Sonntag, 30. Juli 2017

Negentropie

Unser Herangehen an die Probleme sollte durch einen Grundsatz bedingt sein, den viele Problemlöser heute schon anwenden, besonders, wenn es sich um sehr komplexe Situationen handelt. Das Rezept lautet, sich nicht zu fragen, was wir tun müssen, um die Dinge zu verbessern, sondern sich die äußerst nihilistische Frage zu stellen, was wir tun müssten, um die Lage vollkommen unmöglich zu machen. Dieses scheinbar so negative Denken hat den großen Vorteil, dass wir uns nicht auf weiß Gott welche hohen Ideale einstellen, sondern dass wir uns ernsthaft fragen, welche Systemeigenschaften wir in Betracht ziehen beziehungsweise respektieren müssen, um eine Verschlechterung des Problems zu vermeiden. Der Fehler, den ich sowohl als Therapeut wie auch als Berater von Großfirmen am häufigsten sehe, ist die Annahme, dass ein großes komplexes Problem nur durch ebenso große komplexe Lösungsstrategien angegangen werden kann. Allein schon die Entwicklungsgeschichte des Lebens auf unserem Erdball belehrt uns eines Besseren, denn die unerhörte Komplexität des Lebens entstand aus einfachsten Ausgangsbedingungen und in kleinsten Schritten. Wie wir wissen, waren alle großen Wandlungen in der Evolution katastrophisch. Das Kleine ist möglicherweise bedeutender als das Große. Das ist für viele Weltbeglücker natürlich eine überaus schäbige Idee, mit der man die Massen nicht begeistern kann.
Die Naturwissenschaften haben diese Phänomene bereits in ihrer Sprache und in ihrer Weise postuliert. Sie werden sich erinnern. dass die Entropie im Sinne des Ersten Hauptsatzes der Wärmelehre die Tendenz von Systemen bezeichnet, aus einem Zustand der Ordnung in Unordnung überzugehen. Dagegen gibt es aber auch eine Negentropie. das ist die Art von Prozessen, die wir in der Natur immer wieder beobachten können: das Wachsen, Sich-Verbessern. Ich glaube. wir sollten am besten zu Dienern der Negentropie werden.
Mir ist in diesem Zusammenhang Heinz von Foersters ethischer Imperativ sehr wichtig. Er lautet: »Handle stets so, dass weitere Möglichkeiten entstehen.«

Aus: Paul Watzlawick, Vom Unsinn des Sinns oder vom Sinn des Unsinns.

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