Und so wird denn im allgemeinen auch das Göttliche
symbolisiert mit Hilfe von etwas, das es nicht
ist: Die göttlichen Attribute sind und bleiben bloß menschliche Eigenschaften -
wo nicht gar allzu menschliche
Eigenschaften. Gott bleibt es nicht erspart, auf eine mehr oder weniger
anthropomorphe Art und Weise symbolisiert zu werden. Sollten wir daraufhin das
Recht haben, alles Religiöse aufgrund all der anthropomorphen Zutaten in Bausch
und Bogen zu verwerfen? Ist es nicht vielmehr so, daß die (sowieso
asymptotische) Annäherung an das Geheimnis und Rätsel der letzten Wahrheit eher
auf dem symbolischen Wege als auf einem bloß abstrakten etwas hergibt? Konrad
Lorenz - jawohl, Konrad Lorenz! - war es, der im Rahmen eines Fernsehinterviews
wörtlich sagte: » Wenn Sie global den
Wahrheitsgehalt einer Weltanschauung betrachten, den Wahrheitsgehalt der
Hinterhuberbäuerin in Grünau und den Wahrheitsgehalt der Weltanschauung von B.
F. Skinner, so kommen Sie drauf, daß die Bäuerin, die an die unbefleckte
Empfängnis Mariens und an den lieben Gott und alle Heiligen glaubt, der
Wahrheit näher ist als der Behaviorist.«!
…..
So ergibt sich denn, daß sich die Religion
sehr wohl als ein System von Symbolen definieren ließe - von Symbolen für
etwas, das sich nicht mehr in Begriffen einfangen und dann in Worten ausdrücken
läßt; aber ist nicht das Bedürfnis, Symbole zu prägen beziehungsweise zu
gebrauchen, ein fundamentales Merkmal und Kennzeichen der condition humaine? Oder ist nicht die Fähigkeit zu sprechen
beziehungsweise die Fähigkeit, das Gesprochene zu verstehen, ein konstitutives
Charakteristikum des Menschseins? Es mag also durchaus legitim sein, die
einzelnen Sprachen, wie sie die Menschheit im Laufe ihrer Geschichte entwickelt
hat, als je ein »System von Symbolen« zu definieren.
…..
Unsere Auffassung von Religion - Religion im
weitesten Sinne des Wortes - hat nur noch herzlich wenig zu tun mit
konfessioneller Engstirnigkeit und deren Folge, religiöser Kurzsichtigkeit, die
in Gott anscheinend ein Wesen sieht, das im Grunde nur auf eines aus ist, und
das ist: daß eine möglichst große Zahl von Leuten an ihn glaubt, und überdies
noch genau so, wie eine ganz bestimmte Konfession es vorschreibt. »Glaubt nur«, sagt man uns, »und alles wird okay sein.« Ich kann mir
aber nicht vorstellen, daß es sinnvoll ist, wenn eine Kirche von mir verlangt,
daß ich glaube. Ich kann doch nicht glauben wollen - ebensowenig wie ich lieben
wollen, also zur Liebe mich zwingen kann, und ebensowenig, wie ich mich zur
Hoffnung zwingen kann, nämlich gegen besseres Wissen. Es gibt nun einmal Dinge,
die sich nicht wollen lassen - und die sich daher auch nicht auf Verlangen, auf
Befehl herstellen lassen. Um ein einfaches Beispiel beizubringen: Ich kann
nicht auf Befehl lachen. Wenn jemand will, daß ich lache, dann muß er sich
schon dazu bequemen, mir einen Witz zu erzählen. Analog verhält es sich aber
auch mit der Liebe und dem Glauben; sie lassen sich nicht manipulieren. Als
intentionale Phänomene, die sie sind, stellen sie sich vielmehr erst dann ein,
wenn ein adäquater Inhalt und Gegenstand aufleuchtet. Wollen Sie jemanden dazu
bringen, daß er an Gott glaubt, dann müssen Sie ihm Gott glaubhaft (» believable«) machen - und vor allem
müssen auch Sie selbst glaubwürdig (»credible«)
wirken.
…..
Sprach ich nicht von einer Religiosität, aus
der heraus jeder zu seiner persönlichen Sprache findet, wenn er sich an Gott
wendet? Tatsächlich gipfelt die Ich-Du-Beziehung, in der Martin Buber
bekanntlich das Wesen der geistigen Existenz sieht, im Gebet, im besonderen in
dessen dialogischer Struktur. Nur daß wir berücksichtigen müssen, daß es nicht
nur ein inter-personales, sondern auch ein intra-personales Sprechen gibt,
nämlich die Zwiesprache mit sich selbst, das Selbstgespräch. … Gott ist der
Partner unserer intimsten Selbstgespräche. Das heißt praktisch: Wann immer wir
ganz allein sind mit uns selbst, wann immer wir in letzter Einsamkeit und in
letzter Ehrlichkeit Zwiesprache halten mit uns selbst, ist es legitim, den
Partner solcher Selbstgespräche Gott zu nennen - ungeachtet dessen, ob wir uns
nun für atheistisch oder gläubig halten. Diese Differenzierung wird eben im
Rahmen einer operationalen Definition irrelevant. Unsere Definition verbleibt
im Vorfeld der Aufgabelung in die theistische beziehungsweise in die
atheistische Weltanschauung. Eine Differenz macht sich erst bemerkbar, sobald
das eine Lager darauf besteht, daß es sich eben um Selbstgespräche und nichts
als Selbstgespräche handelt, während das andere Lager zu wissen glaubt, daß der
Mensch - mag er sich nun dessen bewußt
sein oder nicht - eben »Zwie«-Sprache
hält mit jemandem, und zwar jemand anderem als seinem Selbst. Aber ist es denn
wirklich so wichtig, ob die »letzte
Einsamkeit« eine bloße Schein-Einsamkeit ist oder nicht? Ist nicht vielmehr
das einzig Wichtige, daß sie eben die »letzte
Ehrlichkeit« zustande bringt? Denn sollte es Gott geben, so bin ich sowieso
davon überzeugt, daß er es nicht weiter übelnehmen wird, wenn ihn jemand mit
dem eigenen »Selbst« verwechselt und ihn daraufhin einfach umbenennt.
…..
Solches Denken ist jedoch allemal auf
Symbole angewiesen, und die einzelnen Religionen beziehungsweise Konfessionen
sind je ein System von Symbolen. Insofern gleichen sie
den einzelnen Sprachen.
V. E. Frankl
♬♬♬♬ Eine Antwort auf eine lange offene Frage! ♫♫♫♫