Mittwoch, 11. November 2020

Kritiker kritisch gesehen

 Günter Grass: über Lichtenberg und Reich-Ranitzky:

 „Nach dem Wolkenbruch heute nacht dampft der Garten. Vorsicht! Keine überflüssige Bewegung! Allenfalls Lichtenberg lesen, dessen Prosa kühlt. Wie er die Kritiker zu seiner Zeit (mit Nachhall bis heute) trifft, wie er sich immer wieder - und nicht ohne Genuß - den »Frankfurter Rezensenten« vornimmt. Gleich kommt mir, wie aufgerufen, ein gegenwärtiges Exemplar in die Quere, dessen eloquenter Pfusch sich ungeschmälerter Wirkung erfreut, weil weit und breit kein Lichtenberg dem Beckmesser sein einzig gültiges Werkzeug, die Meßlatte des Sozialistischen Realismus nachweist. Dabei erinnere ich mich an seine umtriebene Präsenz während der letzten Treffen der Gruppe 47: ein amüsanter Literaturnarr, liebenswert noch in seinen Fehlurteilen. Erst als ihm die Chefetage der FAZ Macht zuschanzte - das große Geld weiß, was frommt -, wurden seine Verrisse übellaunig bis bösartig, mißriet er zu Lichtenbergs »Frankfurter Rezensenten«.“

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Und hier noch ein paar Lichtenberg-Originale:

 » Ich sehe die Rezensionen als eine Art von Kinderkrankheiten an, die die neugebornen Bücher mehr oder weniger befällt. Man hat Exempel, daß die gesündesten daran sterben, und die schwächlichen oft durchkommen. Manche bekommen sie gar nicht. Man hat häufig versucht, ihnen durch Amulette von Vorrede und Dedikation vorzubeugen oder sie gar durch eigene Urteile zu inokulieren, es hilft aber nicht immer.«

 »Dinge zu bezweifeln, die ganz ohne weitere Untersuchung jetzt geglaubt werden, das ist die Hauptsache überall«,

 »Warum glaube ich dieses? Ist es auch würklich so ausgemacht?«

 »Zweifle an allem wenigstens Einmal, und wäre es auch der Satz: zweimal 2 ist 4« -

 »Immer sich fragen: sollte hier nicht ein Betrug stattfinden? und welches ist der natürlichste, in den der Mensch unvermerkt verfallen, oder den er am leichtesten erfinden kann?«

"Zweifel muß nichts weiter sein als Wachsamkeit, sonst kann er gefährlich werden."

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