Ich liebe und verehre die Gelehrsamkeit ebensosehr, wie es die Gelehrten tun; richtig angewandt, ist sie des Menschen edelste und mächtigste Errungenschaft. Bei denen jedoch (und deren Zahl ist unendlich), die auf sie allein ihren Wert und ihr Wirken gründen, die den Verstand an ihr Gedächtnis abtreten, die sich hinter dem Schatten andrer verstecken und die ohne ihre Bücher zu nichts taugen, hasse ich sie noch ein bißchen mehr als, wenn ich so sagen darf, tierische Dummheit.
In meinem Land und zu meiner Zeit profitieren von der
Wissenschaft oft die Geldbeutel, selten aber die Geister; denn die trägen unter
ihnen beschwert und erstickt sie wie eine rohe, unverdauliche Speise. Die
beweglichen freilich pflegt sie zu erhellen, zu läutern und bis ins völlig
Immaterielle zu verfeinern. An sich ist sie nahezu wertfrei - eine sehr
nützliche Bereicherung für einen begabten Geist, einem unbegabten hingegen
abträglich und schädlich. Anders gesagt: Recht angewandt, erweist sie sich als
höchst fruchtbar, zum Schleuderpreis aber läßt sie sich nicht erwerben. In der
einen Hand ist sie ein Königs-, in der andern ein Narrenzepter.
Welch größeren Sieg erhofft ihr denn, als
euren Gegner erkennen zu lassen, daß er euch nicht zu schlagen vermag? Siegt
ihr kraft eurer These, hat die Wahrheit gesiegt; siegt ihr kraft eurer
wohlgeordneten Argumentation, habt ihr gesiegt.
Montaigne
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