Montag, 1. November 2021

Ueber das metaphysische Bedürfniß des Menschen

 Ueber das metaphysische Bedürfniß des Menschen

Schopenhauer: Kapitel 17 der "W.a.W.u.V"/II

Eine Religion hingegen, für die Unzähligen bestimmt, welche, der Prüfung und des Denkens unfähig, die tiefsten und schwierigsten Wahrheiten sensu proprio nimmermehr fassen würden, hat auch nur die Verpflichtung sensu allegorico wahr zu seyn. Nackt kann die Wahrheit vor dem Volke nicht erscheinen. Ein Symptom dieser allegorischen Natur der Religionen sind die vielleicht in jeder anzutreffenden Mysterien, nämlich gewisse Dogmen, die sich nicht ein Mal deutlich denken lassen, geschweige wörtlich wahr seyn können. Ja, vielleicht ließe sich behaupten, daß einige völlige Widersinnigkeiten, einige wirkliche Absurditäten, ein wesentliches Ingredienz einer vollkommenen Religion seien: denn diese sind eben der Stämpel ihrer allegorischen Natur und die allein passende Art, dem gemeinen Sinn und rohen Verstande fühlbar zu machen, was ihm unbegreiflich wäre, nämlich daß die Religion im Grunde von einer ganz andern, von einer Ordnung der Dinge an sich handelt, vor welcher die Gesetze dieser Erscheinungswelt, denen gemäß sie sprechen muß, verschwinden, und daß daher nicht bloß die widersinnigen Dogmen, sondern auch die begreiflichen, eigentlich nur Allegorien und Akkommodationen zur menschlichen Fassungskraft sind. …. Von diesem Gesichtspunkte aus wird auch begreiflich, wie Tertullian, ohne zu spotten, sagen konnte: Prorsus credibile est, quia ineptum est; – – certum est, quia impossibile. (De carne Christi, c. 5.) – Diese ihre allegorische Natur entzieht auch die Religionen den der Philosophie obliegenden Beweisen und überhaupt der Prüfung; statt deren sie Glauben verlangen, d.h. eine freiwillige Annahme, daß es sich so verhalte. Da sodann der Glaube das Handeln leitet, und die Allegorie allemal so gestellt ist, daß sie, in Hinsicht auf das Praktische, eben dahin führt, wohin die Wahrheit sensu proprio auch führen[194] würde; so verheißt die Religion Denen, welche glauben, mit Recht die ewige Säligkeit. Wir sehn also, daß die Religionen die Stelle der Metaphysik überhaupt, deren Bedürfniß der Mensch als unabweisbar fühlt, in der Hauptsache und für die große Menge, welche nicht dem Denken obliegen kann, recht gut ausfüllen, theils nämlich zum praktischen Behuf, als Leitstern ihres Handelns, als öffentliche Standarte der Rechtlichkeit und Tugend, wie Kant es vortrefflich ausdrückt; theils als unentbehrlicher Trost in den schweren Leiden des Lebens, als wo sie die Stelle einer objektiv wahren Metaphysik vollkommen vertreten, indem sie, so gut wie diese nur irgend könnte, den Menschen über sich selbst und das zeitliche Daseyn hinausheben: hierin zeigt sich glänzend der große Werth derselben, ja, ihre Unentbehrlichkeit. …. Der einzige Stein des Anstoßes hingegen ist dieser, daß die Religionen ihre allegorische Natur nie eingestehn dürfen, sondern sich als sensu proprio wahr zu behaupten haben. Dadurch thun sie einen Eingriff in das Gebiet der eigentlichen Metaphysik, und rufen den Antagonismus dieser hervor, der daher zu allen Zeiten, in denen sie nicht an die Kette gelegt worden, sich äußert. – Auf dem Verkennen der allegorischen Natur jeder Religion beruht auch der in unsern Tagen so anhaltend geführte Streit zwischen Supernaturalisten und Rationalisten. Beide nämlich wollen das Christenthum sensu proprio wahr haben: in diesem Sinne wollen die ersten es ohne Abzug, gleichsam mit Haut und Haar, behaupten; wobei sie, den Kenntnissen und der allgemeinen Bildung des Zeitalters gegenüber, einen schweren Stand haben. Die andern hingegen suchen alles eigenthümlich Christliche hinaus zu exegesiren; wonach sie etwas übrig behalten, das weder sensu proprio noch sensu allegorico wahr ist, vielmehr eine bloße Platitüde, …

