Dienstag, 5. April 2022

Regietheater ... zum x-en Mal.

Heinz Friedrich

(anläßlich eines lang zurückliegenden Theaterskandals in Stuttgart durch Neuenfels 🕀 )

……….. Die Feuilletonisten brannten Brillantfeuerwerke fortschrittlich-kulturrevolutionärer Schlagworte ab, um für die bedrohte künstlerische Freiheit zu demonstrieren und das repressive Verhalten eines verstockten Kulturestablishments zu brandmarken.………….. Auseinandersetzungen dieser Art gab es beim Theater schon immer - und sie werden auch in Zukunft nicht ausbleiben. Sich deshalb ideologisch zu verausgaben erscheint müßig. Aber Sachlichkeit und vernünftige Gelassenheit ist offenbar nicht das Gebot der feuilletonistischen Stunde. Jede Andeutung eines Skandals wird gern und willig aufgegriffen, um die tierisch-ernste Streiterpose des Gerechtigkeitsfanatikers einzunehmen und meinungsöffentliche Gardinenpredigten vom Stapel zu lassen. 

Neuenfels aber, auf theatralische Aggression versessen…… terrorisiert auch die Phantasie des Zuschauers, indem er ihr die vordergründigste und gemeinste Interpretation des Stoffes agitatorisch aufzwingt. ……………. oder zumindest zu einem Stichwortgeber für unkontrollierbaren Theaterzirkus herabwürdigt. Denn schließlich soll und muß sich der Theaterregisseur (wie jeder Interpret) am Beginn seiner schöpferischen Auseinandersetzung mit einem vorgegebenen Stoff die Frage stellen, welchen Absichten den Autor gefolgt sei. Die Antwort auf diese Frage läßt ohnehin schon Spielraum genug für künstlerische Mißverständnisse, Fehlleistungen und Eigenmächtigkeiten, die nicht mit dem Urheberrecht in der Hand geahndet werden können. Wird dieser Spielraum durch die ideologische Willkür des Regisseurs jedoch noch zusätzlich ausgenutzt, so steigert sich die Interpretation zur brutalen Vergewaltigung.

Allerdings ist das Stuttgarter Theatermißgeschick kein Einzelfall, sondern es veranschaulicht im Gegenteil nur ein Symptom gegenwärtiger Theaterpraxis: Vergewaltigungen dieser und ähnlicher Art ereignen sich nämlich allenthalben auf unseren Bühnen; nur kann sich die Mehrzahl der Autoren…., nicht mehr wehren, weil sie längst unter der Erde modert und auch kein finanziell interessierter Sachwalter und kein Urheberrecht für ihre postumen Interessen eintritt - wir meinen die Klassiker, die mehr und mehr dem ideologischen Regietheater zum Opfer fallen. In der ebenso flachen wie irrigen Meinung, die Klassiker seien gesellschaftlich überholt oder repräsentierten gar den Höhepunkt bürgerlicher Repression, kühlen zahlreiche Jung-Regisseure ihr szenisches Mütchen an den Uropas der Schaubühne. ….. Schließlich stellt man gotische Madonnen ja auch nicht in öffentlichen Bedürfnisanstalten aus, um auf ihre Kritisierbarkeit aufmerksam zu machen ...

Gewiß: Kunstwerke sind keine starren Denkmalgrößen, die unreflektierte Bewunderung erheischen. Sie müssen sich, wollen sie lebendiger Wirkung nicht entraten, späteren Generationen stets erneut zur Auseinandersetzung stellen. Aber es ist immerhin ein Unterschied, ob diese Auseinandersetzung auf gleichrangigem Niveau oder in Form gemeiner Notzucht erfolgt. Politisch-tendenziöse Verfälschung eines Kunstwerkes aber ist Notzucht, weil sie die freie Meinungsäußerung des Autors manipuliert oder gar verhindert (ob der Autor längst tot ist oder noch unter den Lebenden weilt, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle). Steht es den kultur- und sozialrevolutionären Provokateuren doch frei, sich ihre Stücke selbst zusammenzuzimmern oder sie zusammen mit einem gleichgesinnten Autorenteam zu erarbeiten. Niemand wird sie daran hindern, dann von ihrer so mimosenhaft verteidigten Gedankenfreiheit praktischen Gebrauch zu machen und ihre szenischen Visionen in dem geistigen Parterre vorzuführen, das ihnen gemäß erscheint.

Um so nachdrücklicher aber scheint angesichts solcher Toleranz Achtung vor den Werken anderer Autoren geboten; denn wie soll Diskussion entstehen, wenn alle Texte über den gleichen ideologischen Theaterleisten manipuliert werden? Nur die Werktreue garantiert die geistige Auseinandersetzung, weil sie dem Autor ohne selbstherrliches Dreinreden das entscheidende Wort läßt. In diesem Sinn ist Werktreue kein leerer oder gar repressiver Wahn, sondern ein Gebot, durch dessen Nichtachtung künstlerische Interpretation sich selbst stranguliert………... Oder sollte gar zutreffen, daß künstlerische Freiheit nur dem zusteht, der sich modisch-progressiv gebärdet? Dann allerdings wären wir bald an dem Punkt angelangt, an dem die Freiheit, die solche Fortschrittler meinen, ihre repressiven, terroristischen Züge zynisch enthüllt nach dem Motto: Willst du nicht meiner Meinung sein, so schlag ich dir den Schädel ein.

