Heinz Friedrich
(anläßlich eines lang zurückliegenden Theaterskandals in Stuttgart durch Neuenfels 🕀 )
……….. Die
Feuilletonisten brannten Brillantfeuerwerke fortschrittlich-kulturrevolutionärer
Schlagworte ab, um für die bedrohte künstlerische Freiheit zu demonstrieren und
das repressive Verhalten eines verstockten Kulturestablishments zu brandmarken.…………..
Auseinandersetzungen dieser Art gab es beim Theater schon immer - und sie
werden auch in Zukunft nicht ausbleiben. Sich deshalb ideologisch zu
verausgaben erscheint müßig. Aber Sachlichkeit und vernünftige Gelassenheit ist
offenbar nicht das Gebot der feuilletonistischen Stunde. Jede Andeutung eines
Skandals wird gern und willig aufgegriffen, um die tierisch-ernste Streiterpose
des Gerechtigkeitsfanatikers einzunehmen und meinungsöffentliche
Gardinenpredigten vom Stapel zu lassen.
Neuenfels aber, auf theatralische Aggression versessen…… terrorisiert auch die Phantasie des Zuschauers, indem er ihr die
vordergründigste und gemeinste Interpretation des Stoffes agitatorisch
aufzwingt. ……………. oder zumindest zu einem Stichwortgeber für unkontrollierbaren
Theaterzirkus herabwürdigt. Denn schließlich soll und muß sich der
Theaterregisseur (wie jeder Interpret) am Beginn seiner schöpferischen
Auseinandersetzung mit einem vorgegebenen Stoff die Frage stellen, welchen
Absichten den Autor gefolgt sei. Die Antwort auf diese Frage läßt ohnehin schon
Spielraum genug für künstlerische Mißverständnisse, Fehlleistungen und
Eigenmächtigkeiten, die nicht mit dem Urheberrecht in der Hand geahndet werden
können. Wird dieser Spielraum durch die ideologische Willkür des Regisseurs
jedoch noch zusätzlich ausgenutzt, so steigert sich die Interpretation zur
brutalen Vergewaltigung.
Allerdings
ist das Stuttgarter Theatermißgeschick kein Einzelfall, sondern es
veranschaulicht im Gegenteil nur ein Symptom gegenwärtiger Theaterpraxis: Vergewaltigungen dieser und
ähnlicher Art ereignen sich nämlich allenthalben auf unseren Bühnen; nur kann
sich die Mehrzahl der Autoren…., nicht
mehr wehren, weil sie längst unter der Erde modert und auch kein finanziell
interessierter Sachwalter und kein Urheberrecht für ihre postumen Interessen
eintritt - wir meinen die Klassiker, die mehr und mehr dem ideologischen
Regietheater zum Opfer fallen. In der ebenso flachen wie irrigen Meinung, die Klassiker
seien gesellschaftlich überholt oder repräsentierten gar den Höhepunkt
bürgerlicher Repression, kühlen zahlreiche Jung-Regisseure ihr szenisches
Mütchen an den Uropas der Schaubühne. ….. Schließlich
stellt man gotische Madonnen ja auch nicht in öffentlichen Bedürfnisanstalten
aus, um auf ihre Kritisierbarkeit aufmerksam zu machen ...
Gewiß:
Kunstwerke sind keine starren Denkmalgrößen, die unreflektierte Bewunderung
erheischen. Sie müssen sich, wollen sie lebendiger Wirkung nicht entraten,
späteren Generationen stets erneut zur Auseinandersetzung stellen. Aber es ist
immerhin ein Unterschied, ob diese Auseinandersetzung auf gleichrangigem Niveau
oder in Form gemeiner Notzucht erfolgt. Politisch-tendenziöse Verfälschung
eines Kunstwerkes aber ist Notzucht, weil sie die freie Meinungsäußerung
des Autors manipuliert oder gar verhindert (ob der Autor längst tot ist oder
noch unter den Lebenden weilt, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle).
Steht es den kultur- und sozialrevolutionären Provokateuren doch frei, sich
ihre Stücke selbst zusammenzuzimmern oder sie zusammen mit einem
gleichgesinnten Autorenteam zu erarbeiten. Niemand wird sie daran hindern, dann
von ihrer so mimosenhaft verteidigten Gedankenfreiheit praktischen Gebrauch zu
machen und ihre szenischen Visionen in dem geistigen Parterre vorzuführen, das
ihnen gemäß erscheint.
Um so nachdrücklicher aber scheint angesichts solcher
Toleranz Achtung vor den Werken anderer Autoren geboten; denn wie soll
Diskussion entstehen, wenn alle Texte über den gleichen ideologischen
Theaterleisten manipuliert werden? Nur
die Werktreue garantiert die geistige Auseinandersetzung, weil sie dem
Autor ohne selbstherrliches Dreinreden das entscheidende Wort läßt. In diesem
Sinn ist Werktreue kein leerer oder gar repressiver Wahn, sondern ein
Gebot, durch dessen Nichtachtung künstlerische Interpretation sich selbst
stranguliert………... Oder sollte gar zutreffen, daß künstlerische Freiheit nur
dem zusteht, der sich modisch-progressiv gebärdet? Dann allerdings wären wir bald
an dem Punkt angelangt, an dem die Freiheit, die solche Fortschrittler meinen,
ihre repressiven, terroristischen Züge zynisch enthüllt nach dem Motto: Willst du nicht meiner Meinung sein, so
schlag ich dir den Schädel ein.
