…. Toleranz muß dort ihre Grenze finden, wo sie das Zustandekommen einer humanen Lebensordnung - im Individuum oder in der Gesellschaft - behindert. Der Verzicht darauf, sich zu einer hierarchischen Ordnung der menschlichen Bedürfnisse und Talente ausdrücklich zu bekennen und der Verzicht darauf, unserer Einsichts- und Selbstbestimmungsfähigkeit den Vorrang vor allen anderen Tugenden zuzuerkennen, mag in der Optik einer libertinistischen Ethik als besonders duldsam gelten. Er dokumentiert jedoch eine Einstellung, die nicht sieht, daß die Selbstverwirklichung des Menschen eine Aufgabe darstellt, die Orientierung an einem Sollensmodell voraussetzt. Auch der Wille zur Humanität setzt also dem Willen zur Duldung klare Grenzen…..….. und ergibt sich aus dem Willen zum Werten von selbst. Wenn dies wirklich eine Überzeugung und ein Wille ist, werden wir uns nicht damit begnügen können, die humane Wertordnung zu proklamieren, sondern versuchen müssen, sie durchzusetzen. Hier beginnt das schwierige Geschäft einer bewußt humanen - also sich nicht einfach auf das Prinzip Freiheit verlassenden - Politik und Pädagogik. Der Widerspruch zwischen dem Gebot, den Freiheits- und Entfaltungsraum des anderen zu respektieren und der Aufforderung, ihn nicht einfach sich selbst zu überlassen, ist überhaupt nicht lösbar, sondern kann nur im Gleichgewicht gehalten, aufgehoben werden durch eine unentwegte Anstrengung, die das bei einigen schon voraussetzt, was für viele gewonnen werden soll: Weisheit, Besonnenheit und Mut.
Aus: G. Szczesny Die Disziplinierung der Demokratie
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