Religionen sind dem Volke nothwendig, und sind ihm eine unschätzbare Wohlthat. ….Der Werth einer Religion wird demnach abhängen von dem größern oder geringern Gehalt an Wahrheit, den sie, unter dem Schleier der Allegorie, in sich trägt, sodann von der größern oder geringern Deutlichkeit, mit welcher derselbe durch diesen Schleier sichtbar wird, also von der Durchsichtigkeit des letztern.


https://kumpfuz.blogspot.com/2016/10/religion-und-glaube.html

Donnerstag, 28. Oktober 2021

Unmündig

Immanuel Kant: 

,,Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht an Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen ... , dennoch gern zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein."

Untergehende Sonne

B. Gracian:  Nicht abwarten, daß man eine untergehende Sonne sei.

Es ist eine Regel der Klugen, die Dinge zu verlassen, ehe sie uns verlassen. Man wisse, aus seinem Ende selbst sich einen Triumph zu bereiten. Sogar die Sonne zieht sich oft, noch bei hellem Scheine, hinter eine Wolke zurück, damit man sie nicht versinken sehe und ungewiß bleibe, ob sie untergegangen sei oder nicht. Man entziehe sich zeitig den Unfällen, um nicht vor Beschämung vergehn zu müssen. Laßt uns nicht abwarten, daß .die Welt uns den Rücken kehre und uns, noch im Gefühl lebendig, aber in der Hochachtung gestorben, zu Grabe trage. Der Kluge versetzt seinen Wettrenner bei Zeiten in den Ruhestand und wartet nicht ab, daß er, mitten auf der Rennbahn niederstürzend, Gelächter errege. Eine Schöne zerbreche schlau bei Zeiten ihren Spiegel, um' es nicht später aus Ungeduld zu tun, wenn er sie aus ihrer Täuschung gerissen hat.

So habe ich es immer, wenn es möglich war, gehalten: Selbst bestimmen, wann man abtritt. 


Mittwoch, 27. Oktober 2021

Pressefreiheit, die sie meinen ...

 ...über den Mißbrauch der Informationspflicht

Von Heinz Friedrich.

Niemand hat in unserem Jahrhundert einem bestimmten Typus Presse und damit einer bestimmten Journalisten-Spezies gründ­licher die Leviten gelesen als Karl Kraus. Die Jahrgänge der Fackel von 1899 bis 1936 sind eine einzige Anklage gegen die schwarzen Magier der öffentlichen Meinung, die - nach Kraus -die abendländische Kultur liquidieren. Pamphlet um Pamphlet schleuderte er den ebenso kurzsichtigen wie überheblichen Skribenten entgegen. Erbarmungslos bis zur eifernden Monomanie nahm er Artikel für Artikel unter seine kritische Lupe und atte­stierte dem europäischen Geist journalistisch-feuilletonistischen Trichinenbefall. überall, vermerkt er im November 1908 in ei­nem ,Apokalypse' betitelten Aufruf zur Erhaltung der Fackel, überall dringen die „ Gase aus der Welthirnjauche, kein Atemho­len bleibt der Kultur und am Ende liegt eine tote Menschheit neben ihren Werken, die zu erfinden ihr soviel Geist gekostet hat, daß ihr keiner mehr übrig blieb, sie zu nutzen". Und pessi­mistisch prophezeit er angesichts dieser Diagnose den „Unter­gang der Welt durch schwarze Magie", sprich: durch die miß­brauchte Allmacht der Presse. Denn längst erweise sich das Hirn unserer Zivilisation als „camera obscura, die mit Drucker­schwärze ausgepicht" sei. Diese, durch Druckerschwärze ver­dunkelte Welt werde selbst ihren Untergang noch mit Vergnü­gen ertragen, wenn ihr nur dessen „kinemathographische Vorführung nicht versagt" bleibe.

Nun: inzwischen werden uns diese „kinemathographischen Vorführungen" des abendländischen Zerfalls Abend für Abend per Mattscheibe frei Haus geflimmert. Im Schaukelstuhl und bei kühlem Bier genießen wir, was noch keiner Generation zuvor zu genießen vergönnt war: den Nervenkitzel der eigenen Ago­nie. Denn seit den Anklagen von Karl Kraus hat sich in der Presse und anderswo nichts geändert - zumindest nicht zum Besseren. Im Gegenteil, die modernen Multiplikatoren, bezeich­nenderweise „Massenmedien" genannt, haben inzwischen das ihre tatkräftig zur Lust am Untergang beigetragen. Unbeküm­mert wird tagtäglich die Pressefreiheit auf und unter dem Strich, wohin sie gelockt wurde, genotzüchtigt - wobei die Hinter­treppe, auf der dies geschieht, als Boulevard ausgegeben wird.

