Sämtliche Fehlurteile auf der Welt entstehen daraus,
daß man uns Furcht vor dem Eingeständnis unsrer Unwissenheit beibringt und wir
daher alles hinzunehmen gehalten sind, was wir nicht widerlegen können. Über
jegliche Sache spricht man in einem dogmatischen Ton, der keinen Einspruch
duldet. Der römische Gerichtsstil hingegen verlangte, daß selbst die Aussage
eines Augenzeugen und das auf sicherster Erkenntnis beruhende Urteil eines
Richters in die Redeform des „mir scheint“
zu fassen seien.
Ich bin schwer von etwas Unwahrscheinlichem zu überzeugen
und halte mich daher möglichst an das Handgreifliche und Wahrscheinliche. So
entgehe ich diesen alten Vorwürfen: Die Menschen vertrauen am meisten dem, was
sie nicht begreifen und der menschliche Geist hat den Hang, allem Dunklen zu
glauben. Ich merke natürlich, daß man über meine Einstellung in Zorn gerät.
Wer seine Meinung in herausforderndem Befehlston durchsetzen
will, zeigt damit nur, wie schwach sie begründet ist. Daß in einem reinen
Wortstreit um das rechte Dogma jene Leute genausoviel Plausibles vorbringen mögen
wie ihre Widersacher - sei's drum! Wenn man jedoch die praktischen Folgerungen
bedenkt, die sie daraus ziehn, spricht alles für die Gegner.
Montaigne
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