Dienstag, 18. Juli 2017

Lerm

"Der Lerm aber ist die impertinenteste aller Unterbrechungen, da er sogar unsere eigenen Gedanken unterbricht, ja zerbricht. Wo jedoch nichts zu unterbrechen ist, da wird er freilich nicht sonderlich empfunden werden.... Die allgemeine Toleranz gegen unnöthigen Lerm .... ist geradezu ein Zeichen der allgemeinen Stumpfheit und Gedankenleere der Köpfe...."

Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, 2. Buch, Kapitel 30

Nicht nur "Toleranz", manche Menschen können sich nur akustisch manifestieren, um wahrgenommen zu werden. 

Oder auch so: http://kumpfuz.blogspot.co.at/2015/03/huster.html


Zum Glück

Das höchste, tiefste, vielleicht sogar das einzig wirkliche Glück empfindet man,
wenn man Andere glücklich macht. Konkrete Menschen wohlgemerkt, den "Nächsten", wenn man so will, nicht die ganze Menschheit!
Rein selbstbezogenes Glück ist maximal Befriedigung, Genugtuung, Hochgefühl des Geistes, vielleicht sogar "Glücksmoment",; es hinterlässt aber eine Leere, die es immer wieder zu füllen gilt.
Gleichwohl ist dies das einzige Glücksgefühl, zu dem viele Leute fähig sind.
"Ach, die Tür des Glückes geht nicht nach innen, so dass man auf dieselbe losstürmen und sie aufdrücken könnte. Sie geht nach außen; man kann also nichts erzwingen."
"Die Tür zum Glück, zum Heil, zur Rettung, zur Selbstverwirklichung geht nach außen auf."
Søren Aabye Kierkegaard 

Mittwoch, 12. Juli 2017

Nasses Stroh

Durch Zufall bin ich auf folgendes Buch gestoßen:
Horst Gravenkamp: „Um zu sterben muss sich Herr F. erst eine andere Krankheit anschaffen“,
Wallstein Verlag, Göttingen 2004 ISBN 9783892447009,
Broschiert, 144Seiten, 16,00 EUR
Leider kostet es inzwischen das Doppelte und wird nicht nach Österreich geliefert, aber irgendwie werde ich schon daran kommen, zur Not über eine Freundin in Heidelberg.
Hier eine Besprechung: 
„Ich bin von dem allem so sehr durchdrungen, dass ich darüber, am liebsten in einer Medizinischen Zeitschrift, mich auslassen möchte, um vor groben Fehlern zu warnen; ich habe aber nicht mehr die Kraft dazu und muss hoffen, dass sich über kurz oder lang statt meiner ein Andrer findet.“ So beklagt sich Fontane darüber, dass die von ihm selbst so tief empfundene seelische Erkrankung im Jahr 1892 weder von seinen Ärzten noch von seiner Umgebung erkannt wurde. Horst Gravenkamp holt dieses Versäumnis nun nach. Anhand der Quellen, auch bisher ungedruckter, und unter Berücksichtigung der Schriften des Professors Ludwig Hirt, der Fontane 1892 untersucht hat, kommt Gravenkamp zu dem Schluss, dass der Schriftsteller unter einer endogenen Depression litt. Diese seelische Störung aus körperlicher Ursache war für Fontanes Ärzte noch nicht erkennbar. Gravenkamps Diagnose stützt sich auf frühere gleichartige Störungen, für die sich Hinweise in Werken und Briefen finden, und auf die Familienanamnese.

Der ausgebildete Internist und ehemalige Gutachter Landesmedizinaldirektor a.D., Dr.med. Horst Gravenkamp nimmt sich seiner literarischen Heroen mit dem Blick des Diagnostikers an.
Warum Fontane? Er ist in vielfacher Hinsicht ein dankbares Objekt: manischer Brief- und Tagebuchschreiber, akribischer Selbstbeobachter, durch die Apothekerlehre zugleich medizinisch vorgebildet, aber ein Mann der biedermeierlichen Medizin geblieben, der noch der antiken Vier-Temperamente-Lehre anhing und relativ wenig von den medizinischen Umbrüchen seiner Zeit mitbekam. Vor allem aber gilt uns an der Schwelle zur überalterten Gesellschaft stehend Theodor Fontane als leuchtendes Beispiel einer kraftvoll-schöpferischen Existenz bis ins hohe Alter hinein.

