Mittwoch, 17. April 2013

Reue ist keine Sache lauter Worte...



"Nach dem Holocaust lebt in uns allen ein solches berechtigtes und sakrosanktes Schuldgefühl, daß es uns nicht gelingt, auf eine gelassene und objektive Weise über die Juden zu sprechen, wie wir es ohne weiteres über irgend ein anderes Volk tun.
So sehr auch das Bewußtsein der Schuld tief und unauslöschlich als Mahnung und
Schande der Menschheit erhalten bleiben muß, glaube ich doch, daß zuallererst die Juden selbst kein Interesse an diesem Mangel eines klaren Urteils haben [sollten]. Jedenfalls ist es gerade ein Jude, Hans Weigel, der in seinem Buch "Man kann nicht ruhig darüber reden" auf die Gefahren eines Urteils ohne Unterscheidungskraft aufmerksam gemacht hat. Wir fallen von einem Extrem ins andere.
Gestern hat man die Bücher von Juden verbrannt, heute beeilt man sich, alles zu prämieren, was sie schreiben, auch wenn es eine große Narretei ist; denn wegen der Schuld von gestern ist es heute fast unmöglich, auszusprechen, daß auch ein Jude ein Narr sein kann. Weigel sagt dazu: „Darf man als Jude keine schlechten Eigenschaften haben? Doch, man darf, aber sie dürfen nicht erwähnt werden".
Die Folge davon ist, daß in diesem erzwungenen allgemeinen Jubel auch außerordentliche Persönlichkeiten untergehen und unter ihrem Wert gehandelt werden. Ist es wirklich unmöglich,
den richtigen Ton zu finden und Juden wie alle anderen Menschen mit ihren Tugenden und Fehlern darzustellen? Ein Volk unkritisch oder gar ängstlich zu glorifizieren, bedeutet, es ebenso zu diskriminieren, umso mehr, als das Lob von heute nicht imstande ist, die Qual von gestern wettzumachen, sondern sie vielmehr fortsetzt. Aber wie großes Leid stumm macht, so ist auch die tiefe und aufrichtige Reue keine Sache lauter Worte."

Anacleto Verrecchia, Georg Christoph Lichtenberg

Besser könnte ich meine Einstellung zu diesem Thema nicht formulieren. Die [] sind von mir. 

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