Samstag, 20. Januar 2024

Sämtliche Fehlurteile auf der Welt

Sämtliche Fehlurteile auf der Welt entstehen daraus, daß man uns Furcht vor dem Eingeständnis unsrer Unwissenheit beibringt und wir daher alles hinzunehmen gehalten sind, was wir nicht widerlegen können. Über jegliche Sache spricht man in einem dogmatischen Ton, der keinen Einspruch duldet. Der römische Gerichtsstil hingegen verlangte, daß selbst die Aussage eines Augenzeugen und das auf sicherster Erkenntnis beruhende Urteil eines Richters in die Redeform des „mir scheint“ zu fassen seien.

Ich sträube mich sogar gegen Wahrscheinliches, wenn man es mir als untrüglich hinstellt, Ich liebe vielmehr Ausdrücke, welche die Unbesonnenheit unsrer Behauptungen mildern und mäßigen, also: vielleicht und gewissermaßen, ein wenig und man sagt, ich denke und dergleichen.

Ich bin schwer von etwas Unwahrscheinlichem zu überzeugen und halte mich daher möglichst an das Handgreifliche und Wahrscheinliche. So entgehe ich diesen alten Vorwürfen: Die Menschen vertrauen am meisten dem, was sie nicht begreifen und der menschliche Geist hat den Hang, allem Dunklen zu glauben. Ich merke natürlich, daß man über meine Einstellung in Zorn gerät.

Wer seine Meinung in herausforderndem Befehlston durchsetzen will, zeigt damit nur, wie schwach sie begründet ist. Daß in einem reinen Wortstreit um das rechte Dogma jene Leute genausoviel Plausibles vorbringen mögen wie ihre Widersacher - sei's drum! Wenn man jedoch die praktischen Folgerungen bedenkt, die sie daraus ziehn, spricht alles für die Gegner.

Montaigne

 

                                                                                                                                                                                                       


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