Montag, 10. Februar 2014

Safranski-Texte

 Ein paar Texte aus Rüdiger Safranskis 
"Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch"

Hinter einer Macht, die sich als Menschheit in
Aktion aufspielt, wird immer eine partikulare Macht
stecken, die sich mit diesem Manöver in der Kon-
kurrenz mit anderen Mächten Vorteile zu verschaffen
sucht. 
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Bedenkenswert für die gegenwärtige Lage, wo die
Weltmacht USA ausdrücklich nicht im bloßen Eigen-
interesse sondern unter Berufung auf Prinzipien einer
Weltfriedens-Politik internationale Regeln und Völ-
kerrechte glaubt ignorieren zu dürfen, bedenkenswert
also ist in dieser Situation der Hinweis Kants, daß an-
gesichts der Zzweizüngigkeit der Politik die Achtung fürs
Recht höher zu schätzen sei als die sogenannte Men-
chenliebe, auf die sich oft diejenigen berufen, welche
sich nicht auf die besser überprüfbare Rechtlichkeit
ihres Handelns festlegen lassen wollen. Eine Über-
macht, schreibt Kant, findet es in der Regel ratsam,
sich gar nicht auf Vertrag einzulassen und stattdessen alle
Pflicht auf lauter Wohlwollen auszudeuten. Dieser Hinter-
list einer l.ichtscheuenPolitik müsse die öffentliche Kritik
begegnen und das Prinzip einfordern, daß man sich
zuerst an die rechtlichen Gebote und Verbote zu hal-
ten habe, ehe man sich, wie Kant süffisant schreibt,
dem süßen Gefühl des Wohltuns überläßt. 
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 ......daß die Geschichte insgesamt auf kein
Ziel zusteuert, das in einer ominösen Zukunft erreicht
wird. Geschichte ist keine Fahrt, bei der man unter-
wegs, wie bei der Eisenbahn, den Anschluß verpas-
sen könnte. Die Geschichte ist immer schon ange-
kommen, in jedem Augenblick ist sie am Ziel. Und
was die langfristigen Pläne und Vorhaben betrifft, wird
man immer darauf gefaßt sein müssen, daß es anders
kommt, als man denkt. Im Gestrüpp der Geschichten
gibt es keine unabgelenkte Realisierung eines Pla-
nes. Geschichte ist das von keinem so beabsichtigte
Resultat zahlloser Einzelabsichten, die sich kreuzen,
verschlingen, ablenken. Deshalb gibt es auch nur ein
Handeln im Handgemenge mit beschränkten Aus-
sichten, ein Gemisch aus Zufällen, Kompromissen,
Irrsinn, Klugheit und Gewohnheit. Der Mensch, statt
Geschichte zu machen, ist in Geschichten verstrickt,
reagiert darauf, wodurch wieder neue Geschichten ent-
stehen. Geschichte ist das Gewimmel aus Geschich-
ten und deshalb notorisch unübersichtlich.
Hier eine Lichtung schlagen bedeutet, im Gewim-
mel der Geschichten die eigene Geschichte entdecken,
energisch festhalten und ihren Faden fortspinnen im
Bewußtsein, daß sich die eigene Geschichte doch
im Gewirr der vielen Geschichten verstricken und am
Ende verlieren wird. Es heißt Abschied nehmen von
der Illusion, daß es eine Lichtung als Kommandohöhe
gibt, von der aus Geschichte insgesamt gesteuert wer-
den könnte.
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Die ständige Erreichbarkeit, das Ideal dcr
Kommunikationsgesellschaft, gilt als Fortschritt, wo-
bei man offenbar vergessen hat, daß früher nur das
››Personal« ständig erreichbar sein mußte. Heute drängt
man offenbar danach, sich vom Kommunikationsnetz
als Dienstbote anstellen zu lassen. Es wird suggeriert,
daß es auf allseitige Öffnung und ständige Kommuni-
kationsbereitschaft ankommt. Dabei wird vergessen:
Nicht nur der Körper, auch unser Geist braucht einen
Immunschutz; man darf nicht alles in sich hineinlas-
sen, sondern nur soviel, wie man sich anverwandeln
kann. Die Logik der kommunikativ vernetzten Welt
aber ist gegen den kulturellen Immunschutz gerich-
tet. In der Informationsflut ist man verloren ohne
ein wirkungsvolles Filtersystem. Man kann es sich
nur verschaffen, wenn man weiß, was man will und
was man braucht. Wer sich dem Kommunikations-
zwang nicht beugt, müßte sich von dem Ehrgeiz be-
freien, immer auf der Höhe der Zeit und an der Spitze
der Bewegung zu sein. Nicht ans Netz gehen zu
müssen, ist fast schon ein Privileg, ebenso wie in die
Nähe sehen zu können, statt Fernsehen.




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