Nun, es ist bekannt, daß es nicht zuletzt die sogenannte psychosomatische Medizin war, die sich all dessen angenommen hat, also den innigen Beziehungen zwischen Leiblichem und Seelischem nachgegangen ist. Freilich nicht ohne übers Ziel zu schießen und so zu tun, als ob wirklich jeder Erkrankung, auch leiblicher Art, ein entsprechendes Erlebnis zugrunde liegen müßte. Krank wird nur - dies der Grundsatz der psychosomatischen Medizin: Krank wird nur, wer sich kränkt. Aber das ist nicht wahr. Und wenn man darauf hinweist, daß beispielsweise ein Angina-pectoris-Anfall - manchmal bewußt, manchmal unbewußt - auf eine Aufregung, sagen wir auf eine ängstliche Erregung zurückzuführen ist, so muß ich demgegenüber auf folgendes aufmerksam machen: Nicht nur die ängstliche Erregung ist imstande, einen solchen Herzanfall auszulösen, sondern auch eine freudige Erregung. Und es sind Fälle bekannt, in denen Mütter, als ihre Söhne aus langjähriger Kriegsgefangenschaft heimkehrten, vom Herzschlag getroffen zusammensanken.
....ein Beispiel: Es gibt Menschen, die an einem eigenartigen Gefühl kranken: alles erscheint ihnen fern, und sie selbst kommen sich fremd vor. Wir Psychiater sprechen dann von einem Entfremdungserlebnis oder einem Depersonalisationssyndrom. Es kommt bei den verschiedensten seelischen Erkrankungen vor, ist aber an und für sich harmlos. Nun konnte ich zeigen, daß dieses psychische Krankheitszeichen in gewissen Fällen auf niedrig dosiertes Nebennierenrindenhormon ausgezeichnet anspricht. Das normale Persönlichkeitsgefühl, das normale Icherlebnis, stellt sich wieder ein. Aber es wäre mir nicht eingefallen, aus alledem den Schluß zu ziehen, daß die Persönlichkeit des Menschen, daß das Ich »nichts als« Nebennierenrindenhormon ist.
Bei näherem Zusehen ergibt sich nämlich, vor welchem Fehlschluß und Denkfehler wir uns zu hüten haben, wann immer von all diesen leih-seelischen Zusammenhängen die Rede ist: Wir müssen uns angewöhnen, genau zu unterscheiden zwischen Bedingen und Bewirken oder Erzeugen. So ist eine normal funktionierende Schilddrüse oder Nebennierenrinde wohl die Voraussetzung, die Vorbedingung eines normalen menschlichen Seelen- und Geisteslebens, aber damit ist nicht im geringsten ausgemacht, daß das Geistige im Menschen sozusagen erzeugt wird von jenen chemischen Prozessen, auf denen so etwas wie die Hormonproduktion des Organismus beruht.
Der Organismus ist nun das Insgesamt von Organen, und das heißt von Werkzeugen, von Instrumenten. Tatsächlich verhält sich das Geistige im Menschen - von dem wir soeben ausgesagt haben, daß es vom Chemismus nicht erzeugt und so denn auch vom Chemismus her nicht geklärt werden kann -, tatsächlich verhält sich dieses Geistige zum Organismus ebenso wie ein Virtuose zu seinem Instrument. Ich meine damit, daß der menschliche Geist, um sich entfalten zu können, eines funktionstüchtigen Organismus als einer Grundbedingung ebenso bedarf wie ein Virtuose eines guten »Instruments«. Er ist angewiesen darauf - ja er ist abhängig von ihm; denn auf einem schlechten Instrument, sagen wir auf einem schlecht gestimmten Klavier, kann der beste Virtuose und der größte Künstler nicht richtig spielen. Was geschieht aber, wenn das Klavier verstimmt ist? Nun, man holt den Klavierstimmer herbei, und der stimmt das Instrument wieder zurecht. Aber nicht nur ein Klavier kann verstimmt sein, sondern auch ein Mensch. Er kann in einen Verstimmungszustand geraten, in einen Depressionszustand verfallen.
V. E. Frankl
Politische, kulturelle und politische Kommentare ; literarische Kletzen. Motto: Prudenter dubitare!
Mittwoch, 3. Januar 2018
Carpe diem
Weil die GEGENWART allein die real erfüllte Zeit ist und unser ganzes wirkliches Dasein in ihr konzentriert und auf sie beschränkt ist, so sollte man sie stets einer heitern Aufnahme würdigen, jede erträgliche und von unmittelbaren Schmerzen freie Gegenwart mit Bewußtsein als solche genießen, d. h. sie nicht trüben durch verdrießliche Gesichter über die verfehlten Hoffnungen der Vergangenheit oder die Sorgen der Zukunft.
Schopenhauer
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"Julian Huxley hat mit britischem Humor diesen Denkfehler als »Nothing-elsebuttery« verspottet - als «Nichts-anderes-Alserei«, als den Irrtum, etwas, das auf etwas anderes zurückgehe, sei nichts anderes als dieses: Alles Leben ist Chemie, aber nicht: alles Leben ist nichts anderes als Chemie ... "
Franz Kreuzer im Vorwort zu "Die Sinnfrage in der Psychotherapie".