 

Heinz Friedrich: Weitere Zitate zum "modernen" Theater:

... selbstgefällig projizieren sie ihre eigenen Hirngespinste an das Zeltdach und behaupteten keck, dies sei die Wirklichkeit. Nun aber, da diese Wirklichkeit nicht standhält und die Trapeze über leeren Sitzreihen schaukeln, predigen sie Besinnung und begeben sich ins Parterre, um den verachteten Brüdern die Hand zu reichen und der engagierten Subkultur das Wort zu reden. So geraten sie von einem Extrem ins andere. Denn sowenig die Kunst im luftleeren Raum über den Köpfen der Gesellschaft sich etablieren kann, so wenig sollte sie sich unmittelbar mit der Gesellschaft gemein machen und mit ihr auf die Barrikaden der alltäglichen Bedürfnisse (oder auch nur Scheinbedürfnisse) steigen. Kunst manifestiert sich nämlich weitaus häufiger in einem Spannungsverhältnis zur Gesellschaft als in Übereinstimmung mit ihr. Das liegt nicht zuletzt in der anthropologischen Tatsache begründet, daß der täterische Mensch geschichtlich bestimmender auf die Gesellschaft und ihre Bedürfnisse einwirkt als der schöpferisch reflektive, dessen geistiger Einfluß sich in der Regel nur allmählich (und oft erst über Generationen hinweg) durchsetzt.

Viele Parnass-Wanderer litten an ihren Zeitgenossen, die für sie nur die Qual der Ignoranz bereithielten. Genies sind gesellschaftlich unbequem. Seit den Tagen der Renaissance, als sich die Künstler ihrer schöpferischen Individualität bewußt wurden, kämpfen die Dichter, Komponisten und Maler nicht nur um ihr Publikum, sondern meist auch gegen ihr Publikum. Wer nicht bereit ist, sich der Tagesrhetorik zu unterwerfen und dem Für und Wider der Meinungen zu huldigen, kurzum: wer sich gesellschaftsideologisch nicht integrieren läßt, dem wird erbarmungslos die Außenseiterrolle zugewiesen; um den Preis der Einsamkeit und Verkennung muß er sein Werk schaffen.

Denn große Kunst strebt, und zwar auch dort, wo sie sich zu engagieren scheint, stets nach Ausdruck überzeitlicher Sachverhalte; die Bindung an das Zeitliche widerstrebt ihrem innersten Antrieb und Auftrag. Aus dem Sieg über die Zeit bezieht sie ihre Faszination und ihre Dauer über den Tag hinaus. Wäre die Schilderung gesellschaftlicher Verhältnisse das Hauptmerkmal Shakespearescher Trauerspiele, so würden uns heute kaum noch die Schicksale Hamlets, Othellos oder Romeos erschüttern - ganz zu schweigen von den Inhalten der antiken Tragödie, die mit unserer modernen Gesellschaftsstruktur ebensowenig oder ebensoviel gemein haben wie ein Überschallflugzeug mit dem Schneider von Ulm. Auch der Apoll von Belvedere, auf seine gesellschaftliche Aussagekraft beschränkt, erschiene uns lediglich als kunstfertig gerundeter Marmor und nicht als Inkarnation vergöttlichter und zum geistig-sinnlichen Leitbild erhobener Menschengestalt.

Es sind also kaum die gesellschaftlichen Konstellationen vergangener Epochen, die uns in den überlieferten Kunstwerken ergreifen. Ebensowenig aber ist bildungsbürgerliche Kulturheuchelei für die Präsenz künstlerischer Überlieferung verantwortlich: musealer Kunstgenuß, zum Statussymbol erhoben, würde unweigerlich in interesseloser Langeweile versanden, falls ihm nicht eine aktivierende Kraft antwortete.

Was vielmehr aus den Kunstwerken der Vergangenheit in die Gegenwart hineinspricht, das ist ihr überzeitlicher Gehalt an menschlicher Wahrheit - einer Wahrheit, die, in welcher gesellschaftlichen Konstellation auch immer, seit den Tagen, in denen der Mensch seinen geschichtlichen Weg antrat, die gleiche geblieben ist: das tragische Bewußtsein der zeitlichen Existenz und damit die individuelle Absonderung von dem universalen Gang des Weltganzen.

Dieser Einsicht freilich widersetzten sich die Verfechter der totalen Gesellschaft mit dialektischer Leidenschaft. Verstrickt in die Utopie zukünftiger Sozialparadiese und überzeugt von dem spätkapitalistisch-repressiven Charakter der Kultur, erblicken sie im überzeitlichen Wahrheitsanspruch der Kunst einen Feind des Fortschritts. Größe ist ihnen als Ausdruck autoritären Machtanspruchs verdächtig, und das Ergreifende oder Erschütternde bietet sich ihnen nur dar als Manipulation der Gefühle zum Zweck gesellschaftlicher Unterdrückung.

 …..weiblicher Winkelried in Unterwäsche....Nacktheit auf der Bühne:

..... die Frage einer Schauspielerin.....vielleicht fragte sie sich, warum auf der Bühne, wo nichts echt ist, kein Thron, kein Tod und keine Träne, ausgerechnet die Nacktheit echt sein muß.  Vielleicht wollte sie in zarten Dessous erst erspielen, was ohne Dessous keine Aufgabe wäre: den Akt als Kunst-Akt.

 Seitdem sich die Nacktheit als Bühnenkostüm durchgesetzt hat, erregt sie den Zuschauer nicht heftiger als ein Kostümzipfel oder eine Gewandfalte. Das ist ein beklagenswerter Verlust: Sittsamkeit ist durch Obszönität erst möglich. Ein bißchen Verlegenheit beim Zuschauen wäre schon besser als gar nichts.

 In Dänemark, heißt es, sei nach der Freigabe der Pornographie sogar den Lustmördern die Lust vergangen.

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