Samstag, 6. Februar 2016

Alfred Polgar über Gesinnungstheater

ZEITTHEATER
Es wird gefordert, daß die Bühne, Spiegel und Chronik der Zeit, mithelfe, die Welt vom Übel zu erlösen. Solcher Zweck heiligt alle künstlerischen Mittel, sogar deren Abwesenheit. Theater um seiner selbst willen, sagen die radikalen Forderer, ist Mißbrauch von Zeit und Raum, Gesinnung im Haus erspart Talent, und solange die Menschendinge zum Himmel schreien, wie sie's ja leider unüberhörbar tun, hat die Bühne keine andere Aufgabe, als diesem Schrei ihre Resonanz zu leihen. Dagegen könnte niemand etwas einwenden ... würde nur vorerst ein fundamentales Mißverständnis beseitigt, dadurch hervorgerufen, daß die einen unter Theater mehr ein Kunstphänomen verstehen, die anderen mehr einen Apparat, dazu tauglich - Kunst hin, Kunst her - etliche hundert Menschen auf einmal unter bestimmten moralisch-geistigen Druck zu setzen.
DER THEATER-MACHER
Was er anrührt, wird Täuschung. Wenn sein Hauch ein gebratenes Huhn trifft, verwandelt es sich in eines aus Pappendeckel. Unter seinem Blick lassen die Menschengesichter das Antlitz von der Maske fallen. Wenn er Gott in den Bart faßt, zeigt sich dieser als angeklebt und bleibt in der Hand. Das Herzblut, das seine Figuren rötet, geht mit Vaselin weg.
Heiß und salzig entquillt dem Aug' des Dichters die Zähre,
In sein erklügeltes Stück fällt sie als Schmieröl hinab!
(Zur Überprüfung dieser Thesen eignet sich vorzüglich das Burgtheater.)
Hingegen:
DER VOLLBLUT-SCHAUSPIELER
Wie wurschtig wird sofort alles theoretische Geschwätz, wie gleichgültig, ob neues oder altes Theater, wenn ein Mensch in der lebendigen Fülle seiner Menschlichkeiten auf der Bühne steht und Geist und Gefühl der Zuschauer mühelos in jede Falle lockt, die sein Spiel ihnen legen mag. Wie fegt er mit einer Handbewegung, einem Blick, einem Lachen ganze Pakete von Prinzipien in den Müll, wo sie hingehören, und schöpft, soweit er Schöpfer ist, alles aus der Tiefe.
Ich erinnere mich an einen Burgschauspieler mit Sprachfehler und an einen anderen, der einen starken tschechischen Akzent hatte; beide waren aber politisch wahnsinnig gut vernetzt. Nun gut, heute muss man irgendeinen Akzent haben am besten einen aus Berlin oder Hamburg, um am Burgtheater ein Star werden zu können.

Keine Kommentare: