Freitag, 18. August 2017

Speed

".... die Telegraphie tat etwas, was Morse nicht vorhergesehen hatte, als er prophezeite, sie werde »das ganze Land in eine einzige Nachbarschaft verwandeln«. Sie zerstörte die bis dahin geläufige Definition von Information und gab so dem öffentlichen Diskurs eine neue Bedeutung. Zu den wenigen, die diese Folgewirkung erkannten, gehörte Henry David Thoreau, und in seinem Buch Walden schrieb er: »Wir beeilen uns sehr, einen magnetischen Telegraphen zwischen Maine und Texas zu konstruieren, aber Maine und Texas haben möglicherweise gar nichts »Wichtiges miteinander zu besprechen. [. . .] Wir beeilen uns, den Atlantischen Ozean zu durchkabeln, um die Alte Welt der Neuen ein paar Wochen näher zu rücken; vielleicht lautet aber die erste Nachricht, die in das große amerikanische Schlappohr hineinrinnt: Prinzessin Adelheid hat den Keuchhusten.«.
Wie sich zeigte, hatte Thoreau ganz recht. Er begriff, daß der Telegraph seine eigene Definition von Diskurs hervorbringen würde, daß er einen Austausch zwischen Maine und Texas nicht nur möglich machen, sondern auf ihm bestehen würde....."
Neil Postman

"Sehe keinen Vorteil dabei, wenn eine Stunde früher in Potsdam".
Friedrich Wilhelm III bei der Eröffnung der Eisenbahn Berlin-Potsdam 1838.


"I hob zwoar ka Ohnung wo i hinfoahr,
Aber dafür bin i gschwinder duat".
Bronner/Qualtinger 

Donnerstag, 17. August 2017

Vodoo

"Ich kann unmöglich alles wissen, was geschieht bzw. was hinter den Dingen steckt. Ich gehe davon aus, dass mir sehr viel verschlossen ist.
Ich glaube z.B. selbst nicht an die Wandlung der katholischen Hostie, bin mir aber sicher, dass bei dieser Sache in der Messe etwas passiert, was jenseits meines eigenen Erfahrungsbereiches liegt, weil ich keinen Zugang dazu habe, persönlich. Darum würde ich auch niemals in profaner oder abfälliger Weise von der Hostie reden (Keks, Löschpapier), sondern den korrekten Ausdruck verwenden, den Katholiken selbst verwenden. Alles andere käme mir einer Entheiligung gleich. Sowas habe ich auch nicht nötig, so herablassend zu sein.
Ich würde mich nie mit einem Vodoo-Schamanen anlegen, und ich weiß, dass Leute gestorben sind, weil sie von einem südamerikanischen Indio-Medizinmann verwünscht wurden.
Wenn ein Christ mir sagt, er glaube, dass Jesus übers Wasser gehen konnte, habe ich kein Problem damit, das als Wunder zu sehen. Warum sollte das nicht so sein? Wer bin ich, dass ich glaube, alles zu wissen und darüber endgültige Urteile abzugeben?
Eine Welt ohne Wunder und spirituelle Geschehnisse ist für mich eine kalte und lieblose Welt, in der ich nicht leben möchte. Sorry.
Und ich tue m. E. gut daran, anderen zuhören, wenn sie von Wundern und von ihren Religionen erzählen und ihren Kulturen erzählen und sie für ernst zu nehmen. Auch wenn ich sie nicht selbst erleben kann oder sie nachvollziehen oder sie in meine eigene Spiritualität übertragen kann.
Ich kann auch nicht die wundersamen Traumstraßen der australischen Aborigines abgehen, weil ich dazu keinen Zugang habe, aber ich gehe davon aus, dass sie trotzdem existieren, und ich bin froh über sie, und bin unendlich froh, dass sie sie nicht nicht unter dem Druck der westlichen Welt aufgegeben haben nachzugehen. Unsere Welt wäre sonst um eine Dimension ärmer geworden.
Ich meine, man muss nicht überall mitmischen, um was zu kapieren oder Dinge für ernst zu nehmen. Mir langt es, wenn andere Menschen Dinge ernst nehmen und dies mir vermitteln können."
8. März 2007 von "Long John Silver" (alias aus einem deutschen Blog)

Vom "Vibrato" abgesehen ungefähr auch meine Position.

Dienstag, 15. August 2017

Verstand

In einem Streitgespräch über religiöse Fragen lehnt einer der Teilnehmer die Existenz alles Übernatürlichen radikal ab.
 
«Sie glauben also an gar nichts?» fragt ihn ein Geistlicher.
«Ich glaube nur an das, was ich mit meinem Verstand begreifen kann.» 
Der Geistliche zuckt mit den Achseln und sagt: «Nun ja, das kommt letzten Endes aufs gleiche
heraus.»

*
«Solange ich Gott nicht sehen kann, leugne ich seine Existenz», sagte ein Atheist zu einem Pfarrer.
«Wenn das Ihr einziges Argument ist », antwortete der, «dann leugne ich aus dem gleichen Grund Ihren Verstand.»
*
Stoßgebet eines Skeptikers: «Gott, wenn es dich gibt, rette meine Seele, wenn ich eine hab’! »
*
Ein notorischer Zweifler betritt mit einem Freund eine wegen ihrer Kunstwerke berühmte Kirche und beugt beim Eintritt das Knie.
«Ich denke, du glaubst nicht an Gott? » sagt der Freund.
«Natürlich nicht », sagt der andere. «Aber weiß ich denn, ob ich recht habe? »

Abstand

"Wenn man älter wird, gewinnt man Abstand zu den Dingen. Und die Wichtigkeiten verschieben sich. Das Wichtige rückt ins Zentrum. Was unwichtig ist oder war, verschwindet in Randbezirke. Vieles, was einen früher quälte, schmerzt nicht mehr."
Inge Borkh 

Freitag, 11. August 2017

Zunftsprache

"Es stimmt eben nicht, daß der Fortschritt der Wissenschaften oder neue Entwicklungen in anderen Bereichen das antike Wort auf den Plan rufen müßten; es liegt nicht im Wesen griechischer oder neuerdings englischer Silben, dehnbarer zu sein als deutsche Silben. Auch auf deutsch läßt sich freilich mit Zunftvo­kabeln trefflich protzen: Man stößt ja auf Leute, die eigens Jura studiert zu haben scheinen, damit sie das schöne deutsche Wort "Vernehmung" zur Einvernahme entstellen können.
Die Experten und ihre Nachbeter grenzen sich auf diese Weise hochmütig von den Laien ab, sie erkennen einander am Zunft­jargon und steigern ihr Lebensgefühl durch die berechtigte Hoff­nung, die Mehrheit ihrer Mitbürger vom Verständnis auszu­schließen. Falls sie eine Professur anstreben, müssen sie sich des Jargons bedienen, damit sie von den anderen Experten ernst ge­nommen werden; zumal in Disziplinen wie der Linguistik oder der Soziologie, von denen ja wenig übrigbliebe, wenn man ihnen das Vokabular entzöge. Wer massenmediale Phänomene untersucht, teilt unüberhörbar mit, daß er Kommunikationswissenschaft studiert hat, und wer einen relaunch abchecken kann, darf sich der Gilde der Marktforscher zurechnen." 
Wolf Schneider
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Als normaler Sterblicher hat man in manchen Bereichen keine Chance, wenn man sich nicht des Zunftjargons bedienen kann, z. B. im Gesundheitswesen oder vor Gericht. Bei letzterem ist man praktisch gezwungen, einen Anwalt zu nehmen, auch wenn man unschuldig ist, sonst geht man als zumindest Teilschuldiger hinaus.

Sonntag, 6. August 2017

Donnerstag, 3. August 2017

Durchschuss

In der WZ vom 31.7.  ein Artikel über die Anwendung von KI in Literatur und Zeitungswesen:
http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/medien/908074_Literatur-aus-dem-Automaten.html
"Computerprogramme verfassen nicht nur standardisierte Texte, sondern analysieren auch narrative Muster literarischer Werke."
Das wird insbesondere die Zeitungsherausgeber freuen:  Da kommt die Information schon fertig aufbereitet von der Agentur und braucht in der Redaktion nur mehr mit Meinung durchschossen und mit Ideologie nach Art des Hauses abgeschmeckt werden.
Aber auch das wird über kurz oder lang der Computer übernehmen, menschliche Redakteure sind einfach nicht so berechenbar.

https://de.wikipedia.org/wiki/Zeilendurchschuss

Mittwoch, 2. August 2017

Es

"Wie wir  schon sahen, ist nichts ernüchternder als eine erfüllte Hoffnung, und nichts trügerischer als eine versagte.
Er hatte also den Punkt erreicht, daß er sich seines Suchens voll bewußt war, und damit auch seiner ewigen Frage an alle Inhalte und Aspekte der Welt: Ist es das? Und nun ergab sich eines Tages ein ganz kleiner Wandel; eben einer von jenen, die so klein sind, daß sie Großes herbeiführen. So unwahrscheinlich es klingen mag, es war die winzige Verschiebung der Betonung von das auf es, wodurch die Frage plötzlich »Ist es das?« lautete. Und sofort kam ihm die Antwort: Kein »Das«, kein Ding da draußen in der Welt, kann je mehr als ein Name des Es sein - und Namen sind Schall und Rauch. In diesem Augenblick fiel die Trennung zwischen ihm und es weg; zwischen Subjekt und Objekt, wie die Philosophen sagen würden. Kein Das konnte je dieses Es sein. Was die Welt nicht enthält, kann sie auch nicht vorenthalten, sagte er zu seinem eigenen Erstaunen immer wieder vor sich hin; und dazu noch die für ihn merkwürdig bedeutungsvollen Worte: Ich bin icher als ich. Auf einmal war es ihm klar, daß die Suche der einzige Grund des bisherigen Nichtfindens gewesen war; daß man da draußen in der Welt nicht finden und daher nie haben kann, was man immer schon ist. 
Und damit erfüllte sich für ihn jenes Wort der Apokalypse, wonach die Zeit nicht mehr sein wird - und er stürzte in die zeitlose Fülle des gegenwärtigen Augenblicks. 
Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde stand er in dieser Zeitlosigkeit, denn um sie zu bewahren, verfiel er sofort auf die Patendlösung, dem Erlebnis einen Namen zu geben und nach seiner Wiederholung zu suchen ..."

P. Watzlawick, Vom Schlechten des Guten.