Freitag, 23. November 2012

Thielemanns Wagner-Buch

Ich lese momentan Christian Thielemann: "Mein Leben mit Wagner".

In musikalischen Dingen ist das Buch sehr interessant, in einigen anderen Punkten aber enttäuschend, weil bei kritischen Fragen etwas sehr "opportunistisch" oder sagen wir "vorsichtig", beispielsweise beim Thema Regietheater; er will es sich halt mit niemandem verderben und so möglicherweise irgendwo um ein Wagner- oder Strauss-Dirigat kommen. Er denkt sich wohl: Gegen den Wind des Feuilletons kann man nicht spucken. Interessanterweise verlassen ihn bei diesem Thema auch Berliner Humor und Ironie, die bei anderen Themen durchaus vorhanden sind.

Und natürlich ist er in der Frage von Wagners Antisemitismus ganz auf Linie. Damit meine ich: Auch er redet hauptsächlich von diesem Charaktermangel Wagners und sehr viel weniger von anderen, mindestens ebenso schwerwiegenden Defiziten: Dass er Freunde und Gönner reihenweise und schwerstens betrogen und hintergangen hat, wiegt aus heutiger Sicht offenbar viel weniger als sein Antisemitismus. Der war ja nun wirklich arg und wohl auch in manchen Äußerungen über das im 19. Jhdt. durchaus "übliche" Mass hinausgehend.

Und trotzdem: In der heutigen öffentlichen Moral gibt es offensichtlich nur eine einzige Todsünde, den Antisemitismus. Der  modern-elegante Umkehrschluss liegt nahe: Alle übrigen sozialen Schweinereien gegenüber Partner, Freunden, Kollegen etc. sind demnach durchaus verzeihlich, wenn man nur in jüdischen und israelischen Angelegenheiten auf Linie ist.

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