Freitag, 9. März 2018

Überwindung der Physik

Es ist eine oft beobachtete Tatsache, daß gerade die hellsichtigsten Köpfe in reifen Jahren zu einer Art Köhlerglauben zurückkehren, über den sich der »vorurteilslose« Positivist nur deshalb erheben zu können glaubt, weil er ein moralischer und intellektueller Parvenü ist. ..... Er hat einige ungereimte Vorurteile abgelegt und sich einige nützliche Kenntnisse zugelegt, aber er ist viel zu eingebildet auf diese kleinen provisorischen Errungenschaften, um sich über sie stellen zu können, um zu wissen, daß es gewissermaßen nur punktierte Hilfslinien sind, nützlich und unentbehrlich wie alle Hilfslinien, aber schließlich doch nur dazu da, um eines Tages ausradiert zu werden. Die Physik ist etwas, das überwunden werden muß, und zwar - durch Physik. 
Es ist entweder alles rätselhaft oder nichts. Die Frage, was die Dinge wirklich sind, ist natürlich für jedermann »zu hoch«, Alles ist ein Symbol, ein Gleichnis, ein Bild, daher letzten Endes unerklärlich, wie man ja auch ein Gemälde nicht »erklären« kann. Aber mit welchen Farben und in welcher Technik es gemalt ist, kann man sehr wohl sagen, wenn man etwas von Malerei versteht. Das Phänomen des Magnetismus ist das verwirrendste Geheimnis, das sich denken läßt, und auch der größte Naturforscher kann es nicht enträtseln. Aber eine mathematische Formel kann er dafür finden! Das Empirische einer Erscheinung muß allemal zu ergründen sein, das ist immer nur eine Frage der Urteilskraft und der Sachkenntnis. Man darf und soll also alles für erforschbar halten, nur soll man nicht glauben, dann habe man den Schlüssel des Weltgeheimnisses, wie das die törichten Monisten tun. Gottesfurcht und Demut vor den ewigen Rätseln läßt sich mit wissenschaftlicher Neugierde und Glauben an die menschliche Vernunft sehr wohl vereinigen. 

E. Friedell

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