Siehe auch:
https://kumpfuz.blogspot.co.at/search?q=Psychologismus
Sonntag, 31. Dezember 2017
Sonntag, 17. Dezember 2017
Witz und Humor
Ich hatte einen - sehr lieben! - Onkel, der konnte blendend Witze erzählen und hatte ein unerschöpfliches Repertoire, aus dem er jederzeit die zur jeweiligen Situation passenden hervorholen konnte. Humor hatte er aber - bei allen sonstigen Qualitäten - eher nicht. Das zeigte sich beispielhaft beim Kartenspielen zu viert: Solange er gewann, unterhielt er die Partie derart, dass es manchmal vor lauter Lachen schwer war, weiter zu spielen. War er auf der Verliererstraße, wurde er zusehends griesgrämiger. Verlieren können halte ich aber für ein wesentliches Ingrediens des Humors.
Auf der anderen Seite kenne ich Leute, die Witze nicht erzählen und sie sich auch nicht merken können; soweit ich sie kenne, traue ich ihnen aber durchaus Humor zu. Ich halte es für ein wesentliches Kriterium des Humors, dass man über sich selbst - nein, nicht unbedingt lachen, aber lächeln oder zumindest den Kopf schütteln kann. Die höheren Weihen erreicht man allerdings erst, wenn man das auch bei Fehler von anderen kann; das ist aber sehr schwer.
Auf der anderen Seite kenne ich Leute, die Witze nicht erzählen und sie sich auch nicht merken können; soweit ich sie kenne, traue ich ihnen aber durchaus Humor zu. Ich halte es für ein wesentliches Kriterium des Humors, dass man über sich selbst - nein, nicht unbedingt lachen, aber lächeln oder zumindest den Kopf schütteln kann. Die höheren Weihen erreicht man allerdings erst, wenn man das auch bei Fehler von anderen kann; das ist aber sehr schwer.
"Und nichts vermöchte einen Menschen in solchem Maße instand zu setzen, Distanz zu schaffen zwischen irgend etwas und sich selbst, wie eben der Humor."V. E. Frankl
Die Stachelschweine
Arthur Schopenhauer
Die Stachelschweine
Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich an einem kalten Wintertage recht nah zusammen, um sich durch die gegenseitige Wärme vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln, welches sie dann wieder von einander entfernte. Wann nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammenbrachte, wiederholte sich jenes zweite Übel, so daß sie zwischen beiden Leiden hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung voneinander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten.
So treibt das Bedürfnis der Gesellschaft, aus der Leere und Monotonie des eigenen Innern entsprungen, die Menschen zueinander; aber ihre vielen widerwärtigen Eigenschaften und unerträglichen Fehler stoßen sie wieder voneinander ab. Die mittlere Entfernung, die sie endlich herausfinden, und bei welcher ein Beisammensein bestehen kann, ist die Höflichkeit und feine Sitte. Dem, der sich nicht in dieser Entfernung hält, ruft man in England zu: keep your distance! - Vermöge derselben wird zwar das Bedürfnis gegenseitiger Erwärmung nur unvollkommen befriedigt, dafür aber der Stich der Stacheln nicht empfunden.
Wer jedoch viel eigene, innere Wärme hat, bleibt lieber aus der Gesellschaft weg, um keine Beschwerde zu geben, noch zu empfangen.
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Alfred Komarek formuliert das kürzer als: "...Wechselspiel von vernünftiger Nähe und sorgsamer Distanz".
Keine Panik
"Verzichten aber heißt einsehen, daß ein relativer Wert eben relativ ist. Dies klingt abstrakt, und daher möchte ich konkreter werden, und ich zitiere ein altes chinesisches Sprichwort: es sagt, jeder Mann solle in seinem Leben einen Baum gepflanzt, ein Buch geschrieben und einen Sohn gezeugt haben. Nun, wenn sie sich daran halten wollten - die meisten Männer müßten verzweifeln und sich konsequenterweise das Leben nehmen; denn die wenigsten waren dann wohl imstande, ihrem Leben den rechten Sinn zu geben: selbst wenn sie Bäume gepflanzt hätten, haben sie wohl kein Buch geschrieben oder nur eine Tochter gezeugt oder umgekehrt usw. Aber auch wenn man nicht das Bäumepflanzen, Bücherschreiben und Söhnezeugen, überhaupt nicht die Vaterschaft vergötzt, sondern die Mutterschaft - wir müßten sagen: wie arm wäre doch das Leben, würde es nicht auch andere Möglichkeiten bieten, um es sinnvoll zu gestalten, es mit Sinn zu erfüllen. Und ich muß sagen: was wäre das auch für ein Leben, dessen Sinn damit steht und fällt, daß man heiratet und Kinder kriegt, Bäume pflanzt und Bücher schreibt?