Heinz Friedrich: Weitere Zitate zum "modernen" Theater:
... selbstgefällig projizieren sie ihre eigenen Hirngespinste an das
Zeltdach und behaupteten keck, dies sei die Wirklichkeit. Nun aber, da diese
Wirklichkeit nicht standhält und die Trapeze über leeren Sitzreihen schaukeln,
predigen sie Besinnung und begeben sich ins Parterre, um den verachteten
Brüdern die Hand zu reichen und der engagierten Subkultur das Wort zu reden. So geraten
sie von einem Extrem ins andere. Denn sowenig die Kunst im luftleeren Raum über
den Köpfen der Gesellschaft sich etablieren kann, so wenig sollte sie sich
unmittelbar mit der Gesellschaft gemein machen und mit ihr auf die Barrikaden
der alltäglichen Bedürfnisse (oder auch nur Scheinbedürfnisse) steigen. Kunst
manifestiert sich nämlich weitaus häufiger in einem Spannungsverhältnis zur
Gesellschaft als in Übereinstimmung mit ihr. Das liegt nicht zuletzt in der
anthropologischen Tatsache begründet, daß der täterische Mensch geschichtlich
bestimmender auf die Gesellschaft und ihre Bedürfnisse einwirkt als der schöpferisch
reflektive, dessen geistiger Einfluß sich in der Regel nur allmählich (und oft
erst über Generationen hinweg) durchsetzt.
Viele
Parnass-Wanderer litten an ihren Zeitgenossen, die für sie nur die Qual der
Ignoranz bereithielten. Genies sind gesellschaftlich unbequem. Seit den Tagen
der Renaissance, als sich die Künstler ihrer schöpferischen Individualität
bewußt wurden, kämpfen die Dichter, Komponisten und Maler nicht nur um ihr
Publikum, sondern meist auch gegen ihr Publikum. Wer nicht bereit ist, sich der
Tagesrhetorik zu unterwerfen und dem Für und Wider der Meinungen zu huldigen,
kurzum: wer sich gesellschaftsideologisch nicht integrieren läßt, dem wird
erbarmungslos die Außenseiterrolle zugewiesen; um den Preis der Einsamkeit und
Verkennung muß er sein Werk schaffen.
Denn große
Kunst strebt, und zwar auch dort, wo sie sich zu engagieren scheint, stets nach
Ausdruck überzeitlicher Sachverhalte; die Bindung an das Zeitliche widerstrebt
ihrem innersten Antrieb und Auftrag. Aus dem Sieg über die Zeit bezieht sie
ihre Faszination und ihre Dauer über den Tag hinaus. Wäre die Schilderung
gesellschaftlicher Verhältnisse das Hauptmerkmal Shakespearescher Trauerspiele,
so würden uns heute kaum noch die Schicksale Hamlets, Othellos oder Romeos
erschüttern - ganz zu schweigen von den Inhalten der antiken Tragödie, die mit
unserer modernen Gesellschaftsstruktur ebensowenig oder ebensoviel gemein haben
wie ein Überschallflugzeug mit dem Schneider von Ulm. Auch der Apoll von
Belvedere, auf seine gesellschaftliche Aussagekraft beschränkt, erschiene uns
lediglich als kunstfertig gerundeter Marmor und nicht als Inkarnation
vergöttlichter und zum geistig-sinnlichen Leitbild erhobener Menschengestalt.
Es sind
also kaum die gesellschaftlichen Konstellationen vergangener Epochen, die uns
in den überlieferten Kunstwerken ergreifen. Ebensowenig aber ist
bildungsbürgerliche Kulturheuchelei für die Präsenz künstlerischer
Überlieferung verantwortlich: musealer Kunstgenuß, zum Statussymbol erhoben,
würde unweigerlich in interesseloser Langeweile versanden, falls ihm nicht eine
aktivierende Kraft antwortete.
Was
vielmehr aus den Kunstwerken der Vergangenheit in die Gegenwart hineinspricht,
das ist ihr überzeitlicher Gehalt an menschlicher Wahrheit - einer Wahrheit,
die, in welcher gesellschaftlichen Konstellation auch immer, seit den Tagen, in
denen der Mensch seinen geschichtlichen Weg antrat, die gleiche geblieben ist:
das tragische Bewußtsein der zeitlichen Existenz und damit die individuelle
Absonderung von dem universalen Gang des Weltganzen.
Dieser Einsicht freilich widersetzten sich die
Verfechter der totalen Gesellschaft mit dialektischer Leidenschaft. Verstrickt
in die Utopie zukünftiger Sozialparadiese und überzeugt von dem
spätkapitalistisch-repressiven Charakter der Kultur, erblicken sie im
überzeitlichen Wahrheitsanspruch der Kunst einen Feind des Fortschritts. Größe
ist ihnen als Ausdruck autoritären Machtanspruchs verdächtig, und das
Ergreifende oder Erschütternde bietet sich ihnen nur dar als Manipulation der Gefühle
zum Zweck gesellschaftlicher Unterdrückung.
…..weiblicher Winkelried in Unterwäsche....Nacktheit auf der Bühne:
..... die Frage einer Schauspielerin.....vielleicht
fragte sie sich, warum auf der Bühne, wo nichts echt ist, kein Thron, kein Tod
und keine Träne, ausgerechnet die Nacktheit echt sein muß. Vielleicht wollte sie in zarten Dessous erst erspielen,
was ohne Dessous keine Aufgabe wäre: den Akt als Kunst-Akt.
Seitdem
sich die Nacktheit als Bühnenkostüm durchgesetzt hat, erregt sie den Zuschauer
nicht heftiger als ein Kostümzipfel oder eine Gewandfalte. Das ist ein
beklagenswerter Verlust: Sittsamkeit ist durch Obszönität erst möglich. Ein
bißchen Verlegenheit beim Zuschauen wäre schon besser als gar nichts.
In
Dänemark, heißt es, sei nach der Freigabe der Pornographie sogar den
Lustmördern die Lust vergangen.