Karl Kraus ist tot. Er starb 1936. Zu Hitler fiel ihm, nach eigenem Zeugnis, bereits nichts mehr ein- aber wie verzweifelter noch wäre er wohl verstummt angesichts unserer gegenwärtigen Schlagzeilen-Hysterie, deren sadistisch-masochistische Ober­töne eine erschreckend inhumane Grundhaltung gewisser Mei­nungshüter verraten. Der geistige Mief, der aus den schein-ethi­schen Kulissen von Pressefreiheit, Informationspflicht, Aufklä­rung und sogenanntem kritischen Bewußtsein hochsteigt, verschmutzt die menschliche Umwelt keineswegs geringer und auch keineswegs weniger tödlich als die Abgase der Blechge­schwader und der Auswurf der Ölschlote - nur: davon redet kaum einer, weil die Angst vor dem ins Kraut schießenden publi­zistischen Informationsterror hierzulande beklemmend groß ist. Die Tage eines Karl Kraus, da immerhin ein paar miese Schreiber vor jedem neuen Heft der Fackel zitterten, sind längst dahin, und ungehemmt darf heute jeder Zeilenschinder seinen publizi­stischen Rang nach dem Winkel des eigenen beschränkten Hori­zontes selbst bestimmen und behaupten, er entfalte bei diesem eigenartigen Geschäft seine Persönlichkeit, sowohl geistig als auch moralisch. …

Die Medien, diese teuflischen Multiplikatoren des menschli­chen Unsinns, weben eifrig den Schleier anthropologischer Illu­sionen, der jede wirkliche Aufklärung der Gesellschaft verhin­dert, und zwar aus den gleichen Gründen, die sie andernorts mit pseudomoralischer Entrüstung anprangern - aus den Grün­den nämlich des materiellen Profits und der demagogischen Macht. Denn längst werden auf den Boulevards der bürgerlichen und auch der journalistischen Dämmerung nicht mehr die heuch­lerisch beschworenen Güter der Pressefreiheit und der soge­nannten Informationspflicht feilgeboten, sondern hier werden Nachrichten als seelenpornographische Nervenkitzel zum Höchstpreis verhökert, um dem trivialem Klatschbedürfnis der Masse entgegenzukommen. Ersetzen die medialen Multiplika­toren doch nicht nur den Brunnen, an dem die Weiber einst ihre Zungen entfesselten, sondern auch den Pranger auf dem Markt, den die Menge mit pharisäischem Behagen angaffte.

….. Auf solche Einwände angesprochen, reagieren die Nachrichten-Macher stets mit moralisch-kritisch-freiheitlichen Beteuerungen und biederem Augenaufschlag. Wissen sie doch genau, daß, wer über die Multiplikatoren der öffentlichen Meinung verfügt, auch über beträchtliche Macht verfügt- und Macht hat leider, trotz ihrer fragwürdigen Aspekte, noch immer das letzte Wort. Ihr dieses letzte Wort wenigstens in der gefährlichen pseudo-journalisti­schen Spielart zu entziehen, ist ein schwieriges Geschäft, weil die häufigste Erscheinungsform der Zeitungslüge die Halbwahr­heit ist. Nichts aber läßt sich schwerer widerlegen als Halbwahr­heiten, weil sie dem zur Rede gestellten Schreiber jede nur er­denkliche Ausflucht gestatten, zumal dann, wenn diese Ausflucht noch durch den weinerlichen Hinweis auf die Ein­schränkung der Meinungsfreiheit akzentuiert wird

Aus dieser Perspektive angeschaut, erweisen sich die Schlag­zeilen besagter Blätter und geistig benachbarter Medien als Kilometersteine der menschlichen Dummheit auf dem Weg in die Verfinsterung. Die Ironie ohne tiefere Bedeutung und die Pointe als Presseausweis genügen kaum als Rechtfertigung eines An­spruchs auf Pressefreiheit. Auch die Pressefreiheit muß, wie jede Freiheit, in einem immerwährenden Prozeß stets neu errungen und durch die redliche Tat bestätigt werden, wenn sie nicht zum Aberwitz absinken soll. Wer unter Pressefreiheit lediglich die Verlegung von Stammtischgemaule und Bargeflüster in die Re­daktionen versteht, hat sie bereits gründlich mißverstanden und mißbraucht. Unabhängigkeit im Titel und Impressum eines Pu­blikationsorgans ist eine Verpflichtung, aber kein journalisti­scher Freibrief.

