Sonntag, 16. September 2012

Antisemitismus-light?

Wenn man in einem Brief Fontanes liest, dass er auf ein "judenfreies Coupéhoffe; wenn man weiters seine abfälligen Äußerungen über Juden an den Amtsgerichtsrat Dr. Friedlaender liest, der selber Jude war, gibt es einem heute einen Riss.
Fontane war ganz gewiss kein enger Geist, aber man muss doch die Verhältnisse in Preußen und im Deutschland der 2. Hälfte des 19. Jh. etwas kennen, bevor man hier vorschnell urteilt. Antisemitismus war damals nicht in der Weise verpönt, wie das heute ist. Fontane war nachweisbar ein Gegner des "harten" Antisemitismus, wie er damals z. T. auch von religiösen Fanatikern (z.B. Stoecker) vertreten wurde. Es war gewissermaßen ein "Antisemitismus-light", so etwa wie die traditionelle "Feindschaft" zwischen Stämmen, beispielsweise Bayern und "Saupreussen". Die Juden, die gerne etwas penetrant ihre Wohlhabenheit und ihren Einfluss zur Schau stellten, gingen damit vielen Leuten schlicht und einfach auf die Nerven und man fand nichts dabei, dies auch zum Ausdruck zu bringen.

Heute ist es für viele einfach unvorstellbar, dass man das ganze damals nicht so Ernst genommen hat. Was die Äußerungen zu Friedlaender betrifft, kann man schließen, dass in den vielen freundschaftlichen Gesprächen zwischen den beiden Herren einige "antisemitische" Äußerungen über die "Judenfrage" gefallen sind, die uns heute die Haare zu Berge stehen lassen würden; seine Gegenbriefe wurden ja leider von Emilie F. verbrannt.

Auch von Bismarck sind abschätzige Bemerkungen über seinen Bankier Bleichroeder überliefert, ohne den sein (auch finanzieller) Aufstieg wohl nicht so "günstig" verlaufen wäre.

Heute maßen sich viele Leute ein Urteil darüber an, entweder aus Unkenntnis oder aus Berechnung; es kommt ja auf jeden Fall gut an. Eines ist klar: Einen "Antisemitismus-light" können wir uns heute nicht mehr leisten, aber daraus ein totales Kritikverbot abzuleiten, geht mir zu weit. Und dass man  auch nicht differenzieren darf zwischen der Ablehnung der politischen Führung Israels und dem wirklichen Antisemitismus - das stört mich gewaltig.

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