Meinungen
Die meisten denken mit Aristoteles: „Was
vielen richtig scheint, das, sagen wir, ist“: ja, es giebt keine noch so
absurde Meinung, die die Menschen nicht leicht zu der ihrigen machten, sobald
man es dahin gebracht hat sie zu überreden, daß solche allgemein angenommen
sei. Das Beispiel wirkt auf ihr Denken, wie auf ihr Thun. Sie sind Schaafe die
dem Leithammel nachgehn, wohin er auch führt: es ist ihnen leichter zu sterben
als zu denken. Es ist sehr seltsam daß die Allgemeinheit einer Meinung so viel
Gewicht bei ihnen hat, da sie doch an sich selbst sehn können, wie ganz ohne
Urtheil und bloß kraft des Beispiels man Meinungen annimmt....
Die Allgemeinheit einer Meinung ist, im
Ernst geredet, kein Beweis, ja nicht einmal ein Wahrscheinlichkeitsgrund ihrer
Richtigkeit. Die welche es behaupten, müssen annehmen 1) daß die Entfernung in
der Zeit jener Allgemeinheit ihre Beweiskraft raubt: sonst müßten sie alle
alten lrrthümer zurückrufen, die einmal allgemein für Wahrheiten galten: z.B.
das Ptolemäische System, oder in allen protestantischen Ländern den
Katholicismus herstellen: - 2) daß die Entfernung im Raum dasselbe leistet:
sonst wird sie die Allgemeinheit der Meinung in den Bekennern des Buddhaismus,
des Christenthums, und des Islams in Verlegenheit setzen.
Was man so die allgemeine Meinung
nennt, ist, beim Lichte betrachtet, die Meinung Zweier oder Dreier Personen;
und davon würden wir uns überzeugen, wenn wir der Entstehungsart so einer
allgemeingültigen Meinung zusehn könnten. Wir würden dann finden, daß Zwei oder
Drei Leute es sind, die solche zuerst annahmen oder aufstellten und
behaupteten, und denen man so gütig war zuzutrauen, daß sie solche recht
gründlich geprüft hätten: auf das Vorurtheil der hinlänglichen Fähigkeit dieser
nahmen, zuerst einige Andre die Meinung ebenfalls an: diesen wiederum glaubten
Viele andre, deren Trägheit ihnen anrieth, lieber gleich zu glauben, als erst mühsam
zu prüfen. So wuchs von Tag zu Tag die Zahl solcher trägen und leichtgläubigen Anhänger:
denn hatte die Meinung erst eine gute Anzahl Stimmen für sich; so schrieben die
Folgenden dies dem zu, daß sie solche nur durch die Triftigkeit ihrer Gründe hätte
erlangen können. Die noch Uebrigen waren jetzt genöthigt gelten zu lassen was
allgemein galt, um nicht für unruhige Köpfe zu gelten, die sich gegen
allgemeingültige Meinungen auflehnten, und naseweise Bursche, die klüger seyn
wollten als alle Welt. Jetzt wurde die Beistimmung zur Pflicht.
Nunmehr müssen
die Wenigen welche zu urtheilen fähig sind, schweigen: und die da reden dürfen,
sind, solche, welche völlig unfähig eigne Meinungen und eignes Urtheil zu
haben, das bloße Echo fremder Meinung sind: jedoch sind sie desto eifrigere und
unduldsamere Vertheidiger derselben. Denn sie hassen am Andersdenkenden nicht
sowohl die andre Meinung zu der er sich bekennt, als die Vermessenheit selbst
urtheilen zu wollen; was sie ja doch selbst nie unternehmen und im Stillen sich
dessen bewußt sind. - Kurzum Denken können sehr Wenige, aber Meinungen wollen
Alle haben: was bleibt da anderes übrig als daß sie solche, statt sie sich
selber zu machen, ganz fertig von Andern aufnehmen?
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