Freitag, 22. Oktober 2021

Zuchtmeister

 Es gibt Menschen von finsterer Gemütsart, die alles zum Verbrechen stempeln - nicht aus Leidenschaft, sondern von einem natürlichen Hange getrieben. Sie sprechen über jeden ihr Verdammungsurteil aus, über die einen für das, was sie getan haben, über die anderen für das, was sie tun werden. Es zeugt von einem grausamen, ja niederträchtigen Sinn; und sie klagen mit einer solchen Übertreibung an, daß sie aus Splittern Balken machen, die Augen damit auszustoßen. Überall sind die Zuchtmeister, die ein Elysium in eine Galeere umwandeln möchten. Kommt gar noch Leidenschaft hinzu, so treiben sie alles aufs äußerste. 

B. Gracian

bechreibt hier gut die GRÜNEN.

Pharisäer-Festival

 Zur "Chat-Affäre" im Herbst 2021

Von welcher Seite man es immer betrachtet, diese Vorgänge haben dazu beigetragen, die Achtung der Bürger vor ihren politischen und medialen Eliten gegen Null gehen zu lassen. So ungustiös die publik gewordenen Chats sind, so unappettitlich sind auch die Methoden der Opposition, um einen Gegner, der ihnen von Anfang an ein Ärgernis war, auszuschalten. Indem man via "Öffentliche Meinung" Sebastian Kurz den Status eines "Problembären" verliehen hat, war es nur eine Frage der Zeit, bis man ihn abschießen konnte. Die politische und mediale Opposition setzt fast ausschließlich Moralismen und eingebettete Justiz als Waffen gegen einen mißliebigen Politiker ein. Über diesen mag man denken, wie man will (er ist sicher kein Heiliger), aber Verunglimpfungen sind keine Argumente. Auch im "Öffentlichen Haus" der Republik hört man ganz selten fachliche Argumente und wenn, dann von Hinterbänklern. Und ganz schäbig finde ich, wie sich nun Feinde und Freunde über die erlegte Beute hermachen; da bleiben nur mehr Vergleiche aus der Fauna, nur ist es dort nicht widerlich.

Post in der WZ:


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Es ist die richtige Entscheidung von Sebastian Kurz, nicht als „lame duck“ in der Politik zu bleiben. Die Staatsanwälte der WKStA samt „befreundeter“ Medien und aggressiver „Ankläger“ im Ibiza-Ausschuss dürfen nun jubeln: Sie haben mit Handy-Zufallsfunden und wackeligen Vorwürfen einen der talentiertesten Politiker Europas aus allen Ämtern geschossen. Es wird wie üblich jahrelang dauern, bis alles gerichtlich aufgeklärt ist.

Martina Salomon am 3.12.21 im KURIER.


Erinnerung an Berlin-Friedrichsstraße




 

Samstag, 2. Oktober 2021

Glaube light

Ursprünglich eignen Sinn
Laß dir nicht rauben!
Woran die Menge glaubt,
Ist leicht zu glauben

Goethe

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Leserbrief von mir in der Wiener Zeitung zu K. P. Liessmann (Sept.21)

"In Zeiten, in denen es als anrüchig gilt, Kind und Badewasser vor dem Ausschütten zu trennen, tut es gut, einen ausgewogenen Artikel zu lesen, der  gesicherte Tatsachen und Vermutungswucherungen auseinander hält. Während Klimaaktivisten und ihre immer zahlreicher werdenden "follower" alles glauben, was nur immer in der Form einer Studie auf den Markt kommt, sagen die Leugner, daß "das ALLES NICHT WAHR" sei. 

Angebracht wäre aber Skepsis im Sinne von "das ist NICHT ALLES WAHR" Diese Differenzierung erfordert jedoch eine tägliche geistige Anstrengung und man kann ja von Publizisten und Politikern nicht verlangen, daß sie Philosophen sind. Im übrigen warten ich und die gesamte Medienwelt auf den ultimativen wissenschaftlichen Beweis, daß auch Vulkanausbrüche und Erdbeben von Menschen gemacht sind."