ich allerdings gestehen, daß ich (wie viele andere meiner Generation) in meiner Jugend und danach mich v. a. der Bewältigung der Zukunft gewidmet habe; daß daraus eine Gegenwart geworden ist, die den jetzigen Generationen nicht mehr gefällt, ist sehr zu bedauern, hat allerdings m. E. andere Gründe als eine unbewältigte Vergangenheit, für die man ja doch wohl erst nach der Kindheit verantwortlich gemacht werden kann. Aber schon immer waren die Väter schuld.

Ich bin es wirklich leid, andauernd vonZeitungspapier, Bühnenbretter, Lautsprecher und Bildschirm herunter den moralischen Zeigefinger gezeigt zu bekommen – hauptsächlich deswegen, weil ich die Bevölkerungsgruppe der Künstler und Journalisten (ganz so wie die Politiker) ganz einfach nicht als moralische Instanzen akzeptiere; dazu habe ich zuviel Einblicke in diese Welt gehabt. Für mich beginnt die Anständigkeit in meinem familiären und beruflichen Umfeld, und nur wer das halbwegs „hinkriegt“, hat für mich die Berechtigung, sich zum Sittenrichter über andere aufzuschwingen.
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P. Blaha antwortet:
"Vielen Dank für Ihre Mail, mein Editorial betreffend. Ob in der BÜHNE zu viele Adjektve und Superlative vorkommen ist wirklich eine Geschmacksfrage, wie Sie selbst anführen. Adjektive sind aber nun einmal für eine Sprache essentiell und in einer Berichterstattung über künstlerische Äußerungen, die sich oft nichtsprachlicher Medien bedienen (z.B. die Musik) geradezu notwendig, um sich ihnen verbal zu nähern. Im übrigen glaube ich nicht, dass ein Beitrag wie jener über Aribert Reimann in der Februar-Ausgabe "BRAVO-Niveau" hat. Er vermeidet allerdings auch Fachtermini, weil er sich nicht an einen Experten-Kreis, sondern an ein breites Publikum richtet. Dazu bekennen ich mich als Chefredakteur.
Was das Thema Vergangenheitsbewältigung anlangt, so haben Sie zunächst einmal recht, was meine Generation betrifft. Ich bin 1959 geboren, habe die schreckliche Zeit des Nationalsozialismus nicht miterlebt. Aber meine Leidenschaft für klassische Musik, die mich schon als Achtjährigen erfasst hatte, hat mir sehr bald schon Dinge vor Augen geführt, die ich als bedenklich und ungerecht empfand. Ich war zwar ein großer Verehrer von Karajan und Karl Böhm (letzteren habe ich sogar persönlich kennenlernen dürfen und viel Zeit mit ihm in Proben, Schallplattenaufnahmen, Konzerten und Opernvorstellungen verbracht), als ich aber Schallplatten von Fritz Busch, Erich Kleiber oder Otto Klemperer hörte, die mich nicht minder faszinierten und deren Qualitäten denjenigen eines Böhm oder Karajan nicht nachstanden, habe ich mich schon gefragt, wieso diese Männer in Deutschland und Österreich keine so wichtigen Positionen einnehmen konnten. Und siehe da, ich musste erfahren, dass man sie in der Nazi-Zeit teils verjagt hatte, teils waren sie von sich aus in die Emigration gegangen. Doch nach dem Krieg hat man sie nicht etwa zurückgeholt, was menschlich angebracht und künstlerisch geradezu das Gebot der Stunde gewesen wäre. Man hat sie bestenfalls als Gäste geduldet. Jene aber, die mit den Nazis kollaboriert hatten, bekamen auch nach 1945 wieder die wichtigen und einflussreichen Positionen.
Ganz besonders schlimm hat man Josef Krips mitgespielt. Im Krieg mit Arbeitsverbot belegt, hat er 1945 das österreichische Musikleben wieder aufgebaut, in der Oper, in Salzburg, mit den Philharmonikern. Doch nach 1947 hat man ihn zugunsten der gerade entnazifierten Musiker links liegen gelassen und ihm später sogar noch eine Konzertreise nach Russland, die er einzig auf Druck der österreichischen Regierung unternahm, um in den Staatsvertragsverhandlungen für positive Stimmung zu sogen, zum Vorwurf gemacht. Als Kommunist wurde er beschimpft, Menschen haben auf der Strasse vor ihm ausgespuckt. Wäre die Vergangenheit damals besser aufgearbeitet worden, wäre so etwas wahrscheinlich nicht möglich gewesen.
Nicht nur Ihre, auch meine Generation wurde noch mit bedenklichem Gedankengut großgezogen. Mit Vorurteilen anderen Menschen gegenüber ist man schnell zur Hand. Ich nehme mich da gar nicht aus, auch an mir selbst muss ich manchmal diese Tendenz feststellen, worauf ich mir dann aber die Mühe nehme, diese Vorurteile zu reflektieren. Was mir immer wieder auffällt ist, dass sich viele Menschen behaglich in ihren Vorurteilen einnisten und sie als schnelle und bequeme Rechtfertigung gebrauchen, die immer zu Hand ist, um nur ja nicht die Schuld bei sich selber suchen zu müssen. Daher ist Vergangenheitsbewältigung notwendig, um diese Mechanismen bewusst zu machen, auch den jüngeren Generationen, damit wir nicht wieder in eine Katastrophe stürzen wie 1938, von der es nachher hieß, das haben wir nicht gewusst und nicht gewollt. Das konnte jene Generation, die als erste die Erfahrung mit totalitären Systemen machte, noch mit einigem Recht von sich behaupten.
Jetzt aber sind wir klüger und können den Anfängen wehren. Dazu aber ist auch Vergangenheitsbewältigung notwendig, und dass sich das Theater in der Josefstadt dem verschreibt, ist eine tolle Haltung, die meinen Respekt und meine Hochachtung verdient. Man könnte es sich im Theater leichter machen, so nach dem Motto: Nur nicht anstreifen, niemanden vergrämen und sich auf seinen künstlerischen Erfolgen ausruhen. Dass dies Direktor Herbert Föttinger nicht tut, dass er sich seiner gesellschaftliche Verantwortung bewusst ist und danach handelt, verdient Hochachtung, die ich auszudrücken niemals zögern werde.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Blaha
Chefredakteur/ BÜHNE