Gewiß: das alles sind Werte, wirkliche Werte; aber sie sind relativ - absolut hingegen kann nur eines sein, und das ist das Gebot unseres Gewissens. Und dieses Gewissen gebietet uns, daß wir uns unter allen Bedingungen und Umständen unserem Schicksal stellen - wie immer es auch sein mag; und unser Gewissen fordert von uns, daß wir dieses Schicksal gestalten, daß wir handeln, daß wir das Schicksal in die Hand nehmen, wo dies möglich ist; daß wir aber auch bereit sind, das Schicksal auf uns zu nehmen - wenn dies nötig ist -, und daß wir dann das rechte, aufrechte Leiden echten Schicksals leisten.
Haben wir uns dem Schicksal aber einmal gestellt, sei es in einer Handlung, sei es - wo ein Handeln nicht möglich war - in der rechten Haltung, so oder so haben wir das Unsere getan. Dann gibt es auch kein schlechtes Gewissen mehr - weder ein positives noch ein negatives, wer weder eines, das sich auf unsere Handlungen bezieht, noch eines, das die Unterlassungen betrifft. Und dann hört mit einemmal auch alle Torschlußpanik auf. Denn letztlich beruht sie auf jener optischen Täuschung, von der ich bereits einmal sprach, als ich sagte: der Mensch sieht meistens nur das Stoppelfeld der Vergänglichkeit, aber er übersieht die vollen Scheunen der Vergangenheit - er übersieht, was er alles ins Vergangensein hineingerettet hat, wo es nicht unwiederbringlich verloren ist, sondern unverlierbar geborgen bleibt.
Nun: wer da beherrscht ist vom Lebensgefühl des ständigen Abschied-nehmen-Müssens und ergriffen von der Torschlußpanik, der hat vergessen, daß das Tor, das sich zu schließen droht, eben das Tor einer vollen Scheune ist ... Und er überhört den Trost und die Weisheit, die uns entgegenklingen aus den Worten der Bibel: »Du gehst im Alter zu Grabe, wie der Garbenhaufen eingefahren wird zur Zeit.« "
V. E. Frankl
Samstag, 9. Dezember 2017
Personenbeschreibung
"Charakter einer mir bekannten Person.
....von der Religion hat er als Knabe schon sehr frei gedacht, nie aber eine Ehre darin gesucht ein Freigeist zu sein, aber auch keine darin, alles ohne Ausnahme zu glauben. Er kann mit Inbrunst beten und hat nie den 9o. Psalm ohne ein erhabenes, unbeschreibliches Gefühl lesen können(*) ..... Er weiß nicht was er mehr haßt, junge Offiziers oder junge Prediger, mit keinen von beiden könnte er lange leben .... Lesen und Schreiben ist für ihn so nötig als Essen und Trinken, er hofft es wird ihm nie an Büchern fehlen. An den Tod denkt er sehr oft und nie mit Abscheu, er wünscht daß er an alles mit so vieler Gelassenheit denken könnte, und hofft sein Schöpfer wird dereinst sanft ein Leben von ihm abfordern, von dem er zwar kein allzu ökonomischer, aber doch kein ruchloser Besitzer war."
....von der Religion hat er als Knabe schon sehr frei gedacht, nie aber eine Ehre darin gesucht ein Freigeist zu sein, aber auch keine darin, alles ohne Ausnahme zu glauben. Er kann mit Inbrunst beten und hat nie den 9o. Psalm ohne ein erhabenes, unbeschreibliches Gefühl lesen können(*) ..... Er weiß nicht was er mehr haßt, junge Offiziers oder junge Prediger, mit keinen von beiden könnte er lange leben .... Lesen und Schreiben ist für ihn so nötig als Essen und Trinken, er hofft es wird ihm nie an Büchern fehlen. An den Tod denkt er sehr oft und nie mit Abscheu, er wünscht daß er an alles mit so vieler Gelassenheit denken könnte, und hofft sein Schöpfer wird dereinst sanft ein Leben von ihm abfordern, von dem er zwar kein allzu ökonomischer, aber doch kein ruchloser Besitzer war."
G. Chr. Lichtenberg
http://www.lichtenberg-gesellschaft.de/leben/l_leb_goe_licht.html
(*) PSALM 90:Ein Bittgebet des Mose, des Mannes Gottes. O Herr, du warst uns Wohnung von Geschlecht zu Geschlecht.
Ehe geboren wurden die Berge, ehe du unter Wehen hervorbrachtest Erde und Erdkreis, bist du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Zum Staub zurückkehren lässt du den Menschen, du sprichst: Ihr Menschenkinder, kehrt zurück!
Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht.
Du raffst sie dahin, sie werden wie Schlafende. Sie gleichen dem Gras, das am Morgen wächst:
Am Morgen blüht es auf und wächst empor, am Abend wird es welk und verdorrt.
Ja, unter deinem Zorn schwinden wir hin, durch deine Zornesglut werden wir starr vor Schrecken.
Unsere Sünden hast du vor dich hingestellt, unsere verborgene Schuld in das Licht deines Angesichts.
Ja, unter deinem Grimm gehen all unsere Tage dahin, wir beenden unsere Jahre wie einen Seufzer. Die Zeit unseres Lebens währt siebzig Jahre, wenn es hochkommt, achtzig. Das Beste daran ist nur Mühsal und Verhängnis, schnell geht es vorbei, wir fliegen dahin.
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