Samstag, 10. November 2018

Die Besseren

Eines will mir - aus gegebenen Anlass - nicht aus dem Sinn: Es waren die gebildeten, akademischen, urbanen Eliten, welche 1914 den Ausbruch des Krieges frenetisch bejubelt (und später dann die Propaganda besorgt) haben, und weniger die Bauern und Arbeiter. So was kann nicht wieder vorkommen? Nun, in Ermangelung äußerer Feinde nimmt man eben innere. Und diesmal wird die Presse  die Waffen segnen.
Allenthalben wird von diesen Eliten der Rechtsruck beklagt. Die Frage nach dem WARUM darf man nicht stellen, am wenigsten jenen, die am lautesten lamentieren. Hier  eine mögliche Erklärung

Die Wiener Soziologin Laura Wiesböck analysiert in ihrem eben erschienenen Buch ,,In besserer Gesellschaft" unter anderem die wahren Toleranzgrenzen des gebildeten akademischen Milieus.


Frage: Der „selbstgerechte Blick auf die Anderen", wie Ihr Buch im Untertitel heißt, scheint etwas zu sein, das es in allen Gesellschaften immer gibt. Warum jetzt dieses Buch?
Laura Wiesböck: Es stimmt, soziale Abgrenzung passiert immer, in allen gesellschaftlichen Schichten. Und doch scheint es mir so, dass insbesondere im akademischen Milieu vor allem die sozialen Urteile sozial weniger privilegierter Milieus im Mittelpunkt stehen. Es stehen primär die Personen im Fokus, die im Niedriglohnsektor arbeiten, keinen hohen Bildungsstand haben und andere Gruppen, zum Beispiel Migranten, abwerten. Es ist eine Form von Scheinheiligkeit, zu glauben, man selbst sei aber tolerant und Abwertung und Abgrenzung passierten nur in anderen Milieus. In Wahrheit hat niemand eine weiße Weste, was das betrifft.
Ist „Toleranz" damit auch eine Form, turn und Selbstständigkeit verbunden sich abzugrenzen, .selbstgerecht" auf und der „freie" Charakter der Arbeit die Anderen zu blicken?
Ja, denn: Toleranz manifestiert sich erst im Umgang mit anderen, deren Haltungen man ablehnt und die man aber gelten lässt. Diese Kombination aus ablehnen und gelten lassen ist das, was Toleranz ausmacht. Toleranz zeigt sich eben nicht, wenn man sich sozial abschottet, in den besseren Wohngegenden wohnt, die Kinder auf die Privatschule schickt und sich nur mit Gleichgesinnten umgibt, um sich gegenseitig zu versichern wie weltoffen man ist.
Für dieses Milieu, das Sie beschreiben, ist Toleranz aber ein ganz wesentlicher Bestandteil des Selbstbildes. Wie kommt da die Abwertung von anderen sozialen Milieus hinein?
Nehmen wir das Beispiel „Arbeit". In diesem idealtypischen gebildeten urbanen Milieu ist es ein Anspruch, dass man sich im Job kreativ selbst verwirklicht. Oft ist das mit Freelancer-
tum und Selbstständigkeit verbunden sich abzugrenzen, .selbstgerecht" auf und der „freie" Charakter der Arbeit wird betont, während das „Angestelltendasein" und der „Brotjob" abgewertet werden. Das ist auch eine Form des Elitismus. Den meisten ist nämlich nicht bewusst, dass Selbstständigkeit und Unternehmertum sozial vorstrukturiert sind. Das heißt. wenn ich in eine Familie geboren bin, die mehr Geld hat und vielleicht auch mehr Kontakte, habe ich bessere Chancen, als Selbstständige erfolgreich zu sein. Wenn Steve Jobs den Studierenden in Standford empfiehlt, “Macht. was Euch Spaß macht", dann ist das Teil dieses elitären Diskurses. Zu den Arbeiterlnnen in China, die seine Handys herstellen, hätte er das natürlich nicht gesagt.
Genau dieses akademische urbane Milieu, zu dem wir ja auch zählen, nimmt aber für sich Anspruch, besonders „nachhaltig" zu leben, zumindest ist das ein Ziel.
Ja, das stimmt. Nur: Dieser nachhaltige Konsum von Öko-Kleidung, Bio-Lebensmitteln usw. wird ja ebenfalls genutzt, selbstgerecht über jene  zu urteilen, die den Billig-Kaffee beim Discounter kaufen. Es wird nicht in Betracht gezogen, dass es eigentlich Geld, Zeit, Wissen und Bildung braucht, um diesen "nachhaltigen" Lebensstil zu verfolgen. Das Interessante ist ja, dass bei allem Anspruch, nachhaltig zu sein, dennoch Konsum propagiert wird. Es wäre nachhaltiger, den Pullover im Second-Hand-Geschäft zu kaufen, statt den Pullover aus Ökobaumwolle von dem angesagten Label in Kopenhagen.
Wie weit ist das Überlegenheitsgefühl angesichts des eigenen toleranten, gesunden und nachhaltigen Lebensstils von der Entsolidarisierung entfernt? Wir erleben ja zugleich, dass sich die Einkommen immer weiter auseinanderentwickeln und die Ungleichheit größer wird.
Wenn man sich die Einkommensverteilungen über die letzten Jahrzehnte ansieht, stellt man fest, dass nicht nur eine immer deutlichere Polarisierung entsteht, sondern dass auch die Mittelschicht erodiert, wie man so schön sagt. Im politischen Bereich stehen sich inzwischen zwei Lager - das progressive und das rechtspopulistische Milieu - gegenüber, die sich gegenseitig als Feinde wahrnehmen. Neu ist, dass es keine Bereitschaft zum Dialog mehr gibt. Noch in den 1990er Jahren war eine unterschiedliche Partei-Orientierung kein Kriterium dafür, ob man befreundet sein konnte oder nicht. Mittlerweile haben auch reale und subjektive Unsicherheiten zugenommen: Am Arbeitsmarkt gab es Veränderungen wie Arbeitsmarktflexibilisierung, befristete Verträge, Teilzeit, Leiharbeit. Zugleich wurde der Sozialstaat massiv eingeschränkt und Sozialleistungen gekürzt. Und schließlich wirkt sich das auf die Familien aus, die nicht mehr den stabilen Halt bieten können: Es gibt Scheidungen, Patchwork-Familien und Alleinerziehende. Insgesamt ist es ein erodierendes Sicherheitsnetz.
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Laura Wiesböck ist Soziologin an der Universität Wien, wo sie zu Formen, Ursachen und Auswirkungen sozialer Ungleichheit forscht. Ihr Buch ,,In besserer Gesellschaft. Der selbstgerechte Blick auf die Anderen" ist im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen.

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