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Ich glaube, er hat mich überhaupt nicht verstanden. Habe zuerst überlegt, zu antworten, aber es ist zwecklos: Wer derart auf dem hohen moralischen Ross sitzt, kann von dort durch nichts und niemand heruntergeholt werden. Deswegen sitzen die Leute ja dort so gerne....
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Interessant auch die präpotente Antwort aus der Josefstadt, wohin ich eine etwa gleichlautende Mail geschrieben hatte:

"Sehr geehrter Herr Kumpfmueller,

danke fuer Ihr Mail.

Ich halte es für ein Missverständnis, davon auszugehen, dass sich das Theater zum „Sittenrichter“ aufschwingen und (Ihnen?) eine „moralische Standpauke“ halten oder Sie „therapieren“ will. Das ist ein Kunst- und Diskursverständnis, das ich nicht teilen kann. Wenn man eine derartige Absicht wittert, muss es mühsam sein, einen Theaterabend unvoreingenommen zu rezipieren.
Meine Einschätzung ist, dass ein Künstler sich nicht in erster Linie mit Themen beschäftigt,
weil er will, dass ein Publikum sich damit beschäftigt.
Sondern weil er selbst sich damit auseinandersetzen will.
Ein Theaterabend ist ein Angebot an ein Publikum, einen solchen reflektierenden Weg mitzugehen.
So jedenfalls sehe ich das.
Beste Grüße aus der Josefstadt
CHS

Christiane Huemer-Strobele
Leitung Kommunikation JOSEFSTADT Theater"
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Nun, wenn man in der Josefstadt DAS unter Kommunikation versteht.....

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