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Mittwoch, 17. Juli 2019

Es gibt keine Geschichte

Es gibt keine Geschichte der Menschheit, es gibt nur eine unbegrenzte Anzahl von Geschichten, die alle möglichen Aspekte des menschlichen Lebens betreffen. Und eine von ihnen ist die Geschichte der politischen Macht. Sie wird zur Weltgeschichte erhoben. Aber das ist ein Affront gegen alle Menschlichkeit und Sittlichkeit. Es ist kaum besser, als wenn man die Geschichte der Unterschlagung oder des Raubes oder des Giftmordes zur Geschichte der Menschheit machen wollte. Denn die Geschichte der Machtpolitik ist nichts anderes als die Geschichte der nationalen und internationalen Verbrechen und Massenmorde (einige Versuche zu ihrer Unterdrückung eingeschlossen). Diese Geschichte wird in der Schule gelehrt, und einige der größten Verbrecher werden als ihre Helden gefeiert.
Aber warum wurde gerade die Geschichte der Macht und nicht zum Beispiel die Geschichte der Religion oder der Dichtkunst ausgewählt? Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer dieser Gründe ist, daß die Macht uns alle, die Dichtung aber nur wenige von uns beeinflußt. Ein anderer ist, daß die Menschen geneigt sind, die Macht anzubeten. Aber die Anbetung der Macht ist eine der verächtlichsten Formen der Idolatrie und des Knechtsgeistes. Die Anbetung der Macht ist aus der Furcht geboren: aus einem Gefühl, das wir mit Recht verachten. Ein dritter Grund dafür, daß die Machtpolitik zum Zentrum des Interesses der Geschichtsschreiber wurde, ist, daß die Mächtigen oft den Wunsch hatten, angebetet zu werden, und daß sie die Mittel besaßen, ihre Wünsche durchzusetzen. Viele Historiker schrieben im Auftrag und unter der Aufsicht der Kaiser, der Generäle und der Diktatoren. 
K.R. Popper

Samstag, 12. Januar 2019

Glaube, Werte, Mächte

Glaube ist auch Glaube an die Wissenschaften, an die Medizin, an die Karriere, die beruflichen Ordnungen, die Richter, die Polizei, die Versicherungen. Das Leben des heutigen Menschen ist eine permanente Bekundung laizistischen Glaubens an manchmal viel absurdere und lächerlichere Dinge als jene, die sich von vornherein als im Mysterium begründet erklären.
Trotzdem fällt es mir im Prinzip schwer zu akzeptieren, daß eine Lehre und ein Gebotskatalog, die auf einem transzendentalen Mysterium beruhen, eine bessere Anleitung zu moralischem Handeln sein sollen. Als guter christlicher Aufklärer entdecke ich hinter den Werten die Mächte. Ich habe nichts gegen Mysterien. Aber ich fürchte die Offenbarungen. Ich fürchte das plötzliche Auftauchen und Sichanbieten eines Bedürfnisses, einer Entdeckung, einer neuen Seite der Gesellschaft, der Wissenschaft, der Kunst oder der Kultur und das ebenso schroffe Auftreten der Repression, der aggressiven Zensur abweichender Verhaltensweisen oder solcher, die einer eigenständigen Norm gehorchen, einer, die sich in ihrer Evidenz und Autonomie als wahr und rein erweist.

Claudio Martelli, italienischer Politiker (PS)

Sonntag, 3. Mai 2015

Saitenspiel

Ich habe nichts dagegen, wenn jemand in mir Saiten zum Mitschwingen bringen will, aber nur dann, wenn er dazu nicht in meine Saiten greifen zu müssen glaubt. In jedem Fall will ich selbst bestimmen, wann und wie stark ich Resonanzkörper bin.

Diese Einstellung missfällt all jenen Menschen (nach meinem Geschmack viel zu vielen), deren größtes Vergnügen darin besteht, die Mitmenschen nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen, wohlverstanden natürlich immer nur zu deren Besten! - Eine bewährte Methode dazu beschreibt Balthasar Gracián in seinem "Handorakel und Kunst der Lebensklugheit", das bezeichnenderweise zur Lieblingslektüre von Wolfgang Schüssel zählt:
"DIE DAUMENSCHRAUBE EINES JEDEN FINDEN. Dies ist die Kunst, den Willen anderer in Bewegung zu setzen.  Man muß wissen, wo einem jeden beizukommen ist. Es gibt keinen Willen, der nicht einen eigentümlichen Hang hätte, welcher nach derMannigfaltigkeit des Geschmacks verschieden ist. Alle sind Götzendiener, einige der Ehre, andere des Interesses, die meisten des Vergnügens. Der Kunstgriff besteht darin, daß man diesen Götzen eines jeden kenne, um mittels desselben ihn zu bestimmen. Weiß man, welches für jeden der wirksame Anstoß sei, so ist es, als hätte man den Schlüssel zu seinem Willen. Man muß nun auf die allererste Springfeder, oder das PRIMUM MOBILE in ihm, zurückgehen, welches aber nicht etwa das Höchste seiner Natur, sondern meistens das Niedrigste ist; denn es gibt mehr schlecht- als wohlgeordnete Gemüter in der Welt. Jetzt muß man zuvörderst sein Gemüt bearbeiten, dann ihm durch ein Wort den Anstoß geben, endlich mit seiner Lieblingsneigung den Hauptangriff machen; so wird unfehlbar sein freier Wille schachmatt."
Dadurch, dass sich mein Leben zwischen meinem 11. und 22. Altersjahr in Gemeinschafts-Institutionen abgespielt hat, habe ich ein feines Sensorium dafür entwickelt, ob und wann mich jemand in seinen Machtbereich eingliedern will; ich habe dabei aber auch wirkungsvolle Gegenmittel gelernt! Sei es nun nur "backside driving" oder auch ein Griff ins Lenkrad, ich bin allergisch dagegen.

Wohlgemerkt: Es kann manchmal nichts Großes vollbracht werden, ohne anderen Menschen seinen Willen aufzuzwingen. Es geht nur darum, ob man als Zwingherr dabei Lustgefühle entwickelt oder nicht. Außerdem kann man verschiedener Ansicht darüber sein, was "groß" genug ist, um seinen eigenen Willen hintanzustellen. In Friedenszeiten jedenfalls zumeist.
Wieder eine andere Sache ist die Erziehung. Die antiautoritäre Erziehungstheorie hat ziemlich katastrophale Ergebnisse gezeitigt. Auch hier ist es das gesunde Maß, das entscheidet, und wann man damit aufhört, andere Menschen zu erziehen; manchen fällt das schwer und sie tauchen dann auch häufig als Über-Ich in der nächsten Generation auf. Auch ein Weg zur Unsterblichkeit.