Mittwoch, 27. August 2014

Der ewige Jude

Weil mich der leichtfertige und missbräuchliche Umgang mit dem Schlagwort "Antisemitismus" in den Medien (WZ, ORF etc.) über die Maßen ärgert, lese ich momentan das Buch "Der ewige Jude" von Hellmut Andics über die "Geschichte des Antisemitismus", ein Buch aus dem Jahre 1965, das bei mir schon lange im Regal schlummerte...

Ein bemerkenswertes sachliches und unparteiisches Buch, das in dieser Form wahrscheinlich heute gar nicht mehr geschrieben und verlegt werden könnte. Allein der Satz: "Das Judentum, das nach den bitteren Erfahrungen der Hitlerzeit überall Antisemitismus witterte, ging von der Forderung nach Gleichberechtigung zur Forderung nach Bevorrechtung über" würde heute schon unter Antisemitismus eingereiht. Dabei ist genau das die Problematik: Wenn es auch noch so berechtigt und verständlich ist - es funktioniert auf Dauer in der Gesellschaft einfach nicht und facht nur die Glut immer wieder auf's neue an. Dass in diesem Buch auch die Ursachen auf jüdischer Seite nicht verschwiegen, aber, wo notwendig, relativiert werden, macht es so glaubwürdig. Auch das ist heute nicht mehr möglich.

"Schon die nüchterne Darstellung der Fakten [der Nazi-Greuel] gerät in den Verdacht, eine Pardonierung zu sein. Wer die Judenfeindschaft nicht ungeprüft als Ungeist verdammt, sondern nach Erklärungen sucht, kommt sehr schnell in den Geruch, selbst Antisemit zu sein. Um die Wiederholung der KZ-Greuel für alle Zeiten zu verhindern, scheint jedes Mittel geeignet, vor allem Schweigen. Dass diese Methode nicht zum Erfolg führt, zeigt das Wiedererwachen des Antisemitismus schon wenige Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges." 

"Das Image des Juden in der Zeit nach 1945 bekam neue Konturen. Der Jude wurde zum Repräsentanten des Siegers und in noch stärkerem Maße als nach 1918 zum Nutznießer des allgemeinen Elends. Die Beherrscher des schwarzen Marktes kamen aus den Flüchtlingslagern. Während die Bevölkerung hungerte, kam aus den Lagern eine Flut von Lebensmitteln.
Die Behörden, die sich in Deutschland und ebenso in Österreich neu etablierten, versuchten ihre noch taufrische demokratische und humanitäre Grundhaltung durch eine mehr oder minder umfangreiche Wiedergutmachung an den Juden zu beweisen. Das alles war eigentlich folgerichtig; aber in der verhängnisvollen Geschichte des Antisemitismus ist immer alles logisch und selbstverständlich, was dann zuletzt doch nur dazu führte, daß die Judenfeindschaft aufflackert. Hunderttausende Kriegsversehrte mußten sich mit kleinen Renten zufriedengeben, Millionen Bombengeschädigte warteten jahrelang vergeblich auf irgendwelche Entschädigungen, Besatzungsopfer konnten keinen Ersatz für Plünderungen, Demontagen, Beschlagnahmen erhalten. Nur die Juden bekamen Geld. Viel Geld.
Dem kleinen Geschäft auf dem schwarzen Markt folgte sehr bald das große Schiebergeschäft. Jetzt kamen die Sardinen waggonweise, die Zigaretten in Wagenladungen, das Mehl zu Tonnen. Daß eine Zeit des allgemeinen Hungers die Großschieber auf den Plan rufen mußte, war klar. Daß die Juden in dieses Geschäft einstiegen - einzelne Juden, versteht sich, aber für die anderen waren es eben „die Juden" -, ist ebenso erklärlich: Die Juden hatten als die klassischen Opfer des NS-Regimes von vornherein bei den Alliierten offene Türen; und die alliierten Kontakte waren nötig, um die großen Coups zu landen. Ihre Partner waren oft die Umerzieher in alliierter Uniform selbst. Und diese hatten auch keine Bedenken."

Ein Beispiel für die Objektivierung mancher  gängiger Vorurteile bietet folgende Text-Passage:
"Um die Jahrhundertwende [1800/1900] befanden sich sämtliche Wiener Großbanken und 76 Prozent der österreichischen Industrie in jüdischem Besitz. Weil Wien solcherart der stärkste wirtschaftliche Stützpunkt des Judentums in Europa war, wurde es auch zum stärksten Ausgangspunkt des Antisemitismus. In dieser Atmosphäre formte sich der arbeitslose Adolf Hitler sein Weltbild."
Also ist es nicht die der "Österreichischen Seele" innewohnende Niederträchtigkeit, wie die sich links gebende Journailleria und einige darin  eingebettete Wissenschaftler uns glauben machen wollen.
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Hier noch eine Passage über Adolf Eichmann:

"Das System wurde durch Adolf Eichmann repräsentiert. Es wäre jedoch irrig, sich diesen Mann als eine Bestie in Menschengestalt vorzustellen. Adolf Eichmann wurde zur Personifikation einer Maschinerie, und stellvertretend für diese Maschinerie wurde er in Israel vor Gericht gestellt und justifiziert. Um einen derartigen Mechanismus der Massentötung in Betrieb zu setzen, mußten zahlreiche Räder ineinandergreifen. Eichmann war eines davon; als die Maschinerie abgeurteilt wurde, standen die übrigen - Hitler, Himmler, Heydrich, Gestapo-Müller und Kripo-Nebe - nicht mehr zur Verfügung. Nur Eichmann blieb übrig als Repräsentant eines Kollektivs.

Die Maschinerie konnte nur in einem System funktionieren, das das Einzelwesen zum absoluten Nullwert degradierte. In einem solchen System ist der nächste logische Schritt die Erkenntnis, daß das Leben nur dann von Wert sei, wenn es dem Staate diene, und daß daher „unwertes“ Leben ausgeschaltet werden müsse. Diese Ausschaltung begann im Staat des Nationalsozialismus mit dem Befehl zur Euthanasie bei Einzelpersönlichkeiten, zum Beispiel bei unheilbar Geisteskranken, und endete mit der Liquidation ganzer Gruppen von „Reichsfeinden“ - also der Juden. 

War ein solches System erst einmal grundsätzlich konstituiert, dann benötigte es nicht mehr den herkömmlichen Typ des Verbrechers als Massenmörder, sondern konnte sich mit dem Verwaltungsbeamten als Exekutor begnügen. Es zeigte sich auch prompt in zahlreichen Fällen, daß die KZ-Bestie ein durchaus bürgerlicher Mensch war. Neben den brutalen Gewaltmenschen, bei denen die sich bietende legale Gelegenheit die Bestie zum Durchbruch kommen ließ, gab es ebenso Männer, die die seelische Beanspruchung durch das System nicht durchhielten."

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