Montag, 13. April 2009

Weglosigkeit

"Es ist möglich, sogar wahrscheinlich, daß wir in dieser irdischen Lebensgestalt, des eignen Seins und Hierseins gewahr, zum Denken begabt und der Liebe fähig, nicht mehr und nie wieder mehr sein werden. Schon deshalb lohnt es sich, zu leben, die Wege des Lebens voll auszugehn. Denn das Leben selbst, das natürliche, aus dem wir entstanden sind, wie das geistige, das in uns hinein- und aus uns zurückstrahlt, kann nicht mit uns vergehn. Es war vor uns, wird nach uns sein; doch nur dieses eine Mal, für diese bestimmte Spanne, dürfen wir es als "das menschliche Leben" erfahren und daran mitwirken. Darin liegt unser Geschick und unser Auftrag, den die Gabe des Bewußtseins zu einer tragischen Sendung macht. Die Gabe der Phantasie befähigt uns, dieser Tragik produktiv zu begegnen, kämpfend, gestaltend, deutend, und noch im Unterliegen unsres Schicksals Meister zu sein. Aber die Fähigkeit, der Liebe bewußt zu werden, unterscheidet uns von jedem anderen uns bekannten Geschöpf. In dieser Fähigkeit, und im Bewußtsein der Produktivität, liegt unser einziger Zugang zu dem, was wir als Glück bezeichnen. In unsrem unstillbaren Drang jedoch, das Leben zu vollziehn, indem wir es erfahren, liegt, jenseits von Glückoder Leiden, die mächtigste, lebenerhaltende Kraft."

Aus: Carl Zuckmayer, Die langen Wege.

Keine Kommentare: