Sonntag, 27. Januar 2008

Meistersinger in der Kritik

Aus Wolfgang Schlüter "Anmut und Gnade":

".... heißt es vom Rezensenten in der Encyclopedie nicht, es falle ihm leichter, über ein gutes Buch zu berichten, als eine gute Zeile zu schreiben? Dabei könnten Musikjournalisten fast immer besser schreiben, als sie es tatsächlich tun. Mangel an Akkuratesse und Reflexion, schlechter Stil, Oberfläch­lichkeit und schlampige Recherche sind selten das Resul­tat geringer Metierbeherrschung, sondern fast immer das Ergebnis von Termindruck, schlechter Bezahlung, Anpas­sungszwängen oder gar massiver Nötigung durch Chef­redaktionen und Führungsetagen. Dort, in den Chef­etagen, nicht auf dem Schreibtisch des Kritikers ist es, wo die Linien des Unversöhnlichen, nämlich des Share­holder-Value und des autonomen Geistes, sich schneiden, und die Schnittmenge bezeichnet, im >Kompromiß<, die Depravation des Geistes selber. Kaum ein Rezensent, der so schreiben darf, wie er könnte, wenn man ihm nicht dreinredete; kaum auch einer, der nicht immer wieder die Artikel, die er abgeliefert, massiv gekürzt, sinnentstellt und umformuliert, im Druck kaum mehr wiedererkennte. Kritik, die den Namen verdiente, wird ihm ausgetrieben von Anfang an. Seine Domäne wird das Periphere und Akzidentelle. Klischeebildung, Effekthascherei, Vergrö­berung und Simplifizierung sind der Preis, den er dafür zu zahlen hat, daß man ihn nicht feuert, wenn der Absatz stagniert. Daß unterm Damoklesschwert der Rendite­Erwartung, der Inserenten- und Abonnentenstatistik so mancher freie oder angestellte Redakteur solche Hetero­nomie verinnerlicht und in vorauseilendem Gehorsam zur eigenen Sache macht, erhellt die Zwänge nur um so schlagender. Am Ende wird sein Zynismus habituell, und seine Resignation wie sein Hohn auf die eigenen Produk­tionsbedingungen wandeln sich zum Hohn auf die Sache, um deretwillen er einst zu schreiben begann. "
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Ich habe mich inzwischen ein bißchen auch in den diversten Klassik- und Opernforen umgesehen, alle erreichbaren Kritiken gelesen und frage mich ernstlich, ob die Schreiber dort diesselbe Vorstellung gehört bzw. besucht haben? Ich habe die 1. Vorstellung im Radio gehört und die 2. gesehen. Es war jedesmal alles in allem, trotz mancher Mängel, ein aufregendes Erlebnis. Aber ich weiß noch von meiner Stehplatz-Zeit her, dass es manchen sog. Fans (für die das Wort "freak" wirklich besser passt) gar nicht um ein musikalisches oder dramatisches Erlebnis geht, sondern um das Ausleben ihrer Agressions- und anderer minderer Triebe. Für sie gibt es nur absolute Ablehnung oder Anbetung, nichts dazwischen und das alles weitgehend argumentfrei. Ich habe es wo immer möglich sogar vermieden, neben solchen Wahnsinnigen zu stehen, begleiten sie doch jede Vorstellung mit unübersehbaren Körpersprache- und unüberhörbaren Urlaut-Äußerungen und zerstören lustvoll jeden Schlussakkord mit frenetisch-atonalen Pro- oder Kontra-Geschrei. Da sind mir die schwätzenden Schulklassen, die schnarchenden Gewerkschaftsmitglieder, die lautstark kommentierenden Schwerhörigen oder die Taktschläger auf der Galerie noch lieber...nein, auch nicht wirklich. Momentan sind mir am liebsten die Plätze mit eingeschränkter Sicht in den vorderen Logen, v.a. auch wegen der Sicht auf die Musiker. Die Akustik im Stehparterre ist natürlich unübertrefflich.

In den Internetforen sind leider viele der o. e. Rüpel ungehindert zugange, teilweise ja schon an ihrem nickname (z.B. "scooter") erkenntlich, die dort ungestraft ihren Hooligan-Neigungen nachgehen und sich sogar der Aufmerksamkeit ernsthafter Teilnehmer erfreuen können. Ich habe anfangs versucht, auch aktiv teilzunehmen ("Der Neue Merker"), aber wieder Abstand genommen: "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern". - Man wünscht sich, die Schreiber dieser Beiträge wären Analphabeten geblieben oder würden sich wenigstens ein anderes Betätigungsfeld wählen, wie Eishockey oder Fußball.

Im übrigen ist es in anderen "Liebhaber-Foren", z.B. Eisenbahn-Foren ähnlich, wenn nicht noch ärger. Schade natürlich, denn man erfährt ja doch viele interessante Fakten, die nicht in den Zeitungen stehen - aber der viele Unrat dazwischen....


Leider habe ich mich zeitlebens mit dem guten Rat: "Unrat vorbeischwimmen lassen" immer schwer getan.

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