Fontane selbst sah das anders. Schon zum 60. Geburtstag überfielen ihn Anwandlungen von Nutzlosigkeit, das Gefühl, ein gebrechlicher Mann geworden zu sein. Eine Einschätzung, die sich von da an regelmäßig wiederholte. Seine Selbstwahrnehmung weicht dabei krass von der heutigen medizinischen Beurteilung ab. Wenn Fontane als Siebzigjähriger klagt, nicht mehr schnell genug die Treppe (65 Stufen) hoch zu kommen und bloß mehrstündige - statt ganztägige - Wanderungen durch die Mark Brandenburg unternehmen zu können, dann attestiert ihm Horst Gravenkamp „außerordentlich günstige Ergebnisse“ in seiner Altersgruppe. Intuitiv scheint der Dichter dies sehr wohl gewusst zu haben, denn seine steif gewordenen Generationsgenossen nannte er spöttisch „Rückenmärker’’ und zählte sich durchaus nicht zu ihnen.

Doch Fontanes Gebresten - ewige Klagen über Krankheit und totale Arbeitsunfähigkeit - lagen auch nicht auf rein somatischem Gebiet. Horst Gravenkamp rekonstruiert, von der längsten Lebens- und Schaffenskrise im Jahre 1892 ausgehend, eine endogene Depression. „Endogen“ heißt, dass es nicht an mangelnder Willenskraft gelegen hat, wenn Fontane das dunkle Seelental monatelang nicht verlassen konnte, sondern an bis heute nicht ganz verstandenen körperlichen Ursachen. Für die Medizin seiner Zeit war dies ein Buch mit sieben Siegeln, es gab falsche Schuldzuweisungen bei gleichzeitig unwirksamen Therapien.

Fontane hatte Glück im Unglück, widersetzte sich manch ärztlichem Rat und merkte instinktiv, dass die oft verordnete Ruhe kontra indiziert war, weil sie die Verzweiflungsschleifen der Depression noch vertiefte. Zusätzlich zu den inneren Leiden litten die Kranken an mangelndem Sozialprestige. Ihre Krankheit wurde als Simulantentum bewertet, wie der Titel gebende Ausspruch eines Arztes andeutet: „Um zu sterben, muss sich Herr F. erst eine andere Krankheit anschaffen.“ In der Fremdwahrnehmung, nämlich im Falle seiner ebenfalls depressiven Tochter Mete, hat es Fontane freilich ähnlich gesehen.

Eine verzweifelte Liebesgeschichte kommentiert er sarkastisch: „Wo dergleichen vorkommt, da fehlt entweder eine Schraube oder sie ist an bestimmter Stelle überschraubt.“ Gestorben ist der Dichter wirklich an einer anderen Krankheit, freilich nicht an jener, die er zeitlebens mit Verve bekämpfte: Kein Tag, scheint es, an dem Theodor Fontane nicht erkältet gewesen wäre.


Zugluft als biographisches Dauerthema, und der riesige Schal, der das ganze Gesicht vermummte, macht Fontane nicht nur im feuchtkalten London, sondern auch in Berlin zum Gespött der Passanten.
Die schließlich letale Herzkrankheit findet dagegen kaum Erwähnung. Als Erklärung greift Horst Gravenkamp auf den Demutsbegriff des 19. Jahrhunderts zurück, in dem die Medizin gegen Koronarerkrankungen nichts tun konnte: „Es gibt so vieles“, schrieb Fontane an seine Tochter, „dem wir machtlos gegenüber stehen und dies, wenn es das Schrecklichste wäre, muss mit möglichst guter Manier getragen werden.“ So starb der greise Dichter im September 1898 manierlich am unausweichlichen Herzstillstand - und nicht an einem Schnupfen.

