Freitag, 15. Mai 2015

Verbewältigung

      Ich hoffe, man rechnet mich wegen der u.a. Zitate jetzt nicht zur "falschen Seite".
------------------------------------------------------------------------------------------------------

      Vom Mangel an Narren
     | Von Erich Hackl (Die Presse)


      Was ihr missfällt, bringt sie un­verbrämt zur Sprache. Sprachgewaltig kämpft 
Hazel Rosenstrauch in ihren Aufsätzen unter dem Titel „Juden Narren Deutsche“ wider die
      „Verbewältigung“ der Geschichte. 
      Hazel Rosenstrauch formuliert bisweilen etwas schnoddrig ..... aber ihre Aufsatzsammlung          „Juden Narren Deutsche“ trifft auch hierzulande verbreitete   Betroffenheitsrituale.
      „Die Beschäftigung mit den Juden ist zu einer Mode geworden“, schreibt Rosenstrauch, „sie
      schadet nicht mehr, beißt niemanden und nützt im Glücksfall der Karriere.“ An diesem
      Sachverhalt stört sie nicht so sehr, dass Opportunisten ihn sich zugute machen, sondern die
      fortdauernde Instrumentalisierung von Juden (einschließlich der „unjüdischen“, zu denen sich
      die Autorin zählt): „Schön wäre es, ich könnte die Entscheidung darüber, wer ich bin, selbst
      treffen.“ .....
      Das Wort Identität, erinnert Rosenstrauch, leitet sich von dem Ausweis her, der die
      Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und einem Ort dokumentiert. „Seine wäre deutsch und
      meine wäre nach den Maßstäben des heutigen Diskurses jüdisch. Die Brücke bestünde aus
      Mahnmalen, leeren Synagogen, Pilgerfahrten und, eng damit zusammenhängend, Trotz bei
      Deutschen, die endlich wieder stolz und selbstbewusst sein wollen. Es wäre nicht nur unsere
      Liebe gescheitert, wie Tausende Lieben scheitern, sondern auch der Versuch, neue Identitäten
      jenseits der national­religiös­rassischen Zugehörigkeiten zu kreieren. Und deshalb mag ich
      diese Identitätsdiskurse nicht.“
      Auch die Auswüchse der „Erinnerungskultur“ können ihr gestohlen bleiben. In Berlin­
      Schöneberg, wo sie zu Hause ist, hängen 80 Schilder herum, die auf die schrittweise
      Entrechtung der jüdischen Bevölkerung aufmerksam machen sollen. Anfang der 1990er­Jahre,
      als sie installiert wurden, hielt die Autorin das noch für eine gute Idee, wegen der
      beabsichtigten Irritation der Passanten. Mittlerweile sind ihr die Tafeln zu einem Ärgernis
      geworden: Normalbürger schauen längst nicht mehr hin. Rosenstrauch dagegen wird jeden Tag
      daran erinnert, „dass nur die Gnade der späten Geburt mich davor bewahrt hat, deportiert zu
      werden. Jeder Weg nach draußen wird durch diese gut gemeinten Tafeln zur Erinnerung an
      diese Differenz.“
      Noch unerträglicher findet sie das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas, das zu
      einem Publikumsrenner und Touristenschlager geworden ist, weil es mit seinem Irrgarten
      Gefühle der Beklemmung und Unsicherheit erzeugt. Was ist dagegen einzuwenden? Erstens,
     dass am schuldhaften Verhalten ihrer Vorfahren leidende Nichtjuden mit dem Besuch des
     Stelenfeldes sich ein paar Stunden lang als Opfer empfinden dürfen, also in den Genuss eines
     temporären Ablasses kommen, zweitens, dass es ein gutes, oder schlechtes, Beispiel dafür ist,
     wie „das Scheitern der Aufklärung mit Vertrauen ins Gefühl beantwortet“ wird. „Man soll sich
     wie die Juden fühlen, einsam und verloren und erstaunlicherweise fühlen sich dann auch alle
     so, wie es der Architekt und seine Interpreten vorgeschrieben haben.“
     Rosenstrauch ist weit davon entfernt, Philosemitismus als bloße Spielart des Antisemitismus
     wahrzunehmen. Aber sie schärft den Blick auf Kontinuitäten, verweist auf Schönerer und Hitler,
     die aus Gründen der Effektivität ein Feindbild besonders beschworen hatten, und glaubt dieses,
     zum Opferbild verkehrt, heute wiederzufinden: „Man muss sich auf einen Gegner
     konzentrieren. Das kommt mir in den Sinn, wenn die Darsteller politischer Korrektheit sich auf
     die Juden konzentrieren.“ Zu ergänzen wäre, dass die Abwicklung der DDR und ihre negative
     Stilisierung zur „zweiten deutschen Diktatur“ diesen Reduktionismus noch befördert hat: Der
     dort als Staatsdoktrin verbreitete und durch die Biografien seiner Spitzenpolitiker beglaubigte
     Antifaschismus war bei allem Missbrauch, bei aller Lückenhaftigkeit hellsichtiger als die im
     Westen vorherrschende Doktrin der Vergangenheitsbewältigung („Verbewältigung“, nach
     Rosenstrauch), die die vom Nationalsozialismus vollzogene Aufspaltung in Deutsche hier, Juden
     da fortgesetzt hat, weswegen die Autorin dem Frieden nicht traut und froh darüber ist, „dass
     die Kaufhäuser und Banken, die derzeit Tausende Leute entlassen, nicht in jüdischer Hand und
     erst recht, dass sie nicht in jüdischen Händen sind“.
     Wie bei einem Sammelband üblich, überschneiden sich manche Aufsätze. Was in dem einen
     angetippt wird, rückt im andern ins Zentrum. Das erhöht eher das Lesevergnügen.
     Rosenstrauch setzt jedesmal anders an, auch in den selbstbiografischen und
     familiengeschichtlichen Passagen, die unterschiedliche, scheinbar widersprüchliche Erfahrungen
     beschreiben. Sie hat nicht das Bedürfnis, anderen etwas beweisen zu müssen. Und sie hat
     Humor. Deshalb beschäftigt sie sich ja auch mit der sträflich vernachlässigten Disziplin der
     Narrologie. Denn obwohl die meisten Intellektuellen – je nach Veranlagung und Bedarf – den
     Hofnarren oder Pausenclown geben, fehlt es den echten Narren – den weisen, „die
     balancierend durch die Welt gehen“ – offenbar an Nachwuchs.
     Es liegt also nahe, dass sich Hazel Rosenstrauch übermütige Gedanken über die dringlich
     anstehende Narrenzucht macht. „Ich hab mir schon oft überlegt, wie eine solche Zucht und wie
     das Curriculum dafür heute aussehen könnte. Morgens würden die politisch korrekten Tabus
     heruntergebetet. Danach freies Spiel mit Krummsäbeln und Davidsternen, mittags koscheres
     Essen mit Schinken garniert und nach dem Mittagessen Seiltanz zwischen Kirchturm und
     Minarett. Du hast sicher bessere und bösere Vorschläge, schick sie mir.“ 

     Aus: © DiePresse.com | Spectrum  (07.01.2011) 

 

Keine Kommentare: