Hinter allen unseren Handlungen finden
wir Pläne, Ziele, Erwartungen und Entscheidungen, die uns zu unserem Verhalten
veranlassen, deren wir selbst aber nicht gewahr sind. Die meisten unserer
Handlungen sind die Konsequenzen von Denkprozessen, deren wir uns nicht bewußt
sind, die wir nicht erkennen und oft nicht kennen wollen. Sie haben aber
den entscheidenden Einfluß auf unser Handeln. Alle diese Denkprozesse, die
niemals zur Schwelle des Bewußtseins kommen, können als private Logik angesehen
werden. Wenn immer wir anders handeln, als unser Gewissen es uns vorschreibt,
dann handeln wir im Sinne unserer »privaten« Logik. Dies trifft aber nicht nur
zu, wenn wir uns den Geboten der Situation entziehen wollen; im täglichen Leben
beziehen wir uns nicht auf tatsächliche Gegebenheiten, sondern stehen unter dem
Eindruck von einer Welt, die nicht immer der Realität entspricht. Wir nennen
diese subjektive Beurteilung der Gegebenheiten das »phänomenologische Feld«,
auf dem jeder Mensch sich bewegt und das nur für ihn allein gültig ist. Wir
können niemals »Tatsachen« als solche erkennen; wir haben nur mehr oder weniger
akkurate Eindrücke und Vorstellungen von ihnen. Diese aber bestimmen unsere
Handlungen, unsere Einstellung und unsere Ziele.
Wenn jemand wirklich objektiv sein könnte und alle Gegebenheiten
objektiv erkennen könnte, dann würde er kaum an dem Prozeß der sozialen
Entwicklung teilnehmen können, denn jedes Für hat auch ein Wider. Subjektivität
ist notwendig, um eine bestimmte Richtung einzuhalten und eine andere
aufzugehen. Jeder muß ständig wählen, vorziehen oder zurückweisen, im Rahmen
seiner eigenen Einstellung, in dem dialektischen Prozeß, der allein zu
Fortschritt und Entwicklung führt.
Was
sind nun die Gedankenvorgänge, die kognitiven Prozesse, die sich unterhalb der
Schwelle des Bewußtseins abspielen und für unsere Handlungen ausschlaggebend
sind? Wir können hier eine Hierarchie von Zielen feststellen, die nur das eine
gemeinsam haben, daß sich der Mensch ihrer nicht gewahr ist. Da sind zuerst die
weitgehenden und grundsätzlichen Ziele des Lebensstils. Jeder Mensch bildet sich, wie wir schon gesehen haben, in seinen
ersten Entwicklungsjahren eine Vorstellung über sich, über die anderen und über
das ganze Lehen. Das sind die Fiktionen, nach denen er handelt. Niemand ist
sich aber seiner grundsätzlichen Einstellung bewußt. Verschiedene Faktoren
tragen zu dieser bemerkenswerten Lage bei. Erstens werden diese grundsätzlichen
Vorstellungen zu einer Zeit gebildet, wo das Kind kaum bewußt erfassen kann,
was in ihm und um es herum vorgeht. Es folgt seinen »Eingebungen«, seinen
momentanen Impulsen, ohne sich Gedanken über deren Bedeutung machen zu können.
Der andere, viel tiefere Grund, warum wir die allbedeutenden Ziele des
Lebensstiles nicht kennen können, ist die Notwendigkeit der subjektiven
Einstellung. Jeder muß so handeln, »als ob« seine Beurteilung die einzig
mögliche und absolut richtige sei.
R. Dreikurs