Samstag, 16. Mai 2015

Ikonoklasmus

"Die menschliche Gesellschaft hat die Notwendigkeit des Umweltschutzes erkennen müssen, als es beinahe schon zu spät war, die Grundelemente für unsere Existenz zu erhalten. Wer aber schützt den geistigen Besitz, die sogenannten kulturellen Güter, die zu einem beträchtlichen Teil durch das Theater repräsentiert werden?
Wenn schon die klassischen Bühnenwerke, musikalische und gesprochene, diesem frechen Wahnsinn der Interpreten preisgegeben sind, fragt man sich, wann wohl endlich die »zeitgenössischen« Korrekturen an den Gemälden vergangener Epochen vorgenommen werden! Sie hängen jetzt lange genug in veralteten Formen und Farben in den Museen. Da sind zum Beispiel, die Aposteltafeln von Albrecht Dürer. Dieser Maler war, wie man seit den Erkenntnissen des letzten Dürerjahres weiß, eigentlich ein »raffinierter Geschäftemacher, von wandelbarer Gesinnung und schlau«. Die vier Apostel sind Künder einer' neuen Lehre gewesen, geistige Revolutionäre, das sollte auch unserer Zeit nahegebracht werden. Weg mit den »heiligen« Köpfen, dafür Lenin, Mao, Castro usw. oder je nach Neigung - Mussolini, Hitler, Stalin, Nixon usw. hingemalt. Oh, Dürer war ja schlau, er hätte gewußt, was er wollte. Das ergäbe dann auch eine Brücke (oder gar einen Regenbogen wie im >Rheingold<) zum »weiblichen Christus« Brünnhilde. Und so weiter. Man  braucht keine zwei Jahre, um dieses zukunftsträchtige Konzept nach Belieben fortzusetzen. Das Ergebnis ist ein Musterbeispiel von der Gattung dessen, was Hans Pfitzner als »Edelquatsch« bezeichnet hat. Und damit wären solche Produkte nicht weiter ernst zu nehmen, wenn nicht die jungen wären, überhaupt jene, welche die großen Werke unserer Musiker und Dichter zum erstenmal in grotesken Zerrbildern kennenlernen. Sie haben keinen Vergleich wie die Älteren, und damit wird kaltblütig, gerechnet. Die Bühne, die Opernbühne (!) wird als »politisches Forum« zur Interpretation persönlicher Überzeugungen mißbraucht. Vorexerziert an den bewährtesten und populärsten Meisterwerken, subventioniert durch Staat und Städte."

Aus: Rudolf Hartmann, Das geliebte Haus, Mein Leben mit der Oper. 

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