Für den Schriftsteller Theodor Fontane (1819 bis 1898) galt ein Grundsatz: „Krankheitsgeschichten sind langweilig.“ -  Krankheiten spielen deshalb in seinem Werk kaum eine Rolle. Anders in seinem Leben: Fontane hatte nicht nur seit seiner Jugend einen Herzfehler, sondern durchlitt auch mehrfach Phasen schwerer Depressionen, die seine Schaffenskraft komplett lahm legten. Dies hat der Göttinger Mediziner Horst Gravenkamp ermittelt. Anhand von Briefen und anderen zeitgenössischen Quellen sowie mit Hilfe einer Familienanamnese hat er die Krankheitsgeschichte des Schriftstellers untersucht. Mann des ewigen Cachenez wurde Theodor Fontane genannt, weil er stets in einen Schal gehüllt war
(Aquarell von August von Heyden). 
Der Mediziner behielt zwar damals mit seiner Prognose Recht, denn der Romancier starb erst sechs Jahre später durch Herzstillstand. Doch welche akute Krankheit den Schriftsteller in dieser Zeit quälte, erkannte er ebenso wenig wie die anderen Ärzte, bei denen Fontane in Behandlung war.
Der Titel seines Buches - „Um zu sterben muß sich Herr F. erst eine andere Krankheit anschaffen“ - ist das Zitat eines Arztes, der Fontane im Jahr 1892 während einer lang andauernden Krankheitsphase behandelt hatte. Mehrere Monate lang litt Fontane unter einer ihm unerklärlichen Mattigkeit, Apathie, Antriebsschwäche, Freudlosigkeit, Gefühlsverarmung, Schlafstörungen und einer fast totalen Willenslähmung. Der sonst so umtriebige Autor und geistvolle Plauderer war nicht wiederzuerkennen. Welche Krankheit ihn so beeinträchtigte und veränderte, wußte Fontane nicht.
Ende des 19. Jahrhunderts sei die medizinische Forschung noch nicht in der Lage gewesen, die Krankheit richtig zu diagnostizieren, berichtet Gravenkamp. Heute sei das Krankheitsbild bekannt:
Sowohl die Symptome als auch der Verlauf der Erkrankung seien typisch für eine endogene Depression.
Depressive Phasen hatte Fontane auch schon früher gehabt, etwa 1858 bei seinem Aufenthalt in England. Er fand für seinen Zustand ein prägnantes Bild: „Ich bin wie nasses Stroh, die besten Zündhölzer wollen nicht recht helfen - es brennt nicht. Auch eine andere Äußerung Fontanes weist nach Gravenkamps Ansicht auf die Kardinalsymptome der endogenen Depression hin: „Wenn ich meinem Arzte ein Bilde meines Zustandes geben sollte, ich könnte ihm nichts andres sagen als wie - der innerliche Mensch ist gelähmt.“ 
Auch Fontanes Tochter Martha (Mete) habe vermutlich unter einer manisch-depressiven Erkrankung gelitten, berichtet Gravenkamp. Fontane bezeichnete das Leiden seiner Tochter als „Nervenpleite“.
Fontane empfand die „Trübsinns-Apathie“, die ihn mehrfach befiel, vor allem deshalb als bedrohlich, weil sie seine Schaffenskraft lähmte. Seinen Herzklappenfehler, Folge eines rheumatischen Fiebers in seiner Jugend, nahm er dagegen als Schicksal hin, das er „in guter Manier“ ertrug. Gegen andere Krankheiten versuchte er sich jedoch mit aller Macht zu wehren.
Der Romancier hatte eine ständige Angst vor Zugluft und Erkältungen. Zu jeder Jahreszeit war er deshalb in einen Schal gehüllt, um sich vor Schnupfen und Husten zu schützen. Wegen dieses Spleens galt er als „Mann des ewigen Cachenez“. Seine Furcht vor Erkältungen ging so weit, daß er sie auch in seinen Werken thematisierte und damit gegen seine eigenen Grundsätze verstieß. So kommen mehrere seiner Romanfiguren durch eine Erkältung zu Tode. Effi Briest ist das berühmteste Beispiel: Sie wird am Ende durch „die Nachtluft und die Nebel, die vom Teich her aufstiegen“, auf das Krankenlager geworfen und stirbt.

(Heidi Niemann)
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Ein weiterer Ausspruch von Th. F.: "Oh diese Ventilationsenthusiasten!"

Montag, 10. Juli 2017

Debussy über Analysten


Debussy wehrte sich kämpferisch dagegen, Kunstwerke zu Tode zu analysieren: So wie der Komponist von der Natur inspiriert mit dem Herzen komponieren sollte, so hätte auch der Hörer mit dem Herzen die Musik zu erfassen. Oder, wie Debussy es wörtlich formulierte:

,,Die Menschen haben ein schlechtes Gedächtnis dafür, dass man ihnen als Kinder verboten hat, den Hampelmännern den Bauch aufzuschneiden (was bereits ein Verrat am Geheimnis ist): Sie wollen immer noch ihre ästhetische Nase überall hineinstecken, wo es nur geht. Wenn sie auch keine Hampelmänner mehr aufschlitzen, so erklären sie doch das Geheimnis, zerlegen es und töten es kaltherzig: Das ist bequemer und bietet überdies Stoff zum Reden.“

Sonntag, 9. Juli 2017

Selbstportrait

Selbstportrait mit Eisenbahn

Frage:
Wirklichkeit
oder
Wunschtraum?

Donnerstag, 6. Juli 2017

Samstag, 1. Juli 2017

Des Lebens ungetrübte Freude ...

...ward keinem Irdischen zuteil (F. Schiller)
...
Soeben sah ich in Kinowelt.tv die restaurierte Fassung von Tatis Schützenfest (Originaltitel Jour de fête), perfekt remastered- in Originalfarbe (Thomson Couleur) und mit zahlreichen bis jetzt geschnittenen Szenen - aber leider mit norddeutscher Synchronisation ("Schnelligkeit, Geschwindigkeit"" statt "rapidité,rapidité" und "das is'n Ding" usw.). Immerhin war die Geräuschkulisse (sound background) unangetastet. Aber ich habe trotzdem jede Sekunde genossen und muss gestehen, dass ich ein paar Szenen jetzt besser verstanden habe; im Original wird doch relativ viel französisch genuschelt.

Dienstag, 27. Juni 2017

Gottesbeweis

Ich habe ja in meiner Studienzeit einige "Gottesbeweise" aus der Scholastik lernen müssen; Beweise im strengen Sinn sind sie natürlich alle nicht, aber doch wert zum Drüber-Nachdenken. Eigentlich beweisen sie nur, dass es nicht unsinnig ist, an Gott zu glauben. - Dieser hier ist neu und originell:
Der Philosoph Robert Spaemann hat kürzlich einen grammatischen Gottesbeweis vorgelegt. Wenn es keinen Gott gebe, dann könne man nicht mehr wirklich sagen: Es wird irgendetwas gegeben haben. Denn irgendwann wird es niemanden mehr geben, der sich erinnern kann, und das wäre dann auch das Ende aller Vergangenheit. Es wird dann Sie, lieber Leser, und mich, den Autor dieses Buches, nicht gegeben haben. Weil es niemanden mehr gibt, für den es etwas gibt oder gegeben hat. Ein kaum ausdenkbarer Gedanke. Es wird aber dann auch Bach nicht gegeben haben, Mozart nicht und all die anderen Himmelsstürmer. Doch gelingt es Ihnen, lieber Leser, sich vorzustellen, dass diese Musik irgendwann einmal nicht mehr besteht, dass auch das, was sie auslöst, bloß ein hormongesteuerter Irrtum sei, der für alle Ewigkeit vergeht? Nur wenn es Gott gibt, wird » kein Wort einmal ungesprochen sein, kein Schmerz unerlitten, keine Freude unerlebt«. Nietzsche-resistent hat Robert Spaemann diesen Gottesbeweis genannt.
Aus "Gott" von Manfred Lütz (Psychotherapeut und Theologe)


Letztlich läuft es immer darauf hinaus, ob man akzeptiert, dass es etwas gibt, was über den eigenen Verstand hinaus geht. Aber das fällt manchen gescheiten Menschen halt schwer.
Stephen Hawking z. B., der nach Meinung vieler - und wohl auch seiner eigenen - einer der intelligentesten Zeitgenossen ist, deklariert sich als Atheist. Das wundert mich nicht, er kann einfach niemanden über sich akzeptieren.
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"Glaube ist Sympathie mit dem Unsichtbaren"
Friedrich Schlegel