Donnerstag, 24. August 2017

Relativ absolut

"So haben wir, wenn sich uns eine neue Lehre verstellt, große Ursache, mißtrauisch zu sein und zu bedenken, daß, bevor sie gemacht wurde, eine andere im Schwange war; und daß, so wie diese von jener umgeworfen ist, in Zukunft eine dritte entstehen könnte, die der zweiten gleicherweise den Stoß versetzt. Bevor die Grundsätze, die Aristoteles eingeführt hat, in Ansehen kamen, war die menschliche Vernunft mit anderen so zufrieden wie wir heute mit denen des Aristoteles."
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"Was ist das für eine Sittlichkeit‚ die ich heute in Geltung sehe und morgen nicht mehr, die zum Verbrechen wird, wenn man den Fluß überquert? Was ist das für eine Wahrheit, die an den Bergen aufhört und in der Welt dahinter als Lüge gilt?"
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 "Schließlich, weder wir noch die Gegenstände haben eine beständige Wirklichkeit. Wir, unser Urteil, alle sterblichen Dinge fließen und rollen ohne Unterlaß fort. Also kann man nicht mit Sicherheit von einem auf das andere schließen und der Urteilende und das Beurteilte schaukeln und verändern sich andauernd. Wir haben keine Beziehung zum Sein, weil die ganze Natur des Menschen beständig in der Mitte zwischen Geburt und Tod steht, nichts als einen dunklen Schein und Schatten wirft und eine ungewisse schwache Meinung. Und wenn man etwa einmal seine Gedanken darauf richtet, ihr Wesen zu fassen, so ist es nicht mehr oder weniger, als wenn jemand das Wasser fassen wollte: je mehr er zusammendrückt und festhält, was seiner Natur nach durch alles hindurchfließt, um so mehr wird er verlieren, was er ergreifen und festhalten wollte. Weil demnach alle Dinge dem Übergang von einer Veränderung zur nächsten unterworfen sind, findet sich auch die Vernunft betrogen, wenn sie darin eine greifbare Substanz sucht; denn sie kann nichts Dauerndes und Bleibendes ergreifen, weil alles entweder entsteht und noch nicht ist oder schon zu sterben beginnt, bevor es noch geboren wurde.
( ... ) Die Blüte des Lebens stirbt und vergeht, wenn das Alter eintritt, und die Jugend endet in der Blüte des Mannesalters, die Kindheit in der Jugend und das Säuglingsalter in der Kindheit, und der gestrige Tag stirbt im heutigen, und der heutige wird im morgigen sterben; und es ist nichts, das bleibt, und nichts, was immer eines wäre. ( ... ) Ebenso geht es der Natur, die gemessen wird, und der Zeit, die sie mißt. Denn auch in ihr ist nichts, das bliebe oder Bestand hätte; sondern alle Dinge in ihr sind entweder geboren oder werden geboren oder sterben. Deshalb wäre es eine Sünde, von Gott, welcher allein ist, zu sagen: er war oder er wird sein. Denn diese Ausdrücke bezeichnen die Wandlungen, die Übergänge und die Vergänglichkeit dessen, was nicht dauern noch seine Wirklichkeit behalten kann. Daher muß man schließen, daß Gott allein ist, nicht nur nach irgendeinem Maß der Zeit, sondern in einer unveränderlichen und unbewegten Ewigkeit, die von keiner Zeit gemessen wird und keiner Wandlung unterworfen ist. Vor dem nichts ist, nach dem nichts sein wird, in welchem kein Ding neuer oder jünger als ein anderes ist; sondern er ist ein wirklich Seiendes, das durch ein einziges Jetzt das Immerdar ausfüllt; und es gibt nichts, was wirklich ist, als ihn allein, ohne daß man sagen könnte: Er war; oder: Er wird sein; ohne Anfang und ohne Ende." 

(die letzten Sätze sind eine Paraphrase von Plutarchs "De E apud delphos")
Montaigne